Kapitel 39

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Während mein Laptop hochfuhr, schaute ich zu Luca, der auf dem Sofa saß und vor sich hinstarrte. Das machte er jetzt bereits seit einer Viertelstunde und dem Zeitpunkt seit seine Mutter unsere Wohnung verlassen hatte. So langsam machte mir das Sorgen. Sollte ich ihn ansprechen? Oder sollte ich ihm die Zeit gewähren, die er vielleicht dazu brauchte, um die neue Situation, dass seine Familie jetzt bescheid wusste, dass er zurück war, zu verarbeiten? Das Klingeln der Türglocke unterbrach meinen Gedankengang. Scheinbar Lucas auch, denn er erhob sich mit einem Stöhnen. „Na wunderbar! Hat sie die anderen beiden schon von hier informiert und mein Alter einen Hubschrauber gechartert? Bist du jetzt zufrieden?" Lucas verspannter Blick wanderte zu mir. „Du kannst dich schon einmal darauf einstellen, dass es hier keine ruhige Minute mehr geben wird." Mit gefühlten Schleichschritten lief er in den Flur, wo bereits an die Tür geklopft wurde. „Das kann dann ja wohl nur Dodo sein. Wer sonst ist so ungeduldig." Ich musste schmunzeln. Ja, seine Schwester Lucy, die er warum auch immer meist Dodo nannte, war wirklich nicht die Geduld in Person, wenn ihr etwas wichtig war. Und ihr Bruder zählte mit Sicherheit in die Kategorie. Wieder überlegte ich kurz, ob ich einfach an meinem Laptop sitzen blieb oder mich auch auf den Weg zur Tür machte, um als Puffer zu fungieren. „Luca!", hörte ich in dem Moment eine überraschte Stimme. Das war aber nicht die Stimme von Lucy, sondern von Leokardia. Sofort sprang ich auf und lief in den Flur. „Genia?!" Meine frühere Nachbarin schaute mich mit großen Augen an, ehe ihr Blick wieder zu Luca wanderte. „Ich glaube, du hast mir was zu erzählen. Scheinbar hat sich hier ja einiges getan, seit wir ausgezogen sind." Ein leises Weinen ertönte aus dem Tragetuch, das sie um den Bauch hatte. „Eigentlich wollte ich dich ja nur zu meinem Geburtstag einladen. Ich war nämlich gerade bei Sascha die Blumen gießen und Post raus nehmen. Er ist ja gerade bei der Nationalmannschaft...... aber jetzt glaube ich, habe ich mir einen Kakao und ein bisschen Tratsch verdient." Leokardia zwinkerte mir grinsend zu und warf wieder einen Seitenblick auf Luca, der nur einen Brummton von sich gab und in Richtung Küche verschwand. „Komm rein!", forderte ich sie auf und nahm ihr die kleine Romy ab, während sie sich aus ihrer Jacke schälte. Die Kleine war wirklich süß mit ihren vielen rotblonden Löckchen. Ich hielt ihr meinen Zeigefinger hin, den sie sofort mit ihrer kleinen Hand umschloss und entschlossen zu ihrem Mund zog, um daran zu nuckeln. In mir breitete sich ein wenig Wehmut aus. Mein kleine Espie hatte das auch zu gerne gemacht und jetzt.....jetzt war sie schon so groß. Die Zeit mit einem Kind rannte einem einfach so davon. Sie verging viel zu schnell und trotzdem war ich außerordentlich glücklich die Chance mein eigenes Kind aufwachsen zu sehen überhaupt noch einmal bekommen zu haben. Jeden einzelnen Moment mit meiner Tochter speicherte ich ganz tief in meinem Herzen ab. „Also, was macht Luca hier?" Leokardia schaute mich neugierig an, nachdem sie ihre Jacke an die Garderobe gehängt hatte. Ich zuckte mit den Schultern. „Wir haben eine WG gegründet." Leokardias Blick wechselte von neugierig auf ungläubig. „Aber wieso? Du hast doch einen gültigen Mietvertrag."  „Der Kakao ist fertig!", ertönte Lucas Stimme aus der Küche. Ich fing an zu grinsen. „Weil es praktisch ist, wie du siehst." Leokardia kicherte. „Okay, wenn der Kakao jetzt auch noch schmeckt, ist das durchaus ein Argument, das man gelten lassen kann."
„Das hört sich echt mega interessant an." Leokardias interessierter Blick lag auf Luca, der gerade ein bisschen von seiner Arbeit in dem SOS Kinderdorf erzählt hatte. Sie hatte auch nicht ein Wort über Leonie verloren, sondern einfach ein unverbindliches Gespräch begonnen. Diese Empathie mochte ich an ihr. „Ach ja, du bist übrigens auch zum Geburtstag eingeladen. Maja freut sich garantiert auch dich wiederzusehen." In ihrem Gesicht tauchte ein geheimnisvolles Lächeln auf. „Dann hat sie noch eine Überraschung mehr." „Was für eine Überraschung?" Okay, Neugier war mir nicht wirklich fremd. „Meine Lippen sind versiegelt", grinste mich Leokardia an. „Aber als kleiner Tipp, pack dir ein paar Taschentücher ein. Das kann nicht schaden." So wie sie dabei zwinkerte, hatte ich eine leichte Idee, was wohl die Überraschung sein könnte. Sofort wanderte mein Blick zu Luca, ihn schien der Gedanke aber wohl nicht zu tangieren, denn sein Gesichtsausdruck war total neutral. „Kannst du Romy noch einmal halten? Dann gehe ich noch einmal schnell auf Toilette, ehe ich abhaue. Emilio hat nämlich bald Schulschluss." Leokardia wollte mir gerade das Baby reichen, als Luca, der neben ihr saß, es ihr auch schon abnahm. „Lass, ich nehme die Kleine."  Ich zog eine kleine Schmollschnute, denn eigentlich hätte ich sie gerne noch einmal gehalten. Dieser Duft nach Baby, den sie verströmte, war einfach so wundervoll. „Ich drück schon drauf!", zwinkerte Leokardia uns zu als bei ihrem Rausgehen die Türklingel ertönte. Noch ehe ich dazu kam zu überlegen, wer das wohl war, hörte ich Schließgeräusche. „Mensch Krapfen, du kannst doch nicht einfach...." Das war Lisas Stimme auf dem Flur. „Klar kann ich aufschließen. Wozu habe ich sonst Schlüssel! Luca, wo steckst du?" Mein Blick ging zu Luca, der sein Gesicht verzog und seinen Kopf hängen ließ.  „Wow, eine Dreiviertelstunde", war alles was er sagte, ehe sein Vater auch schon in unsere Küche gestürmt kam. „Da steckst du also! Kannst du mir mal sagen, was das soll? Wieso versteckst du dich hier seit einem Monat und gaukelst uns vor, du wärst noch bei den Indianern? Das finde ich echt richtig Scheiße von dir." Wenn Leon nicht bald Luft holte, kippte er wahrscheinlich gleich aus den Latschen. Und so rot wie sein Kopf aussah, platzte er wahrscheinlich gleich. „Es gibt ja wohl nichts, weshalb man mit uns nicht reden kann. Oder sehen wir so aus, als würden wir dir den Kopf abreißen? Was ist da überhaupt los? Und was ist mit Leonie? Was ist das da überhaupt für ein Baby in deinem Arm?", torpedierte er seinen Sohn gleich mit den nächsten Vorwürfen und Fragen. „Das ist mein Baby", ertönte Leokardias Stimme an der Tür. „Und auch wenn es gerade interessant zu werden verspricht, muss ich mich leider verabschieden." Sie schnappte sich ihre Tochter aus Lucas Arm. Ich sprang von meinem Stuhl auf. „Ich bringe dich zur Tür." Okay, das war vielleicht ein wenig feige, aber andererseits brauchte Luca und seine Familie ja vielleicht auch ein wenig Freiraum ohne Zuschauer. Erst jetzt fiel mir Lucy auf, die mit vor der Braust verschränkten Armen hinter ihrer Mutter stand und mit verkniffener Miene noch nicht ein einziges Wort gesagt hatte. So finster wie sie mich anschaute, war wohl gerade nicht der richtige Zeitpunkt für eine freundschaftliche Begrüßung.....vielleicht sollte ich Espie auch gleich aus der Kita abholen, damit ich hier einfach verschwinden konnte.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt