Kapitel 11

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Das Lachen verging mir aber schnell wieder als sich meine Tochter neben ihrem großen Vorbild mit in die Hüften gestützten Armen genau wie er aufbaute. „Wir können doch jetzt nicht rausgehen. Was ist denn, wenn der Weihnachtsmann klingelt und wir nicht da sind. Wir müssen erst einmal auf den Weihnachtsmann warten. Dann können wir immer noch rausgehen." Was sollte denn der Blödsinn? Er wusste doch, dass das zu meinem Plan gehörte, weil kein Weihnachtsmann kam. „Jaaa, Weinatsmann waten." „Aber..." Ich setzte zum Protest an, als mich die Klingel unterbrach. „Das wird der Weihnachtsmann sein. Machst du schnell den Lebkuchenteller fertig. Auf Punsch muss er heute bei uns wohl verzichten." Wie, was sollte denn das? Die Zeit, dass ich mir von Männern irgendwelche Anweisungen geben ließ, war schon lange vorbei. „Sag mal geht's noch!" Was bildete der Kerl sich ein, mich hier vor meiner Tochter völlig unnötiger Weise herum zu scheuchen. „Mama, Weinatsmann Essen snell", wurde ich von seinem Erfüllungsgehilfen auch angetrieben. Was blieb mir also anderes übrig als zu folgen und in der Küche zu verschwinden....aber nicht ohne Luca noch einen feindseligen, unfreundlichen Blick zuzuwerfen. Dafür würde er später noch etwas zu hören bekommen. Das ließ ich mir mit Sicherheit so nicht gefallen. Andererseits würde ich hier jetzt keinen Streit vor den Augen meiner Tochter produzieren und ihr ihre Weihnachtsstimmung versauen. Nein, Streit hatte ich viel zu oft als Kind mitbekommen. Das sollte meiner Tochter erspart bleiben. Niemals sollte sie sich so schuldig daran fühlen, wie ich es immer bei meinen Eltern getan hatte. Wahrscheinlich würde sie gleich enttäuscht sein, weil jemand sich nur im Klingelknopf geirrt hatte. Egal, das würde sie dann ja merken und bestimmt doch noch mit einem kleinen Spaziergang einverstanden sein. „Mama snell!" Wie ein kleiner Blitz flog sie an mir zur Küche vorbei und zog sich ihren Hocker heran, um sich auf Zehenspitzen zum Schrank mit den Tellern zu strecken. Ich beeilte mich ihr zur Hilfe zu eilen und ihr einen Teller aus dem Schrank zu reichen, denn ein Unfall fehlte mir heute gerade noch. Mit ihren kleinen Fingern puhlte sie schon an der Plastikverpackung der Lebkuchen. Okay, so wie es aussah, war das keine Frustfreiverpackung, denn meine Tochter lief schon leicht rot im Gesicht an und ihre Finger schienen immer ungeduldiger daran zu zuppeln. „Sonnenscheinchen, du musst an diesem roten Faden ziehen." Ich machte ihr einen Anfang und sie zuppelte schnell weiter und schaute immer wie gejagt zur Küchentür. Im Flur war Rascheln zu hören. Vielleicht hatte Luca das so geplant, dass er den Sack schon vor der Tür geparkt hatte und ihn jetzt hereinholte und dann mit der Ausrede kam, dass der Weihnachtsmann schon weg war, weil er es eilig hatte zu den anderen Kindern zu kommen. Das war gar nicht so eine schlechte Idee, schoss es mir durch den Kopf und ich entschuldigte mich mental bei ihm für meine bösen Blicke. Aber er hätte mich ja auch einweihen können, die Zeit wäre schon noch gewesen, auch wenn es eine spontane Idee war. „Mama, snell!", wurde ich schon wieder angetrieben, während Espie von ihrem Hocker kletterte und schon zur Küchentür rannte und Richtung Wohnzimmer verschwand. Ich schnappte mir also den Teller mit den Lebkuchen, ehe ich noch einen Anpfiff von meiner Tochter bekam und machte mich auch auf den Weg....
„Mama, Mama Weihnatsmann!" Meine Tochter deutete ganz aufgeregt auf die Person, die im roten Samtmantel mitten in unserem Wohnzimmer stand und unseren Weihnachtsbaum betrachtete. Neben ihr stand der Sack mit den goldenen Schleifen aus dem Keller und das Paket mit dem Schaukelpferd und noch ein weiteres, das in Zeitungspapier eingepackt war. Wie kam dieser Weihnachtsmann hierher? Wer war das bitte? Und wer hatte ihn beauftragt? Diese Fragen drehten sich in meinem Kopf, als sich die Person zu mir umdrehte. Diese grünbraunen Augen kannte ich. Das ....nein, das war nicht Max, das war ... „Phil", platzte es überrascht aus mir heraus. Fast sofort ertönte ein leichtes Hüsteln hinter mir und Luca gab mir Augenzeichen. „Vielleicht möchte der Weihnachtsmann ein paar Lebkuchen zur Stärkung", rettete ich die Situation noch einmal schnell. Ein Blick zu Espie sagte mir, dass sie nichts von meinem Fauxpas mitbekommen hatte. Sie war dafür viel zu beschäftigt den großen Mann in dem roten Mantel mit dem weißen Bart anzuhimmeln. „Ja gerne, aber erst einmal möchte ich meine Geschenke verteilen. Liebe Mädchen sollte man niemals warten lassen." Phil zwinkerte mir zu, ehe er sich hinunter kniete, so dass er mit Espie auf Augenhöhe war. „In meinen Notizen von meinen Elfen steht, dass du immer ganz artig bist und deiner Mama ganz viel hilfst." Espie nickte eifrig. „Ja, is hilf!", bestätigte sie aber sicherheitshalber auch noch einmal. Das war so süß, dass ich schlucken musste. „Wollen wir denn mal schauen, was die Elfen mir für dich eingepackt haben?" „Ja, sauen." Mein kleiner Sonnenschein nickte dem Weihnachtsmann ehrfürchtig zu. Phil griff in den geschmückten Sack und zog das erste Paket hervor, das er Espie reichte. Enthusiastisch riss sie das Papier auf. „Puppe!", strahlte sie. „Na da schauen wir doch, was wir da noch haben." Phil griff erneut in den Sack und beförderte ein Geschenk nach dem anderen heraus. Als sich der Inhalt dem Ende geneigt hatte, griff er noch einmal hinein und holte noch zwei Sachen heraus. Mir reichte er ein kleines Paket und Luca vermutlich eine Flasche. „Ihr sollt wohl auch ganz artig gewesen sein, zwar nicht sowie Espie, deshalb bekommt ihr auch nur ein Geschenk, aber...." Er zuckte frech grinsend mit den Schultern und zwinkerte. „Der Abend ist ja auch noch lang" „Senk Luda!" Espie kletterte unter den Weihnachtsbaum und holte den Umschlag hervor, den ich dort für Luca deponiert hatte. Da wusste ich ja noch nicht, dass er den ganzen Plan über den Haufen warf. Espie drückte den Umschlag dem Weihnachtsmann in die Hand. „Scheinbar habe ich noch eine neue Elfe", Phil strich meiner Kleinen grinsend über den Kopf und reichte den Umschlag an Luca weiter, der mich erstaunt anschaute. „Hier sind ja auch noch zwei große Geschenke." Phil tippte auf den Karton, in dem sich das Schaukelpferd befand, ehe er auf das andere Geschenk tippte, das von Luca sein musste. „Da muss ich wohl noch mal mit meinen Elfen sprechen, Zeitungspapier....ehrlich!" Phil schüttelte empört seinen Kopf. „Die Elfe muss ich wohl ersetzen." Espie schien das weniger zu stören, denn sie himmelte beide Pakete an. „So, jetzt muss ich aber weiter, die anderen Kinder wollen ja auch noch ihre Geschenke." Espie nickte nur abwesend, während sie immer noch die beiden großen Geschenke anstarrte. „Lebduchen", fiel es ihr dann doch noch ein und sie rannte zum Tisch auf dem ich den Teller abgestellt hatte. „Au Danke, da nehme ich mir noch zwei als Wegzehrung mit." Phil griff zu und strich Espie über ihr Haar. „Jetzt muss ich aber wirklich los. Bringst du mich noch zur Tür?", wandte er sich an Luca, der ihm sofort folgte. Ich lief schnell zur Wohnzimmertür, um sie zu schließen, damit wir nicht doch noch vor Espie aufflogen, wenn die beiden sich vielleicht noch kurz im Flur unterhielten. Obwohl ein Blick auf meine Tochter sagte mir, dass sie wahrscheinlich momentan nicht einmal einen Weltuntergang mitbekommen würde. „Kommst du Silvester zur Party? Maja würde sich garantiert freuen", hörte ich auch schon die Stimme des Weihnachtsmanns. „Denke nicht", brummte Luca. „Kannst es dir ja noch überlegen. Also schönen Abend noch. Ich habe ja noch ein paar Stationen vor mir." Ich hörte wie die beiden miteinander einschlugen und die Wohnungstür sich schloss. Schnell wendete ich mich um, ich wollte ja nicht beim Lauschen erwischt werden. „Mama, daf is?" Espie schaute mich um Erlaubnis heichend an und legte ihre Hände schon an das Geschenkpapier. Ich nickte ihr zu und sofort ertönte das Reißen von Papier. „Was das?" Mit großen Augen starrte sie das Holzteil vor sich an. „Das ist ein Schlitten. Damit können wir den kleinen Berg hinter dem Haus runterrutschen, jetzt wo doch Schnee liegt. Und deine Mama und ich können dich damit durch die Gegend ziehen." „Ein Slidden", quietschte meine Tochter vergnügt auf. „Mama, snell anziehen." Das Schaukelpferd musste wohl noch darauf warten aus seiner Verpackung befreit zu werden. Die Kleine stürzte an mir vorbei in den Flur und suchte bereits nach ihren Stiefeln im Schuhregal. „Sorry, dass ich gar kein Geschenk für dich habe", raunte mir Luca zu. Er hatte sich hinter mich gestellt. „Ich dachte nicht, dass wir uns etwas schenken." Gerade kam ich mir mit meinem Gutschein für eine Bahnfahrt nach Bochum echt blöd vor, auch wenn ich mir mit dem Basteln viel Mühe gegeben hatte. Aber vielleicht freute er sich ja doch darüber, jetzt wo er auch noch so viel von seinem Geld für Espie ausgegeben hatte, obwohl er doch so klamm war. So ein Schlitten war ja nicht billig. Ich fragte mich sowieso, wo er ihn so schnell noch aufgetrieben hatte......genau wie den Weihnachtsmann.
Ich drehte mich zu Luca um, der mich schuldbewusst anschaute. Wusste er eigentlich, dass er mir mit Espies glücksstrahlendem Gesicht, als sie den Weihnachtsmann anschaute, das größte Weihnachtsgeschenk gemacht hatte? Denn das Glück, dass aus meiner Tochter strahlte, war für mich mehr wert als alles andere auf dieser Welt.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt