„Mama, mmmm! Letta!" Espie stand neben mir auf ihrem Hocker und schleckte ihren Finger ab, an dem etwas von der Tomatensauce klebte, die in der Dose war. Ja, Dose. Ich war ja nicht auf Essensbesuch eingestellt gewesen, also musste unser Ravioli-Vorrat dran glauben. Ich hatte beschlossen, dass wir nach dem Kraftakt mit dem Weihnachtsbaum uns auch noch etwas Kaloriennachschub verdient hatten. Und etwas Warmes im Magen konnte nach der Kälte draußen auch nicht schaden. Die Badewanne war ja ersatzlos gestrichen, beziehungsweise wurde durch unseren Überraschungsgast belegt. Hoffentlich schlief er mir unter der Dusche nicht ein und ertrank am Duschwasser. Luca hatte echt total k.o. ausgeschaut. Komisch war nur, dass er auf einem Schiff angeheuert hatte, um nach Hause zu kommen. Irgendetwas stimmte da doch nicht. Ich kannte Lucy, seine Schwester und meinen rettenden Engel, gut genug, um zu wissen, dass ein Anruf von ihm bei ihr gereicht hätte, damit sie ihm einen Flug buchte. Und das gleiche galt auch für Lisa, seine Mutter. Sie wäre wahrscheinlich sogar nach Costa Rica geflogen, um ihn höchstpersönlich abzuholen. Aber war ich die richtige Person, um ihn darauf anzusprechen? Garantiert nicht. Aus eigener Erfahrung wusste ich zu gut, dass es manchmal Situationen gab, die man lieber nicht mit seiner Familie teilte und dafür auch so allerlei unangenehme Umstände auf sich nahm, damit das auch so blieb....„Na Süße, kommst du endlich!" Ich schaute zu dem Typen, der selbstgefällig in meine Richtung grinste und neben sich auf das Sofa klopfte, während er seinen Gürtel öffnete. „Ich muss doch schauen, ob du wirklich für dieses Shooting gut genug ausgestattet bist." Was das bedeuten sollte, war mir schlagartig klar geworden als er mich begrabscht hatte, auch ohne seine eindeutigen Handbewegungen, die er gerade machte. Das war dann wohl die berühmte Besetzungscouch, von der man so oft hörte und von der alle behaupteten, dass es sie nicht gab. Okay, das war dann wohl der Beweis, dass es sie doch gab. Aber nicht für mich. Nein, da würde ich nicht mitmachen. Ich war schließlich 24 gutaussehend, hatte einen Master in Mathematik in meiner Tasche und war nicht nur inselbegabt. Mir war durchaus klar, dass das nicht der reguläre Weg zu einem Shooting war, auch wenn ich erst eine Handvoll hatte. Nein, das war nicht mein Weg. „Kein Interesse!", warf ich ihm also entschlossen entgegen und konnte zusehen, wie sein selbstgefälliges Grinsen aus seinem Gesicht verschwand und stattdessen einem wütenden Gesichtsausdruck Platz machte, genau wie einer kräftigen Gesichtsfarbe. „Was bildest du dir ein?", fuhr er mich an. „Wenn du dich jetzt hier nicht augenblicklich hinsetzt und ein bisschen nett zu mir bist, dann kannst du den Auftrag vergessen.......und andere auch." Ich zuckte nur mit den Schultern und bewegte mich keinen Millimeter . Es gab noch genug andere Shootings, die irgendwo auf mich warteten. Da war ich mir sicher. Auf diesen schmierigen, frauenverachtenden Lappen war ich mit Sicherheit nicht angewiesen. „Das wirst du noch bereuen. Ich werde dafür sorgen, dass die Leute in der Branche erfahren, wie unprofessionell du bist. Du wirst keinen einzigen Job mehr bekommen", begann er zu drohen. Sollte mich das einschüchtern. So weit reichte sein Einfluss garantiert nicht. „Ich gehe jetzt. Ich möchte das Rückfahrgeld haben." Meiner Stimme versuchte ich einen bestimmten und entschlossenen Klang zu geben. Der Kerl fing einfach nur zu lachen an. „Von mir bekommst du gar nichts. Sei zufrieden, dass ich dir nicht noch meine Zeit in Rechnung stelle. Und jetzt verschwinde und verschwende nicht länger meine Zeit." Er stand auf und kam bedrohlich auf mich zu. Ich drehte mich schnell um und verließ den Raum. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich erleichtert auf. Und dann kam die schlagartige Ernüchterung. Ich hatte fast mein ganzes Geld auf dem Hinweg für dieses wunderbare heruntergesetzte Designerkleid, das ich gerade trug, ausgegeben. Ich zog mein Portemonnaie aus meiner Tasche und schaute hinein. Die zehn Euro würden mit Sicherheit gerade einmal für die Fahrkarte zum Flughafen ausreichen......und dann? Ich konnte meine Eltern anrufen und um Geld anbetteln. Wollte ich das? Nicht wirklich, insbesondere wenn ich daran dachte, wie meine Mutter darauf reagiert hatte, als ich ihr und meinem Vater bei unserem letzten Essen von diesem Casting erzählt hatte. Sie hatte nur abwertend ihren Kopf geschüttelt „Hör auf mit diesem Blödsinn und nimm endlich dein Leben richtig in die Hand. Ich habe da einen Ansprechpartner für dich bei einer großen Versicherung. Sie suchen noch einen Mathematiker, der die Risikoberechnungen durchführt. Das ist eine große Chance, wenn du da reinkommst. Und sie bezahlen ausgenommen gut. Leider warst du ja nicht einsichtig genug etwas Nützliches mit Wirtschaft zu studieren, damit du in die Firma mit einsteigen kannst. Du musstest ja unbedingt auf deinen Vater hören." Mein Vater war nur unmerklich zusammengezuckt, ehe er seine Schultern gestrafft hatte. „Wenn du möchtest, könnte ich mit meinem Kollegen an der Technischen Universität in Dortmund reden. Er hat bestimmt eine Doktorandenstelle für dich." Mama winkte ab. „Johannes, nun setz ihr doch nicht noch so einen Floh ins Ohr. Als Doktorand bekommst du doch auch nur einen Hungerlohn. Und was kommt nach dem Doktor? Die Professur und geregelte Armut?" Nein, die beiden konnte ich auf keinen Fall anrufen. Aber wie sollte ich hier aus Frankfurt weg zurück nach Düsseldorf kommen? Trampen? Nein, nach den Erfahrungen, die ich heute schon gemacht hatte, musste ich nicht noch mehr machen. Nach Abwägung meiner Möglichkeiten griff ich zu meinem Handy und wählte die Nummer meiner Freundin Paula. „Und wie ist es gelaufen?", fragte sie mich sofort nachdem sie das Gespräch angenommen hatte. „Nicht so gut", schniefte ich. Ja, mein ganzes Selbstbewusstsein war mir spontan abhanden gekommen. „Ich habe kein Geld mehr und ich weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll." „Schick mir deinen Standort und bewege dich nicht weg. Ich komme dich abholen." Damit war das Gespräch beendet gewesen.Keine drei Stunden später stand sie vor mir und zog mich einfach in ihre Arme....
Ja, manchmal brauchte man einfach auch nur Freunde. Ich hatte mich dann die nächste Zeit bei ihr verkrochen, um meine Wunden zu lecken. Manchmal wollte man wirklich nicht, dass die eigene Familie alles mitbekam.
„Das duftet ja gut." Ich drehte mich um und musterte den jungen Kerl vor mir von oben bis unten. In der Zeit, die er in Costa Rica war, hatte er sich ziemlich verändert. Ich hatte ihn glattrasiert und mit recht kurzen gegelten Haaren in Erinnerung. Ein typischer junger aufstrebender Juppie halt. Er war zwar keine Bohnenstange, aber hatte wenig mit dem Kerl gleich, der gerade vor mir stand und dessen Oberarmmuskeln sich deutlich unter seinem T-Shirt abzeichneten. Seine noch feuchten schulterlangen Haare lockten sich leicht und der Vollbart von vorhin war einem gutgestutzten Dreitagebart gewichen. Alles in allem stand da ein ziemlich appetitlich aussehender junger Kerl, der gar nicht mehr so müde wie vorhin aussah. Die Dusche hatte augenscheinlich nicht nur seinem Aussehen sondern auch seinem Energielevel gut getan.
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Schuss und Treffer - zum Comeback ✔️ Teil 12
RomanceGenia hat in ihrem Leben schon viele Höhen, aber noch viel mehr Tiefen gesehen. Und wer in seinem Leben schon auf dem Tiefpunkt war, der will nur noch in eine Richtung - nach oben - aber nicht mehr um jeden Preis, denn da gibt es auch noch ein klein...