Kapitel 73

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„Ja was denkst du denn, was ich für einen Job machen sollte? Du glaubst es nicht, aber der Arbeitsmarkt wartet nicht gerade auf Studienabbrecher mit Auslandserfahrung." Luca schaute seine Schwester sauer an. Mir war klar, dass dieser Job nicht gerade sein Traumjob war. Schließlich hatte ich ja mitbekommen, wie er tagelang am Laptop gesessen und nach Jobs gesucht hatte. „Aber...aber du hast doch Ahnung von Wirtschaft und du hast damals doch in Barcelona in der Agentur gearbeitet. Soll ich Andi mal fragen, ob sie nicht einen Job in der Agentur für dich haben?" Oh oh, genau diesen Vorschlag hatte ich auch schon gemacht und das Ganze war in einem handfesten Streit geendet. „Wenn ich da jobbe, dann reibt sich Dad doch die Hände. Das ist fast so, wie bei ihm angekrochen zu kommen. Du weißt schon, dass ein Anteil der Agentur Mom gehört. Und die ist auch auf seiner Seite. Ich schaffe das alleine! ",knurrte er diesmal seine Schwester nur an.  Das war aber wahrscheinlich seiner Müdigkeit geschuldet, denn die tiefen Augenringe und seine ganze Ausstrahlung ließen darauf schließen, dass er einen ziemlich anstrengenden Tag hinter sich hatte. „Vielleicht mache ich ja demnächst meinen Personenbeförderungsschein, wenn ich genug Geld beisammen habe und werde Taxifahrer." Lucy prustet los. „Du und Taxler, das ist doch nicht dein Ernst." „Wieso nicht?" Für Luca schien das durchaus eine Option zu sein. „Weil du viel zu schlau bist, um im Taxi oder auf dem Fahrrad nur durch die Gegend zu gurken. Du gehörst wieder an die Uni." Luca schüttelte entschieden den Kopf. „Ich wüsste ja nicht einmal, was ich studieren sollte. Für alles mit Wirtschaft bin ich gesperrt. Und niederländische Kunstgeschichte sorgt auch nicht gerade für den Lebensunterhalt. Außerdem kann ich mir Uni nicht leisten. Was meinst du, wer die Rechnungen bezahlt. Kleiner Tipp, der Dekan ist es nicht." Er löste das Haargummi und schüttelte seinen Haare auf.   „Aber es gibt doch Studienkredite", wagte Lucy einen weiteren Vorstoss. „Hör mir mit Krediten auf. Was meinst du, wer mir in der Situation einen Kredit gibt? Außerdem hat mit dem Mist doch damals die ganze Misere angefangen. Hätte ich nicht die Abzahlungen für die Wohnung gehabt, dann hätte ich mich auch nicht so gestreßt und diese dämliche Herzmuskelentzündung bekommen." „Genau wegen der dämlichen Herzmuskelentzündung solltest du jetzt auch nicht so einen anstrengenden Job machen." Lucy schaute ihren Bruder besorgt an. „Und mit der Wohnung im Hintergrund bekommst du garantiert einen Kredit." Ja, okay, da würde wohl keine Bank nein sagen, schließlich hatten Lucas Eltern die Wohnung damals, bevor er nach Costa Rica gegangen war, komplett abbezahlt. Das wusste ich. Luca schüttelte seinen Kopf. „Die Wohnung ist Tabu. Ich will nicht, dass Genia und die Kleine auf einmal auf der Straße sitzen, wenn etwas schief geht. Ich habe schließlich Verantwortung für meine Familie zu tragen." Bei diesen Worten zwinkerte er mir liebevoll zu und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Es war schön zu wissen, dass er das so sah. Aber auch ich würde verhindern, dass es jemals dazu kommen würde, dass wir drei auf der Straße saßen. Nein, die Erfahrung brauchte nun wirklich keiner.....

Es war saukalt und dunkel, als ich mich in diesem stinkenden, schmutzigen Schlafsack zusammen rollte. Wenigstens hatte ich aber einen. Dieses Glück hatte nicht jeder Obdachlose. Genau wie die Thermomatte auf der ich lag. Mein Magen begann zu knurren. Verflucht, ich hatte heute einfach nicht genug Flaschen gefunden, um mir etwas zu kaufen. Und das Betteln hatte auch nicht wirklich funktioniert. Meine Hand ging zu meinem runden Bauch, der schon sehr deutlich zu sehen war. „Sorry, Kleines, aber Mama hat heute total versagt." Was hieß hier eigentlich heute? Die ganzen letzten Jahre waren eine totale Katastrophe. Aber das jetzt war der Tiefpunkt. Ich schaffte es nicht einmal dafür zu sorgen, dass mein ungeborenes Kind in mir versorgt war. Mein Blick ging zum Himmel und ich sah die vielen Sterne dort oben. Früher als ich noch klein war,  hatte mein Papa immer gesagt, dass hinter jedem Stern ein Wunsch steckte, der sich erfüllte. Ich fixierte einen der Sterne. „Bitte lass mich wieder in ein normales Leben zurückkehren." Ich spürte, wie sich eine Träne aus meinen Augen löste. Ja, ich wollte hier weg. Aber wie? Ich sah keinen Ausweg, wenn kein Wunder geschah. Wer keinen Job hatte, konnte sich keine Wohnung leisten. Und wer keine Wohnung hatte, bekam keinen Job. Das war eine Teufelsspirale in der man sich befand und aus der man nicht mehr herauskam, wenn man erst einmal durch das soziale Raster gefallen war. Es war einfach aussichtslos. Ein leises Rascheln neben mir ließ mich aufschrecken. Bah, eine Ratte. Gänsehaut überzog mich und ich sprang auf.  Ich hasste diese leuchtenden Augen in der Dunkelheit. Nein, ich wollte hier unbedingt weg und nicht zusammen mit Ratten leben. Mein Blick wanderte wieder hoch zum Sternenhimmel. Bitte lass einen Stern für mich dabei sein!

Mein Blick fiel zu Lucy. Ja, der Sternenhimmel hatte einen Stern für mich gehabt und sie mir geschickt.  „Dumbo, kannst du mir helfen? Ich verstehe Mathe überhaupt nicht." Carmen schaute ihren Onkel bettelnd an. „Na klar, deine Mama hat da ja sowieso keinen Durchblick. Die kann nur was mit Sprache und Buchstaben anfangen, aber nicht mit Zahlen." Es war als wäre die Müdigkeit von Luca abgefallen und er schaute seine Schwester herausfordernd an. Lucy zuckte nur mit den Schultern. „Wo er recht hat, hat er recht. Deshalb werde ich ja auch Logopädin und nicht Wirtschaftsmogul." „Wie läuft denn das Studium so?" Das interessierte mich wirklich, denn ich fand es bewundernswert, dass Lucy das trotz der zwei Kinder so strikt durchzog und auch schaffte. Während sie mir von den einzelnen Kursen erzählte, beobachtete ich Luca, der Carmen etwas erklärte. Die Kleine hing mit leuchtenden Augen an seinen Lippen und nickte eifrig. Genau in diesem Moment wurde mir klar, dass es für Luca nur eine Sache gab, die für ihn als Job in Frage kam. Und davon würde ich ihn auch noch überzeugen. Die Frage war nur, wie.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt