Kapitel 34

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„Ich bin wieder da!" Luca schmiss unüberhörbar seine Schlüssel in die Schüssel, die im Flur auf der Kommode stand. „Willst du einen Kaffee?", rief ich ihm zu und setzte mich schon einmal zu der Kaffeemaschine in Bewegung. „Ja, gerne!" Alles andere hätte mich auch gewundert. „Ich habe uns auch Semmeln mitgebracht." Er tauchte mit einer Bäckertüte in der Hand im Türrahmen auf. „Lass mich raten, Espie hat auch noch eine Butterbretzel für den Weg bekommen?" Er grinste mich an und nickte. Seit er hier wohnte, hatte er meine Tochter geradezu süchtig für dieses Laugengebäck gemacht. „Danke, dass du Espie heute in die Kita gebracht hast." Luca winkte lässig ab. „Kein Problem, sonst hätte ich es dir ja nicht angeboten. Es ist ja gestern ganz schön spät geworden." Ich musste schmunzeln. Ja, die Veranstaltung beim Wirtschaftsverband hatte sich wirklich ziemlich in die Länge gezogen. Glücklicherweise hatte mir mein Chef angeboten, dass ich mir für den Heimweg ein Taxi auf Firmenkosten nehmen durfte. Als ich mich gegen Mitternacht auf leisen Sohlen in die Wohnung geschlichen hatte, saß Luca gähnend vor dem Fernseher und war dann erst schnell in seinem Zimmer verschwunden. Mir hatte das ein echt gutes Gefühl gegeben, denn es bedeutete, dass er wirklich die ganze Zeit ein Auge auf meine kleine Espie gehabt hatte und für sie da gewesen wäre, wenn es einen Notfall bei ihr gegeben hätte. Noch cooler fand ich aber, dass er mir sogar vorgeschlagen hatte, dass ich ruhig etwas länger schlafen konnte und er meine Süße in die Kita brachte. So müde wie ich nach der Veranstaltung war, hatte ich das natürlich nicht ablehnen können. „Das war gestern so eine langweilige Veranstaltung." Alleine bei der Erinnerung daran musste ich schon wieder gähnen. „Keine Ahnung wieviele Vorträge über die neusten Möglichkeiten irgendwelche Subventionen abzuschöpfen." Ich schüttelte den Kopf. „Die sollten mal lieber nicht diesen Unternemen die ganze Kohle in den Hals werfen, sondern lieber in die Kinder und Jugend investieren." Wenn ich daran dachte, was mir gerade erst die Kitaleitung von Espie erzählt hatte, was sie für Probleme hatte Geld für nötige Sanierungsmaßnahmen zu beantragen, während die dicken Firmenkonten von Multimillionenunternehmen noch Zuwachs bekamen, weil sie sich legal ärmer machten als sie waren. Da konnte einem doch der Hals anschwellen. Luca zuckte mit den Schultern. „Kinder haben aber keine Lobby. Hier in Deutschland ist das ja fast alles noch Luxus, aber in Costa Rica.....und dann willst du nicht einmal wissen, wie es in anderen Süd- und Mittelamerikanischen Ländern aussieht. Ganz zu schweigen von Afrika." Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, wie ernst ihm dieses Thema war. Das konnte ich doch gleich mal als Aufhänger nehmen..... „Wieso kämpfst du dann nicht weiter für diese Kinder dort?" Luca verzog sein Gesicht. „Meinst du als Haushandwerker und Mädchen für alles würde ich da etwas erreichen?" Ich schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich nicht, also nur im ganz Kleinen. Also, dass sie sich da wohl und geborgen fühlen. Aber im Großen nicht." Ich schaute ihn nachdenklich an. „Aber warum versuchst du jetzt hier in Deutschland nicht die Chance zu ergreifen, etwas zu ändern?" „Ich! Was soll ich hier schon ändern? Soll ich in die Politik gehen, oder was?" Luca schüttelte seinen Kopf. „Nee, das musst du ja gar nicht. Du könntest aber etwas studieren, womit du Kindern direkt hilfst. Zum Beispiel Pädagogik. Es gibt nämlich viel zu wenig gute und engagierte Lehrer. Und viele kleine Rädchen ergeben dann auch eine große Wende." „Ich und Lehrer." Luca prustete los. „Das ist ja wie.....keine Ahnung......den Bock zum Gärtner machen. Ich bin damals selbst einmal kleben geblieben als wir umgezogen sind. Dieses ganze Korsett in der Schule hat mir nie gelegen. " Er winkte ab. „Das wurde erst in der Uni besser als ich selbst entscheiden konnte wie ich was lerne."  „Na dann wärst du ja umso besser geeignet, weil du die Fehler im bestehenden System sehen würdest." Wieder schüttelte er den Kopf. „Das ist doch Quatsch, das ist doch gar nicht gewollt." „Das kannst du gar nicht wissen. Vielleicht sind die anderen Pädagogen nur zu blind und unfähig dafür", widersprach ich ihm. „Mmm, können wir jetzt vielleicht frühstücken und nicht solche Diskussionen auf leeren Magen führen?"  Okay, da hatte wohl gerade jemand keine Lust auf dieses Thema. Dann machten wir halt eine kleine Pause, ehe ich zu dem Thema wechselte, dass mir eigentlich noch viel mehr auf der Seele brannte. Seine Familie! „Nee, müssen wir nicht. Gib mal ein Brötchen her." Ich langte nach der Bäckertüte und zog mir ein Brötchen heraus, das sich so richtig knusprig anfühlte und einen Duft verströmte, der mir das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Eine Viertelstunde später lehnte ich mich zufrieden auf meinem Stuhl zurück. „So, jetzt haben wir ja keinen leeren Magen mehr."  Luca gab ein Stöhnen von sich. „Warum wusste ich, dass das kommt?" Ich musste grinsen. „Na dann ist das ja keine Überraschung mehr." „Was es nicht besser macht." So wie er knurrte, konnte man ja fast Angst bekommen.  „Mensch Luca, ich meine es doch nur gut. Du solltest dich wirklich endlich einmal bei deiner Familie melden. Sie würden dir bestimmt mit Rat und Tat zur Seite stehen. Manchmal haben mehr Köpfe auch mehr Ideen", versuchte ich es ganz freundlich und kumpelhaft. „Gut gemeint ist aber keine Rechtfertigung für alles. Es geht dich überhaupt nichts an, wann ich mich bei meiner Familie melde. Und in dem Fall bedeuten mehr Köpfe nicht nur mehr Ideen, sondern mehr Beeinflussung." Er schüttelte wütend seinen Kopf und ein paar seiner lockigen Strähnen fielen ihm ins Gesicht. „Soll ich dir sagen, was passiert, wenn ich mich jetzt bei meiner Familie melde?" Er wartete gar nicht meine Antwort ab. „Jeden einzelnen verschissenen Tag steht dann ein anderer hier vor der Tür und ist der Meinung mich bespaßen zu müssen, natürlich verbunden mit neuen Vorschlägen, was ich denn mit meiner Zukunft anfangen soll. Mein Vater schleppt mich wahrscheinlich von einem seiner Spezis zum nächsten, um mir einen Einblick in potentielle Möglichkeiten zugeben und meine Mom organisiert wahrscheinlich schneller als der Weltrekordhalter im Sprint Vorstellungsgespräche oder Praktika für mich, während Lucy mich mit an die Uni schleppt." Okay, was wäre daran so schlimm? „Ich will einfach in Ruhe überlegen, was ich wirklich will. Ist das denn so schwer zu verstehen?" Eigentlich nicht, aber...... „Ich habe das Gefühl, dass du das noch nicht wirklich weißt und vielleicht etwas Unterstützung dabei gebrauchen könntest." Lucas Augen zogen sich zusammen. „Und wenn! Dann ist das auch meine Sache und nicht deine! Ich hänge mich ja auch nicht in deine Angelegenheiten, oder?" Ich verzog mein Gesicht. Da hatte er irgendwie Recht....  trotzdem.  „Du hast eine tolle Familie, die dir gerne hilft. Und dafür solltest du dich glücklich schätzen. So etwas hat nämlich nicht jeder. Und ich finde dein Verhalten ihnen gegenüber echt unfair. Sie sollten wissen, dass du hier bist. Und dann kannst du ihnen immer noch klar machen, dass du keine Einmischung willst." Er fing an ironisch zu lachen. „Genau! Keine Einmischung gibt es da nicht. Da kannst du deinen Arsch drauf verwetten. Du schaffst es ja schon nicht, dich nicht einzumischen, obwohl ich dir das gerade klar gemacht habe, dass ich das nicht möchte." „Das hast du gar nicht", protestierte ich und erntete ein belustigtes Schnauben. „Was verstehst du an, das ist meine Sache und nicht deine, nicht?" Ich schüttelte meinen Kopf. „Das sagt man doch nur so dahin." „Du bist unmöglich und total übergriffig."  Das hörte sich irgendwie gerade nicht sehr freundlich an. „Das stimmt doch überhaupt nicht." „Ignorant und uneinsichtig", erweiterte er seine Aufzählung. Musste ich mir das bieten lassen? „Und du bist sturer und uneinsichtiger als ein alter Maulesel", konterte ich. „Du weißt gar nicht, wie gut du es hast, dass du so eine tolle Familie hast, auf die du dich verlassen kannst. So etwas ist mit nichts zu vergleichen. Ich kann dir sagen, dass es nämlich richtig beschissen ist, wenn man auf sich alleine gestellt ist...." Ja, das konnte ich wirklich. Hätte ich vielleicht eine Familie wie Luca gehabt, hätte ich mit Sicherheit manch dumme Entscheidung in meinem Leben nicht getroffen, wie zum Beispiel die Fotos im Playboy und was darauf folgte.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt