Kapitel 16

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Ich schaute zu Espie und Luca, die den riesigen Berg hinunterrutschten und mir wurde fast Angst und Bange um meine kleine Tochter. Aber eben nur fast, denn Luca hatte sie zwischen seinen Beinen sitzen und seine Arme beschützend um sie gelegt, während er den Schlitten sicher den Berg hinunter steuerte. Er konnte wirklich super mit Kindern umgehen. Das hatte er in den letzten Tagen bei uns nicht verstecken können. Espie wurde von ihm wie von einem Magneten angezogen und er war sich nicht einmal zu schade mit ihr zusammen mit ihrer Puppe zu spielen. Das sah schon witzig aus, wenn die drei eine Teegesellschaft an dem kleinen Kindertisch in ihrem Zimmer gaben und dieser große Kerl sich auf das winzige Stühlchen dort quälte. Ja, die beiden verstanden sich blendend. Und wenn ich ehrlich war, genoß ich es auch abends mit Luca zusammen zu sitzen und ihm und seinen Erzählungen über Costa Rica zuzuhören. Auch wenn er mit viel Herzblut erzählte, war da immer etwas, das er fest verschlossen zurückhielt. Ich bohrte da auch nicht nach. Schließlich wusste ich genau wie es war, wenn man manche Sachen lieber für sich behalten wollte und dann doch gezwungen war, sie zu erzählen.....

„Bärbel, jetzt sag endlich, wer dieser Verbrecher ist, damit wir ihn anzeigen können." Meine Mutter schaute mich wütend an, während ich einfach nur den Kopf schüttelte. Nein, ich würde ihr auf keinen Fall Connys Namen sagen. „Es ist unglaublich, dass ein Kerl sich an einem minderjährigen Mädchen vergreift und ihm sein komplettes Leben verbaut. Wie soll Bärbel denn jetzt das Abitur in zwei Jahren noch vernünftig schaffen, wenn sie ein Jahr erst einmal ausfällt." Mama hatte gestern herausbekommen, dass ich schwanger war und seitdem drehte sie fast durch. Ich musste schlucken. Wieso konnte sie sich nicht einfach genauso wie ich auf das Baby freuen? „Wir können nicht einmal mehr eine Schwangerschaftsunterbrechung durchführen, weil die Frist bereits überschritten ist", tobte sie weiter. „Birgit, dein Gezeter hilft ja auch niemandem." Papa setzte sich neben mich und strich mir sanft über die Schulter. „Genia, du solltest uns schon sagen, wer dafür verantwortlich ist, damit wir mit demjenigen ins Gespräch kommen können. Schließlich wird es da ein kleines Kind geben. Und du musst uns auch sagen, wenn das Ganze gegen deinen Willen passiert ist. Dafür musst du dich nicht schämen." Ich schüttelte den Kopf. „Ich liebe Conny doch." Mist, jetzt war mir der Name herausgerutscht. Das wollte ich doch gar nicht. „Sie liebt ihn, hast du das gehört, Johannes?" Mama fixierte mich mit ihrem wütenden Blick. „Also er heißt Conny und wie heißt er weiter!" Das war nicht wirklich eine Frage, so wie Mama mir das an den Kopf warf. Ich kniff meine Lippen fest zusammen. Nein, ich würde ihr seinen Nachnamen auf keinen Fall verraten. Den wusste nur Paula und mein Tagebuch. Und so würde es auch bleiben. „Los, raus mit der Sprache, wo finden wir den Verbrecher!" Mamas Stimme wurde immer wütender. „Birgit, jetzt setz das Kind doch nicht so unter Druck, sonst sagt sie überhaupt nichts mehr", versuchte Papa sie zu beruhigen. Mama verzog ihr Gesicht nur und fuhr sich mit ihren Händen durch ihre Haare. Das machte sie normalerweise nie, weil es ihre Frisur ruinierte. Und das ging gar nicht, denn man musste immer präsentabel aussehen. Das hatte sie mir schon oft genug eingetrichtert. „Was die Leute nur sagen werden!", stöhnte Mama plötzlich. „Wie stehe ich denn vor meinen Kunden da, wenn sie erfahren, wie verantwortungslos und dumm sich unsere Tochter benommen hat. Da vertraut mir doch niemand mehr. Du hast meinen ganzen guten Ruf mit deiner Unüberlegtheit ruiniert." Mama schaute mich so sauer an, dass ich Angst bekam. „Ach Birgit, was interessieren uns denn die Leute? Hier geht es um Genia und ihr Leben", verteidigte mich Papa. „Du sagst es, Johannes! Um das Leben, das sie gegen die Wand gefahren hat, weil sie dumm und unüberlegt war. Und wenn wir nicht aufpassen reißt sie mit ihrer Dummheit auch alles in den Abgrund, was ich uns geschaffen habe. Aber das werde ich nicht zulassen! Du machst uns nicht alles kaputt! Ich lasse mir etwas einfallen!" Mama stürmte aus dem Zimmer, nachdem sie mich noch einmal wütend angeschaut hatte. Papa strich mir noch einmal über den Arm, ehe er aufstand. „Ich werde mal hinterher gehen und versuchen sie etwas zu beruhigen. Und du ruhe dich ein bisschen aus. Das war ja gerade eine ganze Menge Aufregung. Vielleicht schaust du einfach etwas in das Buch, das ich dir letzte Woche mitgebracht habe. Das macht den Kopf frei", zwinkerte er mir zu, ehe er mein Zimmer verließ. Mein Blick fiel zu dem blauen Buch auf meinem Nachttisch. „Pi und die Primzahlen - Eine Entdeckungsreise in die Mathematik" Nein, da würde ich ganz bestimmt nicht hineinschauen. Die Mathematik interessierte mich gerade nicht wirklich. Ich öffnete stattdessen die Schublade des Nachttischs und zog die Zeitschrift Eltern heraus, die ich mir vorgestern nach der Schule in einem Kiosk heimlich gekauft hatte. Mama sagte doch immer, dass man gut vorbereitet sein musste. Und mit dieser Zeitschrift würde ich mich auf mein Baby vorbereiten. Ja, ich würde versuchen die beste Mutter der Welt zu werden....

„Na, willst du auch mal eine Runde rodeln? Ich könnte dich und Espie auch mal filmen." Luca schaute mich fragend an. „Titte, Mama!" Espies Bettelblick fixierte mich. „Ich soll da den Berg runterrutschen? Nie im Leben. Ich bin ja nicht lebensmüde", schüttelte ich den Kopf und schaute zu der Halde hoch, zu der wir einen Ausflug gemacht hatten.„Angsthase, Pfeffernase", fing er an zu singen. „Ansase, Feifase", kam sofort auch das Echo von meiner Tochter. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Das war mehr als fies. Wie sollte ich denn da nein sagen? „Ich weiß gar nicht, wie man das blöde Ding steuert", knurrte ich, während ich mir die Schnur griff und losmarschierte. Ja, in meiner Jugend gab es keine Schlittenfahrten und in meinem weiteren Leben ging es dann zwar rasant bergab......aber auch da hatte ich ja bewiesen, dass ich das Steuern nicht so wirklich beherrschte.  „Alles reine Physik. Du Genie hast doch den Master", grinste Luca mich frech an und hob Espie auf seine Schultern, ehe er neben mir herstapfte. „In Mathe", knurrte ich. „Ist doch die gleiche Soße. Wer das eine pickt, pickt auch das andere." Ich schüttelte den Kopf. „Idiot!" „Iot!", strahlte meine Tochter ihn begeistert an. Sie hielt das wohl für eine Liebkosung. Da musste ich doch losprusten.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt