Kapitel 30

216 41 10
                                    


„Nat, Mama!" Espie schmiegte sich an mich, als ich ihr einen zarten Kuss auf ihre Stirn hauchte. Ich musste wieder schlucken. Irgendwie war ich heute noch emotionaler als an den anderen früheren Geburtstagen von Carmen. Schon irgendwie komisch, denn eigentlich sollte ich doch schon langsam abgestumpft genug sein.  „Gute Nacht, mein Sonnenschein, schlaf schön und träum was Süßes." Ich stopfte noch ihre Deckbett um sie fest und lief langsam zur Tür. Seit meinem Gefühlsausbruch auf dem Spielplatz hatte Luca versucht den Rest des Tages so zu gestalten, dass Espie nichts von meinem emotionalen Zustand auffiel. Er hatte zusammen mit ihr in der Küche unser Abendbrot gezaubert und sie beschäftigt. Um mich zu verwöhnen hatten sie sogar Schokopudding gekocht. Ich musste schmunzeln. Das war schon echt süß von den beiden. Ja, Schokopudding machte alles besser, wenn es einem mal nicht so gut ging. Aber genau durch diese nette Geste war ein Entschluss in mir gereift, den ich unbedingt sofort umsetzen musste. Mein Weg führte mich also geradewegs zurück ins Wohnzimmer, wo Luca auf dem Sofa saß und nachdenklich zum Fernseher schaute. Scheinbar liefen gerade die Nachrichten. Ich räusperte mich. „Luca, ich würde gerne etwas mit dir besprechen." Sein Kopf flog in meine Richtung und er nickte. „Ja, klar." Mit der Fernbedienung schaltete er den Fernseher aus. Das nannte ich mal aufmerksam. Die meisten Männer hätten wahrscheinlich nicht einmal den Ton reduziert, noch mir ihre ganze Aufmerksamkeit zukommen lassen. „Ich kann mir schon denken, worum es geht." So, konnte er? Das verwunderte mich, denn bis vor kurzem war das ja noch gar kein Thema. „Du willst, dass ich endlich ausziehe." Erstaunt schüttelte ich den Kopf. „Nee eigentlich nicht." „Oh, okay!" Er kratzte sich im Nacken „Über was möchtest du dann sprechen?" „Also ich möchte schon über unsere Wohnsituation sprechen, aber nicht, dass du ausziehst. Eigentlich wollte ich dir anbieten, dass wir wirklich eine WG mit festgeschriebenen Regeln gründen." Ja, Linus Idee war gar nicht so abwegig, wenn man es genau betrachtete. Alleine schon heute morgen hatte ich ja feststellen können, was eine WG für mich für Vorteile hatte. Und da ich ja momentan durch unseren Mietvertrag sozusagen das Hausrecht hatte, konnte ja eigentlich nur ich ihm das WG Angebot machen. Er hätte ja höchstens die Möglichkeit mich wegen Eigenbedarf rauszuklagen. Und ehrlich gesagt fand ich es schon ziemlich sympathisch, dass er diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht zog. Lucas überraschter Blick lag auf mir, aber er sagte kein Wort. „Linus hat ja recht, wir hätten beide etwas von der WG", fuhr ich fort. Der finanzielle Aspekt war für mich nämlich schon sehr ansprechend, schließlich wollte ich meiner Tochter so viel wie möglich bieten.....und wenn das mit der WG gut lief, mussten wir uns vielleicht nächstes Jahr auch gar nicht umorientieren, sondern konnten so weitermachen. Das wäre für meinen Sonnenschein auch viel besser, wenn sie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurde und sich erst einmal wieder irgendwo anders ganz neu zu recht finden musste. Außerdem liebte sie Luca abgöttisch. Das war auch ein Grund, der es mir leicht gemacht hatte, mich für die WG Idee zu erwärmen. Luca räusperte sich und fing an zu grinsen. „Also, wenn du das ernst meinst.......ich bin sofort dabei." So wie es schien, war ihm wohl gerade ein Felsbrocken vom Herzen gefallen. „Ehrlich gesagt möchte ich nämlich absolut nicht nach Bochum zu meinen Eltern ziehen und wie ein Kleinkind betuddelt werden." Das war etwas, was ich gut verstehen konnte, auch wenn mit Sicherheit zwischen Lisas und Leons Betuddlungsversuchen eine meilenweite Differenz zu den Bevormundungen und Übergriffigkeiten meiner Eltern lagen, die ich hatte ertragen müssen.....

„Genia, ich habe da ein unglaublich interessantes Projekt für dich an Land gezogen." Meinem Vater strahlte die Begeisterung förmlich aus dem Gesicht. „Wenn du es gescheit anstellst, kannst du nicht nur deine Masterarbeit darüber schreiben, sondern gleich mit deiner Promotion weitermachen. Du kennst doch Professor Wiedenstroh?" Oh ja, ich kannte diesen komischen Trottel. Er war so um die vierzig und sah aus als wäre er immer blind, wenn er sich anzog. Ich hatte in meinem Leben noch keinen Menschen erlebt, der mit so unpassenden Sachen herumlief, wie dieser Typ. Außerdem fand ich ihn total ätzend, weil er mich immer so creepy anstarrte. „Er wird dir mit Rat und Tat zur Seite stehen." Ähm, nicht, wenn ich es verhindern konnte. „Wusstest du, dass er auch Single ist? So ein Professor hat ja eine sichere Stellung und ihr hättet mit Sicherheit den gleichen Horizont. Nur mal so am Rande erwähnt." Papa zwinkerte mir lächelnd zu. „Du bist ja jetzt auch langsam in dem Alter, wo du dich in eine feste Beziehung begeben könntest."  Ach wirklich? Bis vor ein paar Tagen hatte ich immer nur zu hören bekommen, dass ich mich in mein Studium knien und an meine Zukunft denken sollte. Und wer konnte schon glauben, dass ich mit fast dreiundzwanzig alt genug für eine Beziehung war. Ich musste ein ungläubiges Lachen unterdrücken. Wenn Papa wüsste, dass ich mein Leben durchaus zu genießen wusste......aber mit Sicherheit nicht mit so einem ollen verpeilten Prof. Nee, da gab es weitaus interessantere Exemplare auf diesem Planeten. „Ach Johannes, hör doch mit diesem komischen Typen auf. Deine Tochter braucht keine geregelte Armut.", mischte Mama sich ein. „Du könntest aber nächstes Wochenende bei unserem Firmenempfang mir zur Seite stehen. Ich lasse dir die Woche auch mal ein paar nette Cocktailkleider zukommen und mache dir einen Termin bei der Kosmetikerin, damit du top in Schuss bist. Auf dem Empfang sind ein paar sehr interessante junge aufstrebende Firmenchefs. Also abgesehen davon, dass ich von dir eine gewisse Umgänglichkeit erwarte, kannst du auch gleich die Chance für dich nutzen und ein paar zukunftsträchtige Connections knüpfen. So ein gutlaufendes aufstrebendes Unternehmen im Hintergrund, garantiert dir einen guten Lebensstil, den du mit deinem Studium dir garantiert nicht leisten kannst." Mamas Blick ging zu Papa „und mit einem armseligen Professor schon gar nicht. Du musstest ja unbedingt Mathe studieren." Und wenn ich die Einstellung meiner Eltern mitbekam, dann waren sie wohl nicht der Meinung, dass es mir möglich war, meinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Wenn sie wüssten, was ich geplant hatte, dann würden sie wahrscheinlich beide in Mord und Gezeter ausbrechen oder tot umkippen.....

„Na, dann ist das ja geklärt. Wir werden ein WG!" Ich hielt Luca meine Hand hin, damit er einschlug.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt