Kapitel 38

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Ich hielt dieses wunderschöne Brautkleid mit dem voluminösen Tüllrock in der Hand und schaute auf die aufgenähten Strassapplikationen, die im Licht der Deckenstrahler wie tausend Sterne funkelten.  „Du musst das unbedingt anprobieren", wandte ich mich an Paula, die sich durch den Ständer mit den anderen Brautkleidern wühlte. „Du spinnst wohl. Hast du mal den Preis gesehen? Dafür können Paul und ich gleich noch die ganze Feier mit bezahlen." Um ihre Empörung zu unterstreichen, tippte sie mit ihrem Zeigefinger an ihre Stirn und zeigte mir einen Vogel. Ich schaute wieder zu dem Kleid vor mir. Also wenn ich die Braut wäre, gäbe es für mich da überhaupt nichts zu überlegen. Man heiratete ja schließlich nur einmal......okay, manche heirateten auch öfter, wenn man so die aktuellen Scheidungszahlen betrachtete, aber ein zweites Mal heiratete man garantiert dann nicht mehr in diesem sondern einem viel kleineren Rahmen. Also musste man es beim ersten Mal auf alle Fälle richtig krachen lassen und alle Träume sich erfüllen. Und dieses Kleid war ein Traum....nicht nur meiner, sondern auch Paulas, so wie sie es angeschaut hatte....bis zu dem Zeitpunkt als ihr das Preisschild in die Augen gefallen war. Okay, es war wirklich nicht gerade billig, aber Qualität hatte halt auch ihren Preis. „Du und Paul bezahlt die Feier und ich dein Brautkleid." Paula ließ von den Brautkleidern ab und drehte sich abrupt zu mir. Ihre Augen funkelten mich an und sie schüttelte den Kopf. „Warum solltest du? Das ist meine Hochzeit, also zahle ich auch mein Brautkleid." Jetzt war ich es, die den Kopf schüttelte. „Irrtum, ich bin deine Trauzeugin und außerdem warst du immer für mich da." Ich musste schlucken, wenn ich daran dachte, wie oft das schon der Fall gewesen war. Damals bei meiner Schwangerschaft, danach und dann als ich mich mit meinen Eltern endgültig überworfen hatte und auch im Job nichts lief. Paula war immer für mich da gewesen. Sie hatte mich damals sogar mit durchgefüttert. Es wurde höchste Zeit, dass ich ihr mal etwas zurückgab. „Das Brautkleid ist mein Geschenk für dich." Paula schaute mich fassungslos an. „Aber......aber....." Wieder schüttelte sie den Kopf. „Trotzdem, das Kleid ist viel zu teuer." Ich musste schmunzeln, denn ich hatte durchaus ihren kurzen sehnsuchtsvollen Seitenblick zu dem Kleid wahrgenommen. „Nein ist es nicht. Ich kann mir das durchaus leisten." Ja, das konnte ich wirklich, denn die letzten zwei Jahre seit meiner Namensänderung waren ziemlich erfolgreich gelaufen. Ich lebte nicht mehr bei meiner Freundin auf ihre Kosten, sondern hatte eine wunderbare Penthauswohnung in Düsseldorf und musste nicht mehr Nudeln mit Pesto essen, sondern konnte mir teure Salatkreationen in den angesagtesten Restaurants leisten. Ja, Salatkreationen, denn ich musste ja auf meine Figur achten, denn mein Körper, den ich gerne in teure Designerklamotten steckte, war mein Kapital. Mit 27 hatte ich es geschafft mir ein angenehmes Leben leisten zu können. Paula verzog ihr Gesicht. „Ist mir schon klar, dass du mehr verdienst als ich, aber....." „Nichts aber", unterbrach ich sie sofort. „Du sollst deine Traumhochzeit und dein Traumkleid haben."  „Meine Traumhochzeit ist aber nicht abhängig von einem Kleid, sondern von den Leuten, die ich um mich habe. Wenn du mal hochrechnest, wieviele Stunden du dieses Kleid nur trägst, dann ist das ein unglaublicher Stundenpreis. Das ist ja geradezu Wucher. Und dann der Wertverlust bei Wiederverkauf. Kein Mensch zahlt dir wenigstens die Hälfte vom Anschaffungspreis bei einem gebrauchten Brautkleid. Und selbst die Hälfte wäre bei dem Preis ein exorbitanter Verlust." Das war so typisch Paula. Da kam die Buchhalterin in ihr durch. „Du sollst es ja auch nicht danach verkaufen, sonder aufheben für mein Patenkind, das ich vielleicht bald bekomme." Meine Freundin verzog ihr Gesicht. „Wer sagt dir, dass du die Patentante wirst? Und wer sagt dir, dass es ein Mädchen wird?" Ihre Hand zuckte zu ihrem Bauch und ich schaute sie prüfend an. Wieso bekam sie auf einmal so eine gesunde Gesichtsfarbe? „Nee, oder?", platzte es aus mir heraus. „Doch" Paula nickte ganz verschämt. „Wann?" war alles. Was mir einfiel. „Ich bin in der siebten Woche." Ich stürzte auf sie zu und zog sie in meine Arme. „Das....das ist ja der Wahnsinn. Ich werde Tante." In mir keimte eine total übersprudelnde Freude auf. „Deshalb auch der schnelle Termin." Klar waren Paula und ihr Paul schon seit Ewigkeiten ein Paar, genaugenommen seit sie damals nach Conny an der Uni gesucht hatte. Ja, Paul hatte sie damals getroffen und bei beiden hatte es ordentlich gefunkt. So, wie ich es mir auch von Conny erhofft hatte. Schnell verdrängte ich diesen Gedanken wieder in die hinterste Ecke meines Kopfes. „Na ja, ich will ja auf den Fotos nicht wie ein an Land gestrandeter Walfisch aussehen. Neben dir sehe ich sowieso schon wie eine zu kurz geratene Tonne aus." „Du spinnst ja!" Diesmal zeigte ich ihr einen Vogel. Klar war Paula fast fünfzehn Zentimeter kleiner als ich und hatte nicht die Modellmaße, aber sie hatte eine hübsche Durchschnittsfigur und.... „Dafür hast du aber Titten und einen Arsch und deshalb auch einen Kerl, der dich heiratet, weshalb wir jetzt dieses extrem geile Brautkleid kaufen werden, auch wenn ich nicht mehr auf eure Hochzeitsnacht hoffen muss", kicherte ich. Paula fing auch an zu lachen, was uns die Aufmerksamkeit der Verkäuferin - oder sagte man da Brautmodenberaterin - einbrachte. „Kann ich Ihnen behilflich sein?" „Meine Freundin möchte diese Kleid anprobieren." Ich streckte ihr das Traumkleid entgegen, während Paula mich resigniert anschaute. „Du gibst nicht auf, oder?" Ich schüttelte entschieden meinen Kopf. Nein aufgegeben hatte ich noch nie. Obwohl so ganz stimmte das nicht. Ich hatte ein einziges Mal aufgegeben und das schmerzte mich wahnsinnig. Seit einem Jahr hatte ich die Suche nach meiner kleinen Carmen aufgegeben, denn auch mit meinen nun doch besseren finanziellen Ressourcen war ich keinen Schritt weiter gekommen. Meine Tochter blieb wie vom Erdboden verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben. Ich hatte eine Menge Geld investiert und der Privatermittler hatte jede Akte in Belgien und hier in Düsseldorf von links nach rechte gedreht. Trotzdem hatte er nicht einmal den kleinsten Hinweis entdecken können, der uns zu ihr und ihren Adoptiveltern hätte führen können. Irgendwann hatte ich einfach einsehen müssen, dass ich in einer Sackgasse steckte und es zu nichts führen würde, egal wie viel Geld ich verbrannte. Ich würde meine Tochter nie finden.....und daran war alleine meine Mutter schuld. Ich wünschte ihr die Pest an den Hals.... und mein Vater? Der war ein armseliger Pinscher, der ihr hinterher trabte und aufs Wort hörte, während er Männchen machte. Mein Blick ging zu Paula, die gerade in der Kabine verschwand. Ja, sie war die einzige Familie, die ich hatte und deshalb würde ich auch dafür sorgen, dass sie eine wunderschöne Hochzeit hatte.....und ich würde ihr Kind verwöhnen. Es würde von mir all das bekommen, was ich meiner kleinen Carmen nie geben konnte.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt