Kapitel 60

271 45 12
                                    


„Und soll ich dir noch ein Stück Kuchen holen, Spatzl?" Innerlich zuckte ich zusammen. War Luca denn irre, mich hier vor allen so anzusprechen? Mein Gehirn fing sofort auf Hochtouren an zu arbeiten, um mir eine Ausrede für sein Missgeschick einfallen zu lassen, während ich vorsichtig in die Runde schaute. Vielleicht hatte es ja auch niemand mitbekommen. Okay, diesen Gedanken konnte ich gleich wieder verwerfen, so wie uns mindestens fünf Augenpaare anstarrten. Ich konnte förmlich die Gedanken hinter den Gesichtern lesen und mir wurde ziemlich mulmig, denn ich hatte das Gefühl, dass nicht alle sehr begeistert davon sein würden, wenn Luca und ich uns offenbarten......ja, davon war definitiv auszugehen, so überrascht wie Lisa und Lucy schauten. Und auch Tessa wirkt ungläubig schockiert. „Nein, tein Hunda mehr", ertönte die Stimme meiner Tochter neben mir wie selbstverständlich.  „Und ich dachte schon....du und der Erbsenzähler", prustete Tessa los. „Dad wäre ja 'nen Ding gewesen."  Auch Lisa und Lucy fingen an zu lachen. „Ich habe das auch gedacht", Leon schüttelte grinsend seinen Kopf und winkte mit der Hand ab. „Aber dann wäre es ja auch kein Spatz sondern eher eine Drossel oder Schwalbe." Ich musste schlucken und eine Portion Wut sammelte sich in meinem Magen. Warum konnte er nie diese Anspielungen auf meine Vergangenheit lassen? Ich war schon lange keine Asphaltdrossel oder Bordsteinschwalbe mehr. Hatte nicht jeder eine zweite Chance verdient? Und ich fand, dass ich meine ziemlich gut nutzte, so dass man die Vergangenheit auch langsam mal wenigstens ruhen lassen konnte, wenn man schon nicht in der Lage war sie zu vergessen. „Des wär ned a Ding sondern a Grund zuam Feiere", zwinkerte mir Lucas Großmutter zu. Sie schien eine ziemlich nette Frau zu sein. Und scheinbar auch eine, die keine Vorurteile hatte. Das gab mir wenigstens etwas Hoffnung für die Zukunft. Und gleichzeitig sagte mir die Reaktion der anderen, dass es gut war, dass wir unsere Beziehung bis jetzt geheim hielten. Dabei sollten wir es wohl auch noch eine Weile belassen. Trotzdem ärgerte mich auch das Lachen meiner Freundinnen. Wieso hielten sie es für so unmöglich, dass Luca und ich zusammen waren? „Habt ihr dieses Jahr eigentlich schon den Sommerurlaub geplant?", wechselte Tessa das Thema und ich atmete erst einmal erleichtert auf. „Na wir fahren wieder alle nach Ibiza. Wie immer!" Ihr Vater schaute sie verständnislos an und in meinem Kopf tauchte sofort das türkisfarbene Meer und der warme weiße Sand auf, den schönen Gedanken folgte aber sofort wieder die Ernüchterung. Nein, wirklich schöne Erinnerungen hatte ich an Ibiza nicht mehr. Ibiza stand für all das, was ich hinter mir gelassen hatte....

„Nun stell dich mal nicht so an. Oder meinst du ich zahle für die eine Woche so viel Geld, damit du nur auf der Sonnenliege auf meiner Yacht herumliegst?" Mein Auftraggeber, ein gut situierter Firmenbesitzer aus Madrid sah mich sauer an. Natürlich war mir klar, dass er für die Kohle mehr erwartete als nur meine bloße Anwesenheit hier. Aber irgendetwas in mir sträubte sich. Meine Gedanken wanderten 1478 Kilometer Luftlinie Richtung Nordosten. Andreas war heute bei der Hochzeit von einem dieser Bonzenblagen in Dortmund. Und ich war hier, weil ich das Geld unbedingt brauchte. Mein Dealer saß mir schon im Nacken und so einige andere, denen ich Geld schuldete auch. Wie viel lieber würde ich jetzt auch in Dortmund sein. Auch wenn die Hochzeit mir eigentlich scheißegal war, aber....nichts aber....ich hätte es geliebt dort neben Andreas zu sitzen und den Tag zu genießen. Außerdem hätte sich ja vielleicht die eine oder andere Möglichkeit ergeben dort an einen Job zu kommen, denn über Andreas hatte das bis jetzt noch nicht funktioniert. Vielleicht war das ja auch Absicht. Ich musste schmunzeln. Ja, eigentlich hätte ich nichts dagegen einzuwenden einfach seine Frau zu sein, die sich um den Haushalt und die Kinder kümmerte. Hausfrau und Mutter hörte sich in meinen Ohren nach einem Traumjob an. Und ich war mir sicher, dass ich unbedingt noch mindestens ein Kind wollte. Bestimmt hätte Andreas das Ambiente heute inspiriert mir auch einen Antrag zu machen. Da hätte ich schon für gesorgt. Aber nee, ich musste ja diesen blöden Auftrag von einen auf den anderen Tag annehmen, um erst einmal meinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Das war zum Kotzen. Besonders, dass ich Andreas hatte anlügen müssen und ein Shooting erfunden hatte. Hoffentlich kam das nicht heraus und versaute meinen ganzen Plan. „Los, steh auf und komm mit runter unter Deck. Ich will dir da etwas zeigen." So wie der Idiot mit seinem Finger über den Bund seiner Badeshorts strich, war nicht schwer zu erraten, was er damit meinte. Alleine bei dem Gedanken wurde mir schon übel. Egal, da musste ich durch. Ich brauchte das Geld schließlich. Dann würde ich mir halt mal wieder eine Pille einklinken, um das zu überstehen.....

„Macht's ihr zwoa a Urlaub bei die Spanier?" Lucas Oma, die mir gegenüber saß, hatte sich an mich gewandt. Ich schüttelte schnell den Kopf. „Zu teuer. Das kann ich mir nicht leisten." Ja, das war auch so ein Punkt, der mir immer ins Herz schnitt. Wie gerne würde ich meiner kleinen Espie auch einen schönen Urlaub am Meer ermöglichen. Sie würde es garantiert lieben im Sand zu buddeln und im Wasser zu planschen. Das musste aber mit Sicherheit noch ziemlich lange warten. Wenn ich mich anstrengte, war vielleicht einmal ein Wochenendausflug an die Nordsee drin. Aber sicher nicht in diesem Jahr. „Joa, den kimmts do zu uns nach Bayern. Is eh fui scheener. Ihr kennts a bei uns wohna." Dieser Vorschlag traf mich total unvorbereitet. „Ähm...." „Ja, bei Oma ist es total schön", grinste Lucy breit. „Da könnt ihr in die Berge und zu den Seen zum schwimmen. Das gefällt Espie bestimmt." Das mochte ja alles sein, aber ich konnte doch nicht einfach mit meiner Tochter zu einer völlig fremden Frau in den Urlaub fahren....einfach so....warum lud sie uns ein? Ich hatte in meinem Leben gelernt, dass Menschen immer einen Hintergedanken hatten. Niemand machte etwas nur so. „Luca, du kinnst joa die zwoa begleita." Sie zwinkerte mir zu und das verwirrte mich gerade noch mehr. Was bitte bezweckte sie mit dieser Einladung?

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt