46. Wo ist Diego?

226 31 30
                                    

Als ich am nächsten Morgen aufwachte war ich alleine. „Diego?", murmelte ich verschlafen und streckte mich. Ich bekam keine Antwort. Ich rieb mir die Augen und stand auf. Ich zog die Vorhänge von meinem Fenster weg und ließ das Sonnenlicht rein. Ein paar Sekunden lang starrte ich auf den Wald, der in einem strahlenden Grün leuchtete. Nebel stieg leicht aus dem Wald und er leuchtete gelblich durch das Sonnenlicht. Ich lächelte glücklich und öffnete das Fenster. Die frische Morgenluft strömte sofort in mein Schlafzimmer und trug den wunderbaren Geruch von nasser Erde und den Blumen mit sich. Ich ging zum Kleiderschrank und suchte mir ein knielangen hellblauen Rock aus dem Schrank, den ich mit einem rosanen Top kombinierte. Ich legte mir eine silberne Kette um und lief ins Bad. Ich kämmte meine Haare und steckte sie mir zusammen.

 Seufzend betrachtete ich mich im Spiegel. Das aufgesetzte falsche Lächeln würde mir doch sowieso niemand abnehmen. Ich verließ das Bad und lief die Treppe nach unten in die Küche. Tatsächlich war ich alleine. Ich sah mich in der Küche um. Alles war so wie immer. Die Arbeitsflächen waren aufgeräumt und abgewaschen, die frischen Kräuter standen am Fenster, das frische Obst lag in einer Glasschale neben dem Kühlschrank und ein Zettel lag auf dem Küchentisch. Ich seufzte enttäuscht und wollte gerade ins Wohnzimmer gehen als mir etwas auffiel. „Ein Zettel auf dem Küchentisch? Der lag da gestern noch nicht", dachte ich laut und ging zum Tisch. Auf dem Zettel stand in geschwungener Schrift „Clari". Mit zitternden Händen nahm ich den Zettel in die Hand und faltete ihn auseinander. Es war ein Brief. Von Diego. Ich setzte mich auf einen Stuhl und las mir den Brief durch.

Liebe Clara,

Ich weiß, dass ich sehr viel Mist gebaut habe und ich weiß auch, dass es schwer zu entschuldigen ist! Du hast mir zwar gesagt, dass du mir verziehen hättest, aber trotzdem ist es besser für uns beide, wenn wir getrennt leben. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich geschlagen habe und ich weiß, dass ich es nie wieder gut machen kann. Ich werde dich nie vergessen, Kleine. Vielleicht ist Violetta eine große Chance, aber das hat keine Zukunft für mich. Ich habe aus Madrid ein Jobangebot bekommen und ich werde es wahrscheinlich annehmen. Es tut mir leid, dass du es über einen Brief erfahren wirst, aber wenn du wach wirst, da werde ich schon nicht mehr da sein. Ich werde sehr früh gehen. Ich könnte es nicht ertragen dich traurig zu sehen. Trotzdem Danke, dass du mir verziehen hast. Du bist eine wunderbare Frau und irgendwann wird noch der Richtige für dich kommen, nur werde ich das nicht sein. Du hast jemanden verdient, der dich nicht schlägt oder anschreit. Jemand, der ununterbrochen auf dich aufpasst und dich beschützt. Was ich gesagt habe, tut mir echt leid und ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen! Dass du mich nur noch als Freund siehst, macht es nicht besser. Es zeigt mir, dass du mir doch nicht ganz verziehen hast oder dass du noch immer Angst vor mir hast. Ich hoffe sehr, dass du ohne mich glücklich wirst. Ich liebe dich, Clara und es wird sich nie ändern. Werde glücklich mit deiner süßen kleinen Schwester Lara und unterstütze sie mit ihrer Kolumne. Sie braucht deine Überstützung nun mehr denn je. Das ist jetzt wohl der Zeitpunkt, wo ich mich verabschieden sollte.

Auf Wiedersehen, Clara. Ich werde dich nie vergessen! Vielleicht liest du ja etwas über mich in der Tageszeitung...

In ewiger Liebe,

Dein Diego

Ich las den Brief dreimal, bis ich begriff was dort stand. Meine Welt brach zusammen. Er war weg... Ich würde ihn nie wiedersehen! Weinend ließ ich den Brief sinken und stützte mich verzweifelt auf die massive Holzplatte. Ich sprang auf und suchte mein Handy. Ich wählte hastig Diegos Nummer. Das Freizeichen ertönte und danach tutete es kurz bevor seine Mailbox ansprang. Ich versuchte es nochmal. Nun war sein Handy aus. Lara konnte ich gerade nicht anrufen. Sie war arbeiten. Ich nahm wieder mein Handy zur Hand und tippte eine Nummer ein. Es tutete ein paar Mal und dann wurde abgenommen. „Ezequiel Rodriguez!", meldete sich Eze müde. Ich schluchzte los. Es tat gut seine Stimme zuhören. „Hey, Eze!", schluchzte ich leise. „Oh mein Gott, Clari! Du weinst ja! Was ist denn passiert?", fragte er plötzlich hellwach. „Kannst du kurz vorbei kommen? Dann erzähle ich es dir...", weinte ich und ließ mich auf die Treppe fallen. „Ja, klar. Ich komme sofort! Bis gleich, Clari!", sagte er und legte auf. Für einen Moment dachte ich, ich wäre endlich glücklich, doch dann wurde ich von der Realität eingeholt. Nach 10 Minuten klingelte es an der Tür. Zitternd stand ich auf und lief auf die Tür zu. Als ich sie öffnete fiel mir Eze sofort um den Hals. „Clari, ist alles in Ordnung mit dir? Warum weinst du?", fragte er mich besorgt. Ich löste mich von ihm. „Diego ist weg...", schluchzte ich. Ezequiel schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie weg?", fragte er mich. 

„Er ist zurück nach Spanien gegangen... Es ist alles meine Schuld! Ich bin so blöd!", schluchzte ich und ging mit Eze in die Küche. „Hier liest selbst!", murmelte ich und drückte ihm den Zettel in die Hand. Unsicher las Eze sich den Brief durch. „Warte, halt, stopp! Er hat dich geschlagen?", fragte er auf einmal. Ich nickte leicht. „Ja, aber nur weil ich ihn provoziert habe... Außerdem habe ich ihm schon längst verziehen!", erklärte ich schluchzend. Ezequiel sah nicht ganz so überzeugt aus, las aber den Brief weiter. „Clari, ich glaube, es liegt nicht nur an dir, sondern auch an ihm. Es ist seine Entscheidung, was er macht und was er machen will! Und für mich klingt es als würde er sich die Schuld an allem geben und deshalb gehen. Hast du schon versucht ihn anzurufen?", fragte er mich ruhig und sah mich an. „Sein Handy ist aus... Ezequiel, ich will nicht ohne ihn leben! Ich kann das nicht! Das ist genauso wie mit dir und Florencia! Ich liebe ihn...", hauchte ich traurig. 

Eze sah mich sanft an. „Wenn er dich genauso liebt wie du ihn... Dann wird er zurückkommen! Das verspreche ich dir!", schwor er mir und sah mich ruhig an. Ich glaubte ihm! „Danke, Eze! Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann!", sagte ich und umarmte ihn fest. „Das weiß ich doch, Clari!", antwortete er und umarmte mich ebenfalls. „Ich muss leider wieder los, Clara! Kann ich dich alleine lassen?", fragte er mich sanft und löste sich langsam von mir. „Ja, natürlich kannst du das... Ich verschwinde nicht einfach so nach Spanien!", seufzte ich traurig. Eze tippte mir sanft auf die Nase und grinste. „Naja, bei dir kann man ja nie wissen. Du machst viele unüberlegte Dinge und dir ist durchaus zu zutrauen, dass du ebenfalls nach Madrid gehst!", sagte er lachend. „Ich werde nicht gehen, mach dir da keine Gedanken!", beteuerte ich und begleitete ihn bist zur Tür. „Wir können nachher nochmal telefonieren!", schlug Eze vor und ich nickte begeistert. „Danke, Ezelchen!", hauchte ich dankbar. „Kein Problem, Clarita! Dann bis nachher?", sagte er und ich lächelte ihn an. „Bis nachher! Ciao", lächelte ich. „Ciao, Clari!" Mit diesen Worten ging Ezequiel und wieder war ich alleine.




Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt