Kapitel 19

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Boah, war das kalt. Ich begann zu zittern und kuschelte mich tiefer in mein Deckbett. Hoffentlich war nicht mal wieder diese blöde Heizungstherme ausgefallen. Verflucht, zwischen den Jahren bekamen wir da doch garantiert keinen Handwerker auf die Schnelle. Ob Luca sich vielleicht auch damit auskannte und sie wieder zum Laufen bekam? Ja, klar, in Costa Rica hatte er ja mit Sicherheit ständig mit Heizungsthermen zu tun gehabt. Das Land war ja dafür bekannt, dass es dort ständig kalt war. Ich schlug mir innerlich vor die Stirn. Dann blieb nur zu hoffen, dass der Notdienst mit uns Mitleid hatte. Am besten ich stand sofort auf. Stöhnend versuchte ich mich zu bewegen. Manno, taten mir meine Knochen weh. Das war dann wohl das Problem, wenn man langsam aber sicher alt wurde. Das Rodeln gestern schien meinen Körper wohl überfordert zu haben. „Mama, Mama ausslaf." Mein kleiner Sonnenschein kam strahlend durch die Tür gerannt. In ihrer Hand hielt sie eine Brezel. „Hat Luda hol mit ich." Begeistert biss sie ein kleines Stück ab, während ich noch auf der Kante meines Schlafsofas saß und versuchte meine Gliedmaßen zu überreden meinen Anweisungen mit möglichst wenig schmerzhaftem Protest zu folgen. „Wir waren schon beim Bäcker." Auch Luca kam lächelnd ins Wohnzimmer gelaufen und deutete auf die Papiertüte in seiner Hand. „Magst du auch gleich eine Brezel auf die Hand?" Wenn ich ehrlich war, hatte ich gerade wenig Appetit. Mein Mund fühlte sich eher wie eine alte vergammelte Socke an. Ich sollte erst einmal ins Bad verschwinden. Trotzdem nickte ich und griff zu. Schließlich waren die beiden extra in die Kälte marschiert. Kälte! Ich stöhnte kurz auf und zog das Deckbett wieder fester um meine Schultern, ehe hier gleich meine Zähne zu klappern begannen. „Wir müssen ganz dringend den Heizungsnotdienst rufen." „Wieso?" Luca schaute mich irritiert an und biss auch in seine Brezel. Hatte der aufsteigende Hitze, oder was? Das war hier gerade ein Eisloch! „Weil die Heizung ausgefallen ist", antwortete ich also leicht gereizt. „Also ich finde es hier nicht kalt." Er beugte sich zu Espie hinunter. „Ist dir kalt, Spatzl?" Meine Tochter, diese eiskalte Verräterin, schüttelte auch ihren Kopf. „Nis kald" „Tja, dann sollte die Mama sich wohl mal was zum Schlafen anziehen!" Luca zog eine seiner Augenbrauen provozierend hoch. Ich formte meine Augen zu schlitzen und lüftete kurz meine Decke. Zum Vorschein kam mein wunderschöner warmer Flanellschlafanzug in pink und meine Kuschelsocken. „Wow, sogar kleine Lämmer wärmen dich. Die sind ja süß!" Was stimmte mit dem Jungen nicht? Anstatt bei dem Anblick wegzurennen, beugte er sich zu mir hinunter und legte seine Hand an meine Stirn. „Eh, was soll das?" quietschte ich empört auf. Von wegen die Heizung wäre in Ordnung. „Du hast voll die Eishände." Luca schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Eishände. Du glühst!" Wie ich glühte? So ein Blödsinn. Ich fror wie blöde. Gerade lief mir wieder ein Schüttelfrostschauer über meinen Körper. „Wo hast du ein Fieberthermometer?" Ich räusperte mich. „Im Bad, im Medizinschrank. Wo sonst!" Lucas besorgter Blick wich einem Schmunzeln. „Na so lange du noch giften kannst, besteht ja noch Hoffnung." „Du willst dich ja nur um deine Vermieterpflichten drücken und den Handwerker sparen, in dem du mir erklärst, dass ich krank sei. Pfff!" Das war ja wohl ein ganz billiger Trick. Ich zupfte ein Stück von der Brezel ab und schob sie mir in den Mund. Bäh, die wollte überhaupt nicht rutschen und tat mir nur in meinem Hals weh......

„Ach Mädchen, das ist ja schrecklich! Wir werden gleich einen Arzt verständigen." Ich saß zusammengekauert auf meinem Bett in Belgien bei meiner Gastfamilie. Obwohl so ganz traf das Wort Familie es nicht. Gastgroßeltern würde es eher treffen. Mama hatte mich bei einem älteren Ehepaar untergebracht. Die beiden waren eigentlich sehr nett. Sie erinnerten mich an Paulas Oma und Opa, die sich schon oft um uns gekümmert hatten, wenn ihr Mama arbeiten war.  Der große Unterschied zu Paulas  Oma und Opa war aber, dass Jean, wie ich meinen Gastopa nennen sollte, gleichzeitig auch meinen Privatlehrer darstellte. Er war bereits pensioniert und kümmerte sich nur noch um mich. Mama hatte nicht gewollt, dass ich in eine öffentliche Schule ging. Deshalb wurde ich von Jean zu Hause in allen Fächern unterrichtet. Auch wenn das bedeutete, dass ich überhaupt keinen Kontakt zu anderen Gleichaltrigen hatte, war ich irgendwie nicht enttäuscht darüber. Ich lebte hier sowieso in einem sehr kleinen Ort und so musste ich mich gar nicht erst mit den ganzen Leuten versuchen anzufreunden. Da hatte ich sowieso kein Interesse daran. Für mich war nur mein Baby wichtig. Bestimmt würde sich Conny auch eines Besseren besinnen, wenn ich erst einmal mit dem Kleinen vor ihm stand und sich zu uns bekennen. Da war ich mir fast sicher. Ich musste bis dahin nur alleine durchhalten. Und in meiner Freizeit, wenn ich nicht mit Jean lernte, scypte ich ganz viel mit Paula und sie hielt mich auf dem Laufenden, was bei uns zu Hause so abging. Wenn alles glatt ging, würde sie mich bald für zwei Wochen mit Papa besuchen kommen. Man, was ich mich da drauf freute. Immerhin war ich ja schon sechs Wochen hier. „Jean, du musst den Arzt anrufen. Das Mädchen hat Fieber. Und in ihrem Zustand..." Demi, meine Gastoma schaute ihren Mann, der herbeigeeilt war, besorgt an. Man, mir war so verflucht kalt und ich spürte  wie mich wieder ein Schüttelfrostanfall überzog. Ich durfte nicht krank werden. Ich musste gesund sein für mein Baby.....

„Du hast 39,5 Fieber. Das ist gar nicht gut." Luca hatte mir das Fieberthermometer in mein Ohr gehalten und sah mich besorgt an. „Ich gehe gleich oben bei Max klingeln, damit er mal runterkommt und dich untersucht." Ich schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Er hat ein Baby zu Hause. Das geht nicht. Sonst steckt er die kleine Romy und Emilio noch an."  Nein, das konnte ich auf keinen Fall verantworten. Und so wie sich mein Hals anfühlte und meine Stimme an Kraft verlor, war das mit Sicherheit eine ausgewachsene Erkältung, die mich da aus dem Hinterhalt überfiel. „Romy und Emilio?" Luca schaute verwundert. „Wer ist das?" Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. „Ach das kannst du ja noch gar nicht wissen. Max und Leo wohnen hier nicht mehr. Da wohnt jetzt Sascha. Sie haben ein Haus bei ihren Eltern in der Straße. Und sie haben Emilio adoptiert, weil Roman gestorben ist und vor zwei Wochen ist Romy geboren, genau wie die Drillinge von Marco und Franzi." Manno, jetzt tat mein Hals schon beim Sprechen weh. „Ist das jetzt gerade der Fieberwahn, der da aus dir spricht? Marco und Franzi sind steinalt. Die werden höchstens noch Oma und Opa." Ich schüttelte empört den Kopf und verzichtete aber auf eine Antwort. „Wenn das zutrifft, dann war ich eindeutig ziemlich zu lange weg. Da habe ich wohl eine Menge verpasst. Okay, dann rufe ich jetzt eben einen Bereitschaftsarzt an." Ich verzog mein Gesicht. So entschlossen wie er aussah, war Widerspruch aber sowieso zwecklos. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich dazu auch zu schlapp. Lieber kuschelte ich mich wieder in meine schöne warme Decke und ließ mich zurück in mein Kissen sinken. Espie, schoss es mir durch den Kopf. Nein, ich musste sofort aufstehen. Ich hatte keine Zeit krank zu sein. Ich musste mich um meine Tochter kümmern. Also raffte ich mich schnell wieder auf. „Was wird das?" Luca musterte mich. „Espie!", stieß ich hervor. „Um die kümmere ich mich. Und du legst dich wieder hin. Der Arzt kommt in circa zwei Stunden. Bis dahin ruhst du dich aus." Man, war der Kerl bestimmend. Dann schloss ich halt kurz meine Augen und war bestimmt nachher wieder fit.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt