Kapitel 101

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Ich lief in die Küche, um zu schauen, ob die Kaffeemaschine auch wirklich an war. Ja, das leise Tropfgeräusch bestätigte das, was mir auch der rot leuchtende Powerschalter sagte. Die Maschine war an. Vielleicht sollte ich....ja, natürlich sollte ich auch ein paar Kekse auf den Tisch stellen. Nervennahrung konnte nie schaden, besonders nicht, wenn es sich um ein nicht ganz so einfaches Gespräch handelte. Ich öffnete die Schranktür vor mir. „Verflucht!" Hatten wir echt nur noch diese Kinder-Tierkekse da?  „Was suchst du denn?" Luca war hinter mir aufgetaucht. Scheinbar hatte er mich wohl fluchen gehört. „Wir haben nur noch Espies Kekse? Die kann ich doch meinem Vater nicht anbieten. Oder soll ich sagen, hier bedien dich, die Nashörner schmecken besonders gut?" „Wieso nicht?" Luca grinste breit. „Orgh, weil mein Vater die leckeren Kekse von Frau Kowalski mit Schokoglasur gewöhnt ist. Und weil...." Ich hob meine Hände in die Luft. „Na dann ist es doch prima, wenn er mal etwas anderes kennenlernt. Ich finde die Dinger auch ziemlich lecker." Ehe ich mich versah, hatte sich Luca die Tüte geschnappt und geöffnet. Das erste Nashorn verschwand in seinem Mund und mir hielt er auch eins hin. „Hilft garantiert gegen deine Nervosität", schmatzte er. „Ich bin nicht nervös", protestierte ich und Luca fing so an zu lachen, dass er sich fast verschluckte. „Seit dem Anruf bei deinem Vater vor einer Stunde rennst du hier herum wie ein Huhn ohne Kopf. Das nenne ich schon nervös." Okay, vielleicht hatte er recht. Aber wie hätte ich auch damit rechnen sollen, dass mein Vater zusagte sofort hier bei uns vorbeizukommen? Es war ein Vormittag an einem ganz normalen Wochentag. Früher hätte mein Vater mich auf den Abend vertröstet, wenn er aus der Uni zurück war, aber heute hatte er einfach gesagt, dass er in einer Stunde bei mir wäre. „Spatzl, komm mal her." Luca zog mich in seine Arme und ich legte meinen Kopf an seine Schulter. „Du hast überhaupt keinen Grund nervös zu sein. Ihr sprecht euch ganz in Ruhe aus und ich halte mich ganz im Hintergrund. Wenn du mich brauchst, rufst du einfach." Diese Tatsache beruhigte mich wirklich ein wenig. Wenn ich wusste, dass Luca in meiner Nähe war, konnte ja eigentlich gar nichts schief gehen.....außer dass ich nicht wusste, was ich meinem Vater sagen wollte. „Ich....ich weiß noch nicht einmal worüber ich mit ihm reden will", platzte dieser Gedanke aus mir heraus.  „Lass ihn doch erst einmal reden und dann kommt das schon ganz von alleine", versuchte Luca mich zu beruhigen. Ja, versuchte, denn es klappte nicht ganz. Nein, normalerweise ging ich immer gut vorbereitet in ein Meeting. Das hatte dafür gesorgt, dass ich in meinem Job eine gewisse Reputation hatte. Okay, aber das war hier nicht mein Job sondern meine Familie.....ehe ich diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, ertönte die Türglocke. „Das....das muss er sein." Luca nickte und humpelte in Richtung Türöffner los. „Dann wäre es wohl besser, wenn wir ihn hereinlassen." Ich folgte ihm und atmete noch einmal tief durch. Ja, Luca hatte recht. Meine Fragen würden schon von alleine kommen, schließlich hatten sich in den ganzen Jahren genug in meinem Kopf angesammelt, die wahrscheinlich nur darauf warteten freigelassen zu werden.
„Hallo Luca!" Mein Vater reichte meinem Freund lächelnd die Hand, ehe sein Blick zu mir wanderte. „Genia!" Ich kannte diesen Klang seiner Stimme sehr gut. Er war unsicher. Irgendwie ließ es mich aufatmen, denn es bedeutete, dass es ihm nicht anders als mir selbst ging. Das war gut....ja wirklich gut, denn dann war er mir wenigstens nicht überlegen und wir waren auf Augenhöhe. „Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Ich habe mich gleich nach unserem Anruf ins Auto gesetzt, um herzukommen, aber auf der A40..." „war mal wieder Stau", unterbrach Luca seine Entschuldigung. „Ich frage mich, wann da mal keiner ist. Das ist echt immer zum Verzweifeln. Da können meine Eltern auch ein Lied von singen. Die wohnen nämlich in Bochum." Okay, mein Freund versuchte erst einmal mit Smalltalk das Ganze etwas aufzulockern, während wir ins Wohnzimmer liefen. „Es ist aber schön, dass Sie gleich herkommen konnten." „Ich fände es schön, wenn du mich duzen würdest. Schließlich bist du der Freund meiner Tochter. Ich bin einfach nur Johannes, okay." Luca nickte grinsend und ich....ich schaute wahrscheinlich ziemlich überrascht, denn ganz so locker war mein Papa früher nicht. Klar hatte er nie groß Wert auf seinen Titel gelegt, aber trotzdem konnte ich mich nicht daran erinnern, dass er jemandem so schnell das Du angeboten hätte. Okay, da wäre meine Mutter wahrscheinlich auch auf die Barrikaden gegangen. Das würde sie jetzt wahrscheinlich auch gerade, wenn sie wüsste, dass er hier bei uns saß und sich mit meinem fast fünfzehn Jahre jüngeren Freund unterhielt und ihm das Du anbot. Sie würde hier wahrscheinlich Mord und Zeter brüllen. In ihren Augen wäre es mit Sicherheit eine Schande. Es ziemte sich nicht mit einem so viel jüngeren Mann zu verkehren, geschweige denn liiert zu sein. Was würde sie erst zu ihrer Enkeltochter sagen, deren Vater ein Freier gewesen war, den ich nicht einmal benennen konnte. Wahrscheinlich wäre das hier das moderne Sodom und Gomorrha für den Drachen. Andererseits hatte sie sich ja sowieso schon vor langer Zeit ihre Meinung über mich gebildet. Also würde es sie vielleicht nicht einmal schockieren. Schließlich hat sie mich ja damals schon für eine Hure gehalten. Alleine bei der Erinnerung schauderte es mich. War ich vielleicht in das Ganze nur aus diesem Grund hinein geschliddert? War es meine Art gewesen ihr eins auszuwischen? So nach dem Motto, du wolltest es ja nicht anders, jetzt bekommst du es auch. Nein, das wäre nicht wirklich fair, das zu behaupten. Außerdem würde ich es mir damit etwas zu leicht machen. Aber andererseits war sie auch nicht unschuldig. Mit ihrem Verhalten und ihren Erwartungen hatte sie mich schließlich in die Ecke getrieben. Mein Blick wanderte zu meinem Vater, der mich die ganze Zeit betrachtete als wollte er sich jeden Millimeter von mir einprägen. Das konnte doch nur eins bedeuten....er wusste, dass das hier nicht von langer Dauer war. „Weiß sie, dass du hier bist?", platzte auch schon die entscheidende Frage aus mir heraus.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt