Kapitel 17

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„Na siehste, war doch ganz einfach." Luca hatte sich den Schlitten über die Schulter gehängt und trug Espie auf dem anderen Arm. Mein kleiner Sonnenschein hatte sich so ausgepowert, dass sie schon fast vor dem Einschlafen war. Das Schlittenfahren hatte wirklich Spaß gemacht. Luca hatte mir erklärt, wie das Steuern mit den Füßen funktionierte. Zum Schluss waren wir dann sogar die ganze Zeit zu dritt gerodelt. Espie schien den Spaß ihres Lebens gehabt zu haben, denn sie hatte die ganze Zeit nur begeistert gequietscht und gar nicht aufhören wollen. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass das so einen Spaß macht. Manchmal kann man von euch Jungvolk echt noch etwas lernen." „Ja, ist klar, alte Frau!" Luca schüttelte seinen Kopf. „Als ob Rodeln so eine neue Erfindung wäre." Nein, war es nicht wirklich, aber....  „Meine Eltern haben damals nicht so Wert auf sportliche Betätigung gelegt. Sie waren mehr auf die Vermittlung von Werten und Wissen spezialisiert." Luca schaute mich nachdenklich an. „Das sollte jetzt keine Kritik sein. Sorry!" Ich schüttelte den Kopf. „So habe ich das auch nicht verstanden. Aber......." Ich schluckte kurz. „Aber sagen wir mal so, meine Jugend hat sich mit Sicherheit massiv von deiner unterschieden." Er nickte. „Magst du erzählen?" Ich kaute auf meiner Innenwange. Wollte ich davon erzählen? Eigentlich nicht. Eigentlich gab es da ja auch nicht wirklich viel zu erzählen. Egal! „Sagen wir mal so, meine Eltern hätten rodeln für Zeitverschwendung gehalten." Ich schüttelte kurz den Kopf. „Obwohl, das stimmt so nicht. Mein Vater hätte es wahrscheinlich genutzt, um mir mathematische Formeln zu erklären. Aber meine Mutter..." Ich winkte ab und spürte dieses wütende Gefühl in mir aufsteigen, dass sich jedes Mal in mir ausbreitete, wenn ich nur an sie dachte. „Meine Mutter hat wenig mit deiner Mutter gemein." Ich dachte an Lisa, die eine wirklich humorvolle Person war, die sich um ihre Kinder sorgte und der die Liebe für ihre Kinder auf die Stirn geschrieben war. Und dann sah ich da meine Mutter, die nur an ihren Job und die anderen Leute gedacht hatte. Ihr war die Familie und unser Glück völlig egal. Sie liebte ihre Job mehr als irgendetwas anderes. Die Firma stand immer über allem. Gerade hatte ich aber nicht die geringste Lust genau an diese Frau zu denken und meine Zeit damit zu verschwenden. Nein, ich hatte keine Lust mir den schönen Tag zu verderben und letztendlich wieder Magenschmerzen zu bekommen, weil ich mich so ärgerte.  „Wissen denn deine Leute wenigstens schon Bescheid, dass du wieder in Dortmund bist?" Ich konnte ja auch gleich einmal die Chance nutzen und das Thema noch einmal auf den Tisch bringen. In den letzten Tagen waren wir schließlich noch nicht bis zum Kern des Problems vorgedrungen und ein weiterer Anlauf konnte ja nicht schaden, besonders da ich ja versuchte behutsam vorzugehen und ihm etwas zu entlocken. „Ich habe am ersten Feiertag kurz mit ihnen telefoniert und ihnen ein frohes Weihnachtsfest gewünscht", brummte er neben mir. Okay, das sagte aber noch nichts darüber aus, ob sie wussten, wo er gerade war. „Paolo war wohl ziemlich begeistert vom Weihnachtsmann und Carmen hat ein neues Spiel für die Konsole bekommen, bei dem sie meinen Dad total alt aussehen lässt." Das sollte mich dann wohl von meiner ursprünglichen Frage ablenken. Meine Lebenserfahrung sagte mir, dass es da keinen Sinn machte weiter nachzubohren. Manchmal brauchte man seine Zeit. Das wusste keiner besser als ich.....

„Ach, meine Süße. Das ist gerade alles nicht leicht für dich." Frau Kowalski legte ihren Arm um meine Schulter und zog mich an sich. Es fühlte sich so gut an, von unserer Haushälterin in den Arm genommen zu werden. Sie hatte mich schon immer getröstet, wenn es mir nicht gut ging oder ich mir wehgetan hatte. Sie war immer dann da, wenn es Mama nicht war. Also eigentlich immer. „Du hast den Kerl ganz doll lieb und er will dich und das Kind nicht?" Ich nickte. Es tat so weh, dass Conny sich überhaupt nicht meldete, obwohl er doch wusste, dass ich schwanger war. „Und deine Mutter lässt dir keine Ruhe, weil sie wissen will, wer der Kerl ist." Ich nickte wieder. „Und du willst den Namen auf keinen Fall Preis geben, weil er dein ganz persönliches kleines Geheimnis ist und weil du hoffst, dass er dann doch wieder zu dir zurückkommt?" Wieder nickte ich wortlos. Ja, wenn ich Mama von Conny alles erzählte, würde sie sich garantiert auf ihn stürzen und er würde niemals wieder etwas von mir wissen wollen. Wenn ich aber schwieg, überlegte er es sich ja vielleicht doch noch. „Ich drücke dir die Daumen, dass sich dein Wunsch erfüllt und der Kerl sich eines Besseren besinnt. Und wenn er das nicht tut, dann ist er ein ziemlicher Dummkopf, der sich ein so liebes, blitzgescheites und nettes Mädchen entgehen lässt." Sie verzog ihr Gesicht. „Und so ein Dummkopf hätte dich niemals im Leben verdient. Außerdem bin ich mir ganz sicher, dass für dich auch bald die Sonne wieder scheint. Du bist stark und schaffst das auch alleine." Ein warmes Gefühl schwappte durch mich. Ja, Frau Kowalski hatte recht. Vielleicht war Conny wirklich ein Dummkopf, aber ich würde das mit unserem Baby auch alleine schaffen. „Wenn du Hilfe oder ein offenes Ohr brauchst, komme einfach zu mir."  Ich erwiderte ihr freundliches Lächeln. Es tat unheimlich gut, dass es da jemanden gab, der für mich da war. „Danke", flüsterte ich ganz leise. „Nicht dafür, meine Süße!" Frau Kowalski zog mich noch einmal fest in ihre Arme....

Manchmal brauchte man einfach nur Aufmerksamkeit, Zuneigung und Zeit. Also ließ ich es zu, dass Luca meine Frage nicht wirklich beantwortete. Und bis zum Dreikönigstag, wenn seine Familie wieder zurückkam, waren es ja noch fast zehn Tage. Bis dahin waren wir bestimmt schon weitergekommen, wenn ich es behutsam anstellte. „Brrr, so langsam wird mir echt kalt." Ich rieb meine Hände aneinander. Meine Wollhandschuh waren ganz nass gewesen und steckten in meinen Jackentaschen. Meine Füße waren auch wieder eiskalt. Wahrscheinlich befand sich an jedem meiner Zehen ein einzelner Eiswürfel. „Dann lass uns flott nach Hause gehen." Luca warf einen Blick auf die Sportschuhe an meinen Füßen und verzog sein Gesicht. „Also die richtigen Winterschuhe sind das aber auch wirklich nicht." Was er nicht sagte. Das war mir auch klar, aber ich hatte ja auch vor Weihnachten nicht mit so viel Schnee gerechnet und in den letzten Jahren hatten diese Schuhe mich ausreichend durch den Winter gebracht. „Was du nicht sagst, du Klugscheißer!", lachte ich. „Ja, ich bekomme halt nicht gerne kalte Füße", bekam ich prompt zur Antwort. So wie er es sagte, hatte ich das Gefühl, dass das auch im übertragenen Sinne zutraf. Das war doch gleich mal wieder eine Vorlage, die ich natürlich wenig subtil nutzte. „Ich übrigens auch nicht mehr. Ich bin in meinem Leben schon vor viel zu viel Sachen weggelaufen. Und das sollte man einfach nicht machen", zwinkerte ich ihm zu. Wie zur Bestätigung bahnte sich auch noch ein mächtiger Nieser seinen Weg aus meiner Nase.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt