Kapitel 15

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„Costa Rica ist landschaftlich wunderschön", sprudelte es sofort aus Luca heraus. „Das Land ist so vielfältig. Einerseits hast du weiße Strände und andererseits den Dschungel und die wilde Natur. Es ist unglaublich, was dort für Pflanzen blühen. Diese Farbenpracht." So wie es schien, war also die Landschaft und Natur nicht der Auslöser für seine Flucht gewesen. Aber das hatte ich auch nicht wirklich erwartet. Vielleicht war es dann ja Zeit für den nächsten Schritt. „Und du hast dort in einem SOS Kinderdorf gearbeitet?" Luca nickte. „Ja, ich bin dort so hineingerutscht, weil Leo..." Er schluckte kurz, ehe er mit fester Stimme weitersprach. „Meine Exfreundin hat dort ein Praktikum als Psychologie Studentin gemacht." Das war mir ja bekannt. Diese Antwort warf aber gerade noch mehr Fragen auf, die ich leider nicht so direkt stellen konnte.  Also sollte ich die Fragen in eine etwas andere Richtung lenken. „Und was hast du da gemacht?" Luca zuckte mit den Schultern. „Na ja zum Anfang habe ich so allerlei Hilfsarbeiten verrichtet." „Hilfsarbeiten?" Ich sah den gegelten Juppie vor mir, der vor etwas über einem Jahr hier den Abflug gemacht hatte. „Du hast also die Buchführung und den ganzen Bürokram übernommen", schlussfolgerte ich. Luca fing an zu lachen und schüttelte den Kopf. „Nee, dafür gibt es da schon Profis. Ich war der, der sich darum gekümmert hat, dass nicht überall Dreck herum lag." Erstaunt schaute ich ihn an. „Irgendwer musste ja die Drecksarbeiten auch machen. Und ich hatte ja nichts als ein abgebrochenes Wirtschaftsstudium vorzuweisen. Damit bekommst du nicht gerade die Rosinenjobs." Okay, das war mir auch klar. Aber wir sprachen hier von... „Das ist aber Südamerika gewesen", schoss es mir aus dem Mund. Luca fing an zu grinsen. „Na ja genaugenommen Mittelamerika, aber auch da muss man bestimmte Leistungsnachweise haben, um verantwortungsvolle Posten zu erhalten." Ich spürte eine gewisse Wärme in meinen Wangen. Okay, Geografie war wirklich nicht mein Spezialgebiet....und die Vorurteile waren mir auch etwas peinlich. Natürlich gab es dort genauso Anforderungen wie bei uns. „Aber ich habe mich dann wirklich zum Haushandwerker hochgearbeitet.  YouTube sei dank, konnte ich viele Kosten einsparen und das Geld konnte viel sinnvoller für die Kinder dort eingesetzt werden." Aus seiner Stimme sprach ein gewisser Stolz. „Wie viele Kinder waren denn in dem Kinderdorf?" Ich hatte da so überhaupt keine Vorstellung wie das überhaupt funktionierte. „In unserem waren es etwas über hundert." „Wow, so viele?" Luca nickte. „Ja, Costa Rica zählt zwar zu einem der lateinamerikanischen Länder mit den besten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, aber der Reichtum ist dort eher ungleichmäßig verteilt. Gerade in den ländlichen Gegenden müssen viele der Kinder bei der Feldarbeit helfen, anstatt in die Schule zu gehen. Viele der Familien brechen auch einfach auseinander..... und dann müssen die Kinder sehen, wie sie klar kommen." „Und wenn sie in so ein Kinderdorf kommen, dann..." „Dann haben sie eine ziemlich gute Chance auf ein besseres Leben." „Aber wie funktioniert das Ganze?" Klar hatte ich schon von diesen Kinderdörfern gehört, aber mir noch nie wirklich Gedanken darum gemacht. „Na ja, sie funktionieren wie ein richtiges Dorf. Immer so um die sechs Kinder haben ein eigenes Haus, in dem sie mit ihrer Kinderdorfmutter oder ihrem Kinderdorfvater leben. Und ansonsten gibt es halt alles, was es in einem normalen Dorf auch geben sollte. Kita, Spielplätze und Freizeitmöglichkeiten." „Also leben die Kinder wie in richtigen Familien?" Das hörte sich für mich wirklich gut an. „Ja, Leonie....also meine Ex hat auch so eine Familie geführt." Ich konnte seinen Blick nicht wirklich deuten. Es war etwas zwischen Wut, Enttäuschung und Unverständnis gepaart mit Trauer. „Dann hast du also auch als Kinderdorfvater gearbeitet?" Er verzog sein Gesicht. „Na ja offiziell nicht, aber inoffiziell natürlich schon. Du kannst ja nicht mit den armen Würmern unter einem Dach leben und ihnen dann nicht zur Seite stehen." Wenn ich daran dachte, wie er heute mit meinem kleinen Sonnenschein umgegangen war, war das mehr als logisch. Er konnte unheimlich gut mit kleinen Kindern umgehen und schien mir regelrecht kindervernarrt. Das hatte man bei nicht vielen Männer in seinem Alter. Immerhin war er ja erst Anfang zwanzig. In dem Alter waren die meisten Kerle nur an sich selbst interessiert und mit Sicherheit nicht an Kindern. Noch dazu, wenn es nicht einmal ihre eigenen waren. Und selbst an denen waren sie ja eher medium interessiert, wie ich am eigenen Leib schon feststellen hatte müssen.

Meine Regel war seit zwei Monaten ausgeblieben. Meine Freundin Paula hatte mir einen Schwangerschaftstest besorgt, weil ich mich nicht in die Apotheke getraut hatte. Zusammen hatten wir in unserem Gästebad gehockt und auf den Test gestarrt, während sie meine Hände gehalten hatte. 
Ich drückte mich ganz dicht an die Wand und atmete einmal tief durch, als sich die Hörsaaltüren öffneten. Keine Minute später tauchte Conny auf. Als er mich sah, wurde sein Blick wütend. „Fängst du jetzt wieder an mich zu stalken! Ich dachte, das hätten wir endlich hinter uns." Okay, vielleicht war ich ihm wirklich etwas hinterhergelaufen. Aber wir gehörten ja auch zusammen. Und jetzt erst recht. „Ich muss mit dir reden!", ließ ich mich nicht abwimmeln. Schließlich ging es hier um unsere Zukunft.....um unser Baby. „Ich aber nicht mit dir. Und jetzt mach einen Abgang, ehe uns noch irgendwelche Leute zusammen sehen." Das war mir doch egal. In Zukunft würde man uns sowieso immer zusammen sehen. Da war ich mir sicher. „Ich bin schwanger!"  Gleich würde er garantiert einsehen, dass wir ganz viel zu besprechen hatten. Er würde bestimmt mit zu meinen Eltern kommen, damit wir ihnen alles erzählen und die Zukunft planen konnten. „Du bist was?" Er schaute mich fassungslos an. „Schwanger", strahlte ich ihn an. Okay, eigentlich hatte ich noch kein Kind gewollt. Ich wurde ja erst sechzehn, aber wenn es nun so war.....ich freute mich schon darauf. Es war schließlich etwas, was uns beide für immer verbinden würde. Ein Zeichen unserer Liebe.
„Bist du bescheuert? Was grinst du dabei so?" Wieso schaute er denn noch wütender als eben? „Warst du zu dämlich die Pille zu nehmen, oder was? Also mit Sicherheit lasse ich mir von dir und so einem Balg nicht meine Zukunft versauen. Sieh zu, dass du es abtreibst, verstanden!" Damit drehte er sich um und verschwand. Ich schaute ihm schockiert hinterher und spürte wie sich die Tränen in meinen Augenwinkeln sammelten. Meine Hand ging zu meinem Unterbauch. Nein, ich würde unser Kind garantiert nicht töten. Das konnte er nicht verlangen. Es war doch ein Kind unserer Liebe.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt