Kapitel 88

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„Mama aufwacht. Wo Luda?" Mein kleiner Sonnenschein rüttelte an meinem Arm und riss mich damit aus dem Tiefschlaf, den ich scheinbar doch noch gefunden hatte. Die halbe Nacht hatte ich wach gelegen und mich hin und her gewälzt, während mir der Streit mit Luca über sein Studium nicht aus dem Kopf ging. Dieser sture Maulesel war nicht einmal in sein Bett gekommen und hatte scheinbar auf dem Sofa übernachtet. Verfluchter Mist. So hatte das doch überhaupt nicht laufen sollen. Wieso hatte ich nicht einfach ein vernünftiges erwachsenes Gespräch mit ihm gesucht, anstatt ihn gewissermaßen intrigant in eine Richtung zu schubsen, damit er selbst darauf kam. Auch wenn es zu seinem Besten war, war es trotzdem übergriffig und hinterhältig, schließlich hatte ich lieber mit anderen darüber gesprochen als mit ihm. Nein, das war keine Grundlage für eine Partnerschaft. Da musste man alles offen bereden. Ich biss mir auf die Lippe. Das hatte ich echt versemmelt. Und nein dafür gab es keine wirkliche Entschuldigung. Gut gemeint hieß nicht gut gemacht. Das wusste ich auch aus eigener Erfahrung, denn mein Papa hatte es bestimmt auch immer gut mit mir gemeint....

„Genia mein Schatz, schau mal, wen ich hier mitgebracht habe." Ich schaute zu dem Kerl neben meinem Vater, der ziemlich aufgeschossen war und an ein überlanges Thermometer erinnerte. „Also Chris Hemsworth oder Brad Pitt ist es nicht", war meine lapidare Antwort. Papa schaute mich irritiert an. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, von wem ich sprach. „Sind das Kommilitonen von dir?" Ja, er wusste definitiv nicht von wem ich sprach. Aber bei der Blassnase neben ihm zuckten immerhin die Mundwinkel. Hätte ich ihm überhaupt nicht zugetraut. „Also das ist Theo, mein neuer Doktorand", wandte Papa sich wieder an mich, ehe er sich der Blassnase zuwandte. „Und das ist meine Tochter Genia. Sie macht auch gerade den Master in Mathematik und wird dann ab nächstes Semester auch eine Doktorandenstelle bekommen." Wie bitte? Garantiert nicht. Alleine schon bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um. Nein, da hatte ich ganz andere Pläne. „Vielleicht solltet ihr euch schon einmal etwas über eine Zusammenarbeit unterhalten. Ich muss sowieso gerade noch einen Anruf tätigen." Mit den Worten ließ mein Papa uns stehen und verschwand in sein Arbeitszimmer. „War schön dich kennengelernt zu haben, Theo", wandte ich mich an unseren Gast. „Aber es wird mit Sicherheit keine Zusammenarbeit geben, weil...." „Weil man bei so viel Vitamin B sowieso durchgewunken wird?", grinste er mich abfällig an. Boah, unterstellte der mir gerade, dass ich zu dämlich war den Doktor zu machen? Das war ja lachhaft, wenn ich es wollte, wäre ich da schneller durch als der das Wort Mathematik buchstabieren konnte. Aber ich wollte nicht. Und dabei blieb es. Jedenfalls würde ich mich da von meinem Vater nicht gängeln lassen. Nicht schon wieder, nein, damit war jetzt Schluß. Ich würde meinen eigenen Weg gehen. Und seine hintergründige Beeinflussung konnte sich Papa auch sparen. Vielleicht wollte er mir den Kerl auch noch als seinen Schwiegersohn auf's Auge drücken. Bei dem Gedanken schüttelte ich mich innerlich. Dachte Papa eigentlich, dass ich so naiv wäre und nicht bemerkte, was er da geplant hatte?

Und jetzt hatte ich den gleichen Mist gebaut und es auch nur gut gemeint und genauso schlecht gemacht. Ja, mittlerweile war ich mir sicher, dass mein Vater nichts anderes damit bezweckt hatte, als mir den Einstieg als Doktorandin zu erleichtern. Aber er hatte es auch wenig subtil angestellt und meine eigenen Wünsche dabei überhaupt nicht berücksichtigt. Und genauso hatte ich das bei Luca auch gemacht. Ich war mir so sicher, dass das Lehramtsstudium das Richtige für ihn war. Aber anstatt offen mit ihm darüber zu diskutieren, hatte ich versucht, ihn zu beeinflußen und in diese Richtung zu drücken. Manno, war ich blöd. Und das ließ sich auch nicht mit gut gemeint rechtfertigen. Zu dem Ergebnis war ich in der ziemlich schlaflosen Nacht gekommen. „Wo is Luda?", riss mich mein kleiner Sonnenschein wieder aus meinen Gedanken. „Süße, der ist schon auf...." Nein ich würde nicht auch noch meine Tochter anlügen und ihr erzählen, dass er schon aufgestanden war. „...der ist im Wohnzimmer." Jedenfalls hoffte ich das, aber mit seinem gebrochenen Bein konnte er ja schlecht geflüchtete sein. Es sei denn, er hatte einen Fluchthelfer. Und das bezweifelte ich, denn alle Personen auf die das hätte zutreffen können, gehörten schließlich zu den Verschwörern aus seiner Sicht. Meine Tochter nickte und krabbelte wieder vom Bett, um ihren Weg ins Wohnzimmer einzuschlagen. Ich räufelte mich auch aus meinem Bett und folgte ihr. Im Wohnzimmer saß Luca bereits vor seinem Laptop....oder saß er da vielleicht immer noch? „Luda, morden!" Espie hüpfte gut gelaunt zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, während ich ihn eher forschend anschaute. „Guten Morgen, mein Spatzl!", liebevoll zog er Espie in seine Arme und knuddelte sie. Auch wenn er gut gelaunt schien, sagten mir die tiefen dunklen Schatten unter seinen Augen, dass er wohl genauso wenig, beziehungsweise schlecht, wie ich geschlafen hatte. „Luca, wir müssen reden", schoss es mir spontan aus dem Mund. Ja, ich wollte das Ganze jetzt sofort klären, ehe es noch länger zwischen uns stand. „Mama, is Hunda", Espie schaute mich so verzweifelt an als hätte sie das letzte Mal vor Wochen etwas zwischen ihre kleinen Beißerchen bekommen. „Ja Mama, jetzt ist Frühstückszeit und keine Redezeit", kam es von Luca. Da es aber halbwegs fröhlich klang, wog der Stein in meinem Magen nicht mehr ganz so schwer. Dann würde ich halt mit einem Gespräch warten bis ich Espie in die Kita gebracht hatte. Luca musste ja immer erst mittags anfangen. „Ich bereite das Frühstück vor, und ihr geht schon einmal ins Bad.", gab ich die Anweisung, die sofort mit einem Nicken Zustimmung fand. Ich konnte mich dann ja schnell fertig machen, wenn die beiden frühstückten. Mir würde heute eine Tasse Kaffee völlig reichen, denn bevor das Ganze nicht geklärt war, bekam ich sowieso keinen Happen hinunter. „Espie, wir müssen uns aber ein bisschen beeilen. Der Opa Leon ist nämlich bald da, um uns abzuholen. Wir bringen Espie heute in den Kindergarten. Du musst mich heute überhaupt nicht fahren. Das übernimmt mein Vater", ließ Luca mich dann auch noch wissen. Während ich ihn geschockt ansah, riss meine Tochter jubelnd ihre Arme in die Luft. „Opa tommt!" Dann musste ich das Gespräch wohl verschieben. Der Stein in meinem Magen hatte gerade wieder an Masse und Volumen zugenommen.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt