Kapitel 89

238 43 6
                                    


Seit fast einer Woche schlich ich jetzt schon um den heißen Brei herum und hatte immer noch kein Gespräch mit Luca geführt. Jedes einzelne Mal war irgendetwas dazwischen gekommen. Und mit jedem Tag fiel es mir noch schwerer einen Aufhänger für das Gespräch zu finden. Manchmal fragte ich mich, ob ich es nicht einfach vergessen sollte, denn ansonsten war wieder alles beim alten. Ich fuhr Luca zu seinem Job und holte ihn ab. Wir saßen zusammen auf dem Sofa und schauten unsere Lieblingsserie. Wir beschäftigten uns mit Espie und kochten gemeinsam....und trotzdem war irgendetwas anders....jedenfalls für mich. Ob es immer noch mein schlechtes Gewissen war, das mir das einredete, konnte ich nicht sagen. Vielleicht war es aber auch meine Lebenserfahrung, die mir andeutete, dass da etwas noch nicht geklärt war und mir sicherlich irgendwann auf den Fuß fiel.  Andererseits wollte ich auch nicht gleich wieder für Streit sorgen, in dem ich ein Gespräch begann, das Luca nicht führen wollte. Es war echt zum Verzweifeln und mit Lucy oder Lisa konnte und wollte ich auch nicht darüber sprechen, denn sie wären sofort wieder auf Luca zugestürzt. Irgendwie hatte ich aber das Bedürfnis zu reden. In meinem Kopf ging ich die möglichen Personen durch, die dafür in Frage kämen. Früher wäre das immer Paula gewesen. Alleine dieser Gedanke ließ mich schlucken. Manno, ich vermisste meine Freundin immer noch nach den ganzen Jahren.... und in solchen Momenten gleich noch einmal mehr. Ob es ihr wohl gut ging? Und ob sie mich auch manchmal vermisste? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst. So ein Blödsinn. Wieso sollte sie einen Junkie, der ihre Kinder in Gefahr gebracht hatte vermissen? Wo auch immer sie gerade war, würde sie garantiert keinen Gedanken an mich verschwenden....

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?" Ein Frau im mittleren Alter schaute mich leicht misstrauisch an. „Ähm ich suche Paula....Paula Kröger." Im Gesicht der Frau tauchte ein Lächeln auf. „Ach Sie suchen unsere Vorbesitzer." Vorbesitzer? Das hieß ja, Paula und Paul wohnten hier gar nicht mehr. Ich schaute enttäuscht auf den Blumenstrauß in meiner Hand. Ich hatte extra Paulas Lieblingblumen von meinem ersten Gehalt als Übersetzerin gekauft, um mich bei ihr zu entschuldigen. Ja, ich hatte einen Neuanfang gemacht, den ich auch durchziehen würde. Um so mehr brauchte ich aber auch die wichtigste Person aus meiner Vergangenheit. Jemanden, der mich so gut wie niemand anderes kannte und der mir Mut zusprach, dass ich das mit meinem Baby  schaffen würde und dass mir diesmal niemand mein Baby wegnahm. Ich legte meine Hand auf meinen runden Bauch und musste fest schlucken. „Wissen Sie, wo die Familie Kröger hingezogen ist?" In mir keimte die Hoffnung, dass die neue Besitzerin die Adresse von Paula vielleicht hatte, damit sie ihr noch Post nachsenden konnte. Alles was ich aber zu sehen bekam war ein bedauerndes Kopfschütteln. „Leider nein, wir haben uns nie getroffen. Das lief nur über den Makler."  Mist! Ich brauchte doch Paula wieder dringend in meinem Leben. So wie es schien, sie mich aber nicht.....

Warum ich da ausgerechnet heute dran dachte? Keine Ahnung. Vielleicht, weil morgen mein Geburtstag war und ich ihn wieder nicht wie früher mit Paula feiern würde. Schwermütig dachte ich an den verbrannten Napfkuchen, den sie Jahr für Jahr für mich gebacken hatte. Seit Paula nicht mehr Teil meines Lebens war, hatte ich auch nie wieder Geburtstag gefeiert. Komischerweise war das bis jetzt auch keinem meiner neuen Freunde aufgefallen. Sie wussten ja nicht einmal, wann ich Geburtstag hatte. Das war aber auch völlig okay für mich. Der Klingelton meines Smartphones riss mich aus meinen Gedanken. Tessa! Na nu, was wollte sie denn von mir? Vielleicht war das aber auch gerade die Antwort auf meine Frage, mit wem ich über mein momentanes Luca-Problem sprechen konnte. Sie gehörte schließlich nicht zu uns Verschwörern und hatte eine ziemlich gesunde Einstellung zum Leben. Außerdem hatte sie auch schon einen ziemlich guten Durchblick, was eine Partnerschaft anging, schließlich war sie trotz ihres jugendlichen Alters schon verheiratet und zweifache Mutter. Mit Einundzwanzig gab es wenige, die schon so reif waren. Das wichtigste war aber, sie hatte das Herz am richtigen Fleck. „Hallo Tessa", meldete ich mich also hoffnungsvoll. „Hallo Genia, ich wollte mal horchen, wie es meinem Patenkind geht."  Ja, damals war für mich sofort klar gewesen, dass sowohl Lucy als auch Tessa sich um meine Espie kümmern sollten, falls mir etwas zustoßen würde. Sie waren ja nicht nur meine rettenden Engel, sondern indirekt auch ihre. „Papa und ich bauen da nämlich so eine Zwergen Fußballgruppe auf, damit meine beiden kleinen Bienen auch endlich Fußball spielen können. Vielleicht wäre das ja auch was für Espie." „Nicht dein Ernst. Mein Sonnenschein ist noch nicht einmal drei Jahre und kann noch nicht einmal richtig sprechen." „Sprechen muss sie dafür ja auch nicht, nur laufen können. Und dat kann sie. Dat weiß ich." Ich musste lachen. Das war so typisch für Tessa. Alles drehte sich in ihrem Leben um Fußball und ihre Familie. „Du kannst auch gerne mitkommen. Der Erbsenzähler is ja noch Invalide so viel ich gehört habe." Da sie gerade von Luca sprach, war das doch ein guter Aufhänger. „Du Tessa, ich habe da mal eine Frage. Ich glaube, nein, ich weiß, dass ich riesigen Mist gebaut habe...." „Eh du warst doch nicht etwa wieder anschaffen oder hast dir was eingeklinkt. Ich sach, dir, dann reiss ich dir den Arsch..." „Nein, nein", unterbrach ich sie schnell, ehe sie noch weiter etwas Falsches dachte. „Ich habe versucht Luca dazu zu bringen, dass er wieder studiert und anstatt mit ihm einfach darüber zu sprechen, habe ich zusammen mit den anderen versucht ihn in die Richtung zu stupsen, aber leider habe ich mich dabei so blöd angestellt, dass er es gemerkt hat." Tessa fing an zu lachen. „Und jetzt hast du deshalb ein schlechtes Gewissen." „Ja", gab ich sofort zu. „Also ehrlich gesagt ist dat echt Scheiße, wenn du mit anderen, aber nicht mit ihm darüber redest. Aber dat weißt du ja jetzt, also entschuldige dich einfach und fertig. Der Erbsenzähler ist auch nur ein Kerl und die haben sowieso nur ein Vierzellen-Gehirn. Eine Zelle ist mit Essen, eine mit Sex und die dritte mit Fussball belegt. Das heißt du musst nur kurz warten bis eine neue Sache in der einzigen freien Zelle abgespeichert wird. Dat dürfte ja nich so lange dauern. Wahrscheinlich hat er dat schon längst vergessen und du machst dir nur einen Kopf." Ich musste lachen. Tessas Ansatz gefiel mir, auch wenn ich mir nicht sicher war, dass er wirklich auf Luca zutraf. „Also wat is mit der kleinen Möhre und der Zwergenmannschaft?" „Ich frage Espie, ob sie Lust hat, wenn sie nach dem Kindergarten nach Hause kommt." „Alles klar. Ein nein wird sowieso nicht akzeptiert. Denn Ciao Kakao. Bis morgen." Der Anruf war beendet und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Das war wieder so ein typischer Tessa Anruf. Dieses Mädel war immer im High-Energy-Level. Momentmal, warum hatte sie bis morgen gesagt? Blöde Frage. Wahrscheinlich erwartete sie, dass ich sie da zurückrief und ihr Espies Antwort mitteilte. Das war doch ganz logisch. Anstatt hier weiter blöd rumzugrübeln würde ich jetzt in der Küche verschwinden und Lucas Lieblingsessen zaubern. Ja, und nach der Lasagne würde ich mich einfach entschuldigen und fertig.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt