Kapitel 56

230 41 6
                                    


„Eh, ich will mein Patenkind auch begrüßen!" Tessa umarmte erst mich kurz und stupste dann Lucy mit dem Ellenbogen an. Ja, meine beiden Retterinnen waren ja auch Espies Retterinnen. Hätte es die beiden Mädels nicht gegeben, wüsste ich nicht, was aus uns geworden wäre.

Wie jeden Tag kramte ich in den Mülleimern in der Fußgängerzone nach leeren Pfandflaschen. Das war so entwürdigend in dem Dreck herumzuwühlen. Aber was hatte ich für eine andere Wahl? Nur alleine durch betteln wurde ich nicht satt. Aber sowohl betteln als auch Flaschensammeln war allemal besser als anschaffen gehen, besonders in meinem Zustand. Ich fuhr mir kurz mit meiner Hand über den Bauch. Ja, es war nicht mehr zu übersehen, dass ich schwanger war.
„Hallo!", grüßte mich eine freundliche weibliche Stimme. Ich hob meinen Kopf schnell an. Wenn das wieder so ein Miststück war, dass mir meinen Müllsack mit meiner bisher gemachten Beute abzocken wollte, dann hatte sie sich geschnitten. Das war mir einmal passiert, aber garantiert nicht noch einmal. Ich würde meine Flaschen verteidigen, denn ich hatte keinen Bock auf einen leeren Magen. „Hau ab! Das sind alles meine Flaschen", gab ich ihr gleich deutlich zu verstehen. Scheiße, die waren zu zweit. Mein Blick flog zu der anderen Person. Das konnte doch wohl nicht wahr sein.  „Das Kindermädchen! Was willst du hier? Dich an meinem Unglück ergötzen? Dann kannst du ja jetzt wieder verschwinden", schoss ich in Lucys Richtung. Sie war doch die, die Schuld daran hatte, dass Andreas nicht darauf reingefallen war als ich versucht hatte ihm das Kind unterzuschieben. Ja, sie hatte doch keine Minute verschenkt sich an meine Stelle zu setzen, als wir uns gestritten und getrennt hatten. Wäre sie nicht gewesen, hätten wir das wieder hinbekommen. Aber nein, sie hatte ja die kleine Carmen, diesen Satansbraten auf ihre Seite gezogen. „Eh, pass mal auf, wie du mit meiner Freundin redest. Sie hat darauf bestanden dich zu suchen, nachdem du gestern bei mir um Essen gebettelt hast, weil sie dir helfen will. Also fahr mal runter und sei nett zu ihr." Na, ihre Freundin war ja vielleicht lustig, und naiv, wenn sie das glaubte. Dieses kleine Miststück wollte sich doch nur versichern, dass ich wirklich am Boden lag und ihre Intrigen funktioniert hatten. „Helfen?! Sie ist doch Schuld, dass ich hier in der Scheiße sitze, weil sie mir meinen Andreas weggenommen hat." Ja, sie sollte ruhig erfahren, was ihre ach so tolle Freundin angerichtet hatte. „Du hast die Scheiße dir selbst zu verdanken, weil du ihn betrogen hast und weil du Carmen schikaniert hast." Seit wann machte das Kindermädchen denn den Mund auf? Zeigte sie jetzt ihr wahres Gesicht und zog die schüchterne, zurückhaltende Maske vom Gesicht? „Der Satansbraten hat mir doch sowieso nie eine Chance gegeben. Sie war doch nur auf dich fixiert und hat Andreas gegen mich aufgehetzt." Ja, ich hatte nie eine reelle Chance gehabt. „Hier mit schönen Grüßen von Severin." Sie drückte mir Briefe in die Hand, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. „Severin?!" Ich musste schlucken. Woher wusste sie von meiner „Kollegin" mit der ich in der WG die Freier empfangen hatte? „Ja, Severin." „Ja, und bei Carlo solltest du dich auch nicht mehr blicken lassen, wenn du wert auf dich und deine Unversehrtheit legst", mischte sich ihre Freundin ein, die ein größere Klappe als sie zu haben schien. Ich musterte sie genauer. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Ja, klar! Sie war das Balg von einem aus diesem gutsituierten Freundschaftsklüngel. Hatte sie eben Carlo gesagt? „Ihr habt..... ihr habt Carlo getroffen?" Das war.....das war saugefährlich. Ich schlug mir meine Hand vor den Mund. Wussten diese beiden Rich-Kids überhaupt in welche Gefahr sie sich da gebracht hatten? Mein Zuhälter war alles andere als zimperlich. Das hatte ich auch schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. „Joa, ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse und so gar kein Anhänger von den Zeugen Jehovas", grinste der kleine Rotschopf. „Dann.... dann wart ihr ja wirklich...." Das konnte ich überhaupt nicht glauben.„Ihr habt mich wirklich gesucht? Aber warum?" „Na meinst du, ich lüge. Du hast gestern im Burgerladen bei mir um Essen gebettelt. Und wir beide sind der Meinung, dass eine Schwangere nicht um Essen betteln sollte." Okay, die beiden wollten mal eben kurz ihren Samariter-Moment erleben. Ich deutete auf die Burgertüte in der Hand von der Rothaarigen.  „Und deshalb seid ihr jetzt unterwegs, um mir einen Burger zu bringen?"  „Das auch."  Sie reichte mir den Papierbeutel. Okay, da sagte ich nicht nein, denn meine Magenwände rieben schon eine ganze Weile unangenehm aufeinander. Und was man hatte, hatte man erst einmal. Das hatte ich hier auf der Straße schnell gelernt. Mit schnellen Happen vertilgte ich den Burger. „So, dann habt ihr mich gefüttert, dann könnt ihr euch ja wieder mit gutem Gewissen vom Acker machen und zu euren privilegierten Familien verschwinden." Mit meinem Blick versuchte ich ihnen zu verstehen zu geben, dass ich keinen weiteren Redebedarf hatte. „Oder habt ihr euch an meinem Leid noch nicht genug aufgegeilt?" Mein Blick fiel auf die Umschläge in meiner Hand. Ein Brief von einem Anwalt. Ich fetzte ihn auf. „Wolltest du, dass ich die auch auf alle Fälle bekomme? Das ist doch auf deinem Mist gewachsen." Da hatte ich die Kleine wohl unterschätzt.  „Das wird ihm aber nichts nützen." „Du weißt genau, dass er nicht der Vater ist." Wow, sie konnte ja sogar spontan antworten. „Eine einstweilige Anordnung" Ich traute meinen Augen nicht. Das konnte doch nicht Andreas Ernst sein. „Aber...... aber." Meine Nasenwurzel begann zu kribbeln. Damit war auch meine letzte Hoffnung zerplatzt, dass Andreas.... Ich schluckte die Tränen schnell herunter. Das war doch alles ... ich spürte die Wut in mir hochschießen. Dieses kleine hinterhältige Miststück. „So, dann hast du die Demütigung auch noch mitbekommen. Also verzieh dich.Und biedere dich weiter bei Andreas an. Ich frage mich, was er mit so einem farblosen kleinen Mädchen will. Du kannst ihm doch gar nicht das bieten, was er braucht." Was wollte er nur mit dem Blaßhuhn. Sie war ja noch nicht einmal eine richtige Frau. „Das kann ich sehr wohl. Und noch viel mehr. Außerdem bin ich kein kleines Mädchen, du oide Trutschn." Wie hatte sie mich genannt! Der würde ich es gleich zeigen. „Alte Trutschn hast du mich genannt! Du kleine Schlampe."

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt