Alex parkte ihr Auto ein und stellte den Motor ab. „So, da wären wir." Ohne ein weiteres Wort stieg sie aus und ich tat es ihr gleich, ehe ich meinen Blick durch die Umgebung schweifen ließ. Wir waren hier in Düsseldorf und uns gegenüber war unschwer zu erkennen ein Friedhof. Auch wenn ich eine Ahnung hatte, was wir hier taten, stellte ich trotzdem meine Frage. „Was wollen wir hier?" „Wir gehen deine Mutter besuchen." Das war eine einfache Feststellung, die aber nicht wirklich Widerspruch duldete. „Ich nehme nicht an, dass du Blumen mitnehmen willst?" Sie deutete mit ihrem Kopf zu dem Blumenladen, der sich dort am Eingang befand. Ich schüttelte schnell den Kopf. Nein, ich wüsste nicht warum, obwohl......gehörte es sich nicht eigentlich so? Wahrscheinlich. Aber das traf dann nur auf Menschen zu, die nicht ihre Kinder vom Hof jagten. Die hatten sich wahrscheinlich Blumen verdient. Ich spürte, wie in mir wieder der altbekannte Frust aufstieg. Nee, ich würde hier nicht zu meiner Mutter dackeln und trauern. Bestimmt nicht! „Los komm jetzt!" Alex hakte sich bei mir unter und zog mich weiter. „Ich will aber nicht an ihr Grab", protestierte ich. „Du kommst jetzt mit!" Alex Worte duldeten absolut keinen Widerspruch. Was erwartete sie sich davon? Sie kannte das Verhältnis zu meiner Mutter doch mit am besten. Sie wusste genau, was meine Mutter mir angetan hatte. Sie war doch eine der Wenigen, die von meiner kleinen Carmen wussten. Und jetzt wo sie selbst Mutter war, musste sie doch erst recht verstehen, was es bedeutete, wenn einem das Kind einfach weggenommen wurde. Da spielte auch das Alter keine Rolle. Es tat einer Sechzehnjährigen nicht weniger weh als einer Sechsunddreißigjährigen. Während wir an den alten Grabsteinen vorbeiliefen, die den Weg säumten, spürte ich wie mit jedem Schritt die Wut mehr in mir hochkochte....„Ich will wissen, wo mein Kind ist!" Ich schmiss den Ordner wütend auf den Schreibtisch. Mama hatte mich gerade erwischt, wie ich in ihrem Büro die Ordner durchstöberte. „Wie dumm bist du denn? Du glaubst doch nicht wirklich, dass du hier irgendwelche Unterlagen findest." Der zynische Tonfall meiner Mutter machte mich noch wütender. „Sei lieber zu frieden, dass ich diesen Bastard aus deinem Leben entfernt habe, ehe er dir schaden konnte." Wie hatte sie meine kleine Carmen genannt? „Carmen ist kein Bastard, sondern meine Tochter, du alte Hexe." Sauer stürzte ich auf sie zu und ehe ich mich versah, zwiebelte es auch schon in meiner Wange. „Wage es dich nicht, mich einmal noch zu beschimpfen." Der Blick meiner Mutter schien zu glühen und ich spürte eine Angst in mir aufkommen, so wie sie mich anschaute. Mein ganzer Frust wurde schlagartig verdrängt und ich zitterte am ganzen Leib, während ich mir meine Wange rieb, die immer noch heftig schmerzte. Wenn ich jetzt nicht meinen Mund hielt, tat mir Mama bestimmt noch mehr weh......
Ja, nach diesem Vorfall hatte ich mich nie wieder wirklich getraut ihr meine Meinung ins Gesicht zu sagen, weil ich Angst vor ihr hatte. Ich hatte zwar versucht sie mit meinem Verhalten zu provozieren, aber ich hatte sie nie wieder wirklich verbal beschimpft. Bis zu dem Tag an dem sie mich aus dem Haus geworfen hatte! Alex zog mich in einen Gang hinein. Dort waren auf jeder Seite des schmalen Weges Gräber. Manchen sah man an, dass sie mit viel Liebe gepflegt wurden. Wahrscheinlich lagen dort Menschen, die von ihren Hinterbliebenen von ganzem Herzen geliebt wurden. Wir liefen an einem Grab vorbei, das mit bunten Blumen in Herzform bepflanzt war. Selbst der Grabstein hatte die Form eines Herzens und vor ihm lagen laminierte Kinderzeichnungen. Wahrscheinlich lag hier eine Mutter oder ein Vater eines noch ziemlich jungen Kindes. Sofort wurde mir mein Herz schwer und ich musste an meinen kleinen Sonnenschein denken. So etwas war doch das schlimmste, was man sich vorstellen konnte. Das arme Kind. „So, da sind wir." Alex blieb abrupt stehen und ich schaute zu dem Grab vor meinen Füßen. Auch dieses Grab machte einen sehr gepflegten Eindruck, aber es wirkte mehr wie eine sterile Gartenanlage ohne jede persönliche Ausstrahlung. „Dein Vater hat die Grabpflege einer Gärtnerei übergeben." Ich nickte und schaute auf den schlichten schwarzen Marmorgrabstein. Dort stand in schlichten silbernen Buchstaben Mamas Name und ihr Geburts- und Sterbedatum. Ich schlug mir schockiert die Hand vor den Mund. „Sie.....sie ist an....an Carmens fünfzehnten Geburtstag gestorben." Ich konnte es kaum fassen. War das das Zeichen, dass sie meine Tochter sozusagen mit in ihr Grab genommen hatte? Oder war es einfach nur als Zeichen einer Strafe zu sehen, weil sie genau an diesem Tag ihr größtes Verbrechen an mir und ihrer Enkelin begangen hatte? Ich wusste es nicht, aber ich hatte das Gefühl so langsam durchzudrehen. „Wie konntest du mir das alles nur antun?", platzte es aus mir heraus. „Hat es dir Spaß gemacht zu sehen, wie mein Leben wegen dir zerbrochen ist? Hast du dich daran aufgegeilt oder war ich für dich so unwichtig, dass es dich sowieso nicht interessiert hat?" Die letzten Worte hatte ich wütend ausgespuckt. Ja, hätte ich eine andere Mutter gehabt, wäre mir vieles erspart geblieben. „Ich muss dich aber enttäuschen, du hast es nicht geschafft, mich wirklich kaputt zu machen, weil es da nämlich Menschen gab, die mir geholfen haben." Ich lachte höhnisch auf. „Ja, ich habe eine süße Tochter, der es glücklicherweise erspart bleibt dich kennenzulernen. Und ich habe einen wunderbaren Freund, der uns beide liebt." Wieder entwich mir ein höhnisches Lachen. „Und er würde dir garantiert gegen den Strich gehen, weil er noch so jung ist. Ja, wir drei sind einfach nur glücklich und die ach so mächtige Birgit Schulz kann nicht das geringste dagegen machen. Nein, du liegst hier sicher und tief in der Erde verwahrt." Ich musste schniefen, obwohl ich es nicht wollte. „Das hast du wohl nicht erwartet. Du hast dich wohl für unsterblich gehalten oder warum hast du mich nicht enterbt?"
„Bärbel, das alles wird einmal dir gehören." Mama zeigte mit ihrer Hand herum. Ich nickte. Irgendwann würde mir der große Schreibtisch gehören. Mhm, was sollte ich damit? „Wenn du dann mit der Schule fertig bist, dann werden wir die Firma zusammen führen und irgendwann gehört sie dir dann, genau wie alles andere auch....
Oder hatte Mama das damals als ich noch klein war, wirklich so gemeint und sie hatte mit Absicht kein Testament verfasst?
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Schuss und Treffer - zum Comeback ✔️ Teil 12
RomanceGenia hat in ihrem Leben schon viele Höhen, aber noch viel mehr Tiefen gesehen. Und wer in seinem Leben schon auf dem Tiefpunkt war, der will nur noch in eine Richtung - nach oben - aber nicht mehr um jeden Preis, denn da gibt es auch noch ein klein...