119. Der nächste Morgen

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Leise summend lief ich die Treppe nach unten und ging in die Küche. Noch immer war ich alleine, dabei hatte ich mich inzwischen geduscht und angezogen. Ich kochte mir einen Kaffee und machte mir nebenbei mein Frühstück. Leise hörte ich Vicentes Schritte auf dem Laminatboden, wie er zur Küche tippelte. „Guten Morgen, mein Kleiner! Hast du gut geschlafen?", fragte ich den kleinen Hund, der in den letzten Monaten mein bester Freund wurde.

 Als Antwort gähnte er herzhaft und musste danach niesen. Mit einem Lächeln füllte ich seinen Futternapf und wandte mich wieder meinem Frühstück zu. Mit Kaffee und Essen setzte ich mich an den Küchentisch und blätterte in Madeleines Klatschzeitschrift, die sie gestern hier liegen gelassen hatte. Mal wieder wurde ein Bericht über mich, Violetta und den nicht anwesenden Diego geschrieben.

 Die Redakteure gingen in diesem Bericht davon aus, dass er mit der Situation nicht zurecht gekommen war und deshalb das Weite gesucht hatte. Der Artikel stank bis zum Himmel. Das Maddie so etwas lesen konnte, verstand ich nicht. Noch nie hatte ich etwas für solche Zeitschriften übrig, denn meistens waren die Sachen weit hergeholt oder einfach nur Erstunken und Erlogen, so wie der Artikel über mich und Diego. Ich aß auf und ging dann mit Vicente in den Garten. 

Der kleine weiße Hund tobte wild auf der Wiese, als sich plötzlich ein Arm um meine Taille legte. Etwas empört drehte ich mich zu der Person um, doch bevor ich ihr die Meinung sagen konnte, erkannte ich die Person. Mit einen kleinen Freudenschrei sprang ich in Diegos Arme. Ich hatte nicht geträumt! Er war gestern Abend wirklich da gewesen! Ich schmiegte mich fest an ihn und auch ich merkte, wie er sich fest an mich klammerte. Er hob mich kurz hoch und wirbelte mich etwas durch die Luft, was mich zum Lachen brachte. „Wie sehr habe ich nur dein Lachen vermisst!", hauchte er mir ins Ohr.

 „Bestimmt nicht so sehr wie ich deine Nähe vermisst habe!", antwortete ich glücklich. Wir lösten uns erst voneinander, als hinter uns ein freudiges Synchronkreischen erklang. Madeleine und Lara hatten Diego entdeckt! Beide Mädchen kamen auf uns zu gestürmt und stürzten sich auf ihn. Während mein Freund mit den zwei Mädels beschäftigt war, ging ich wieder rein um nach Violetta zu sehen. Sie saß im Wohnzimmer weinend vor dem Fernseher. Sie weinte immer, wenn sie die Violetta Folgen mit ihrem Vater sah.

 „Vilu, komm mal her!", rief ich sie sanft von der Tür aus zu mir. Schwerfällig krabbelte sie vom Sofa und kam schnell auf mich zu gerannt. Ich nahm sie auf meinen Arm und trug sie in den Garten. Als sie Diego sah, drückte sie schüchtern ihr verweintes Gesicht an meine Schulter. „Hey, mein kleiner Engel!", hauchte Diego, als er seine Tochter entdeckte. Langsam kam er auf uns zu. Doch mit jedem Schritt, den er näher kam, drückte Vilu sich fester an mich und wimmerte leise. 

Sie erkannte ihn nicht! 

Das bemerkte nicht nur ich. Enttäuscht und auch ein wenig verletzt blieb Diego stehen und musterte uns. Leise redete ich auf Violetta ein und versuchte ihr zu erklären, dass dieser Mann bei uns im Garten ihr Vater war, aber sie wollte mir partout nicht glauben. Währenddessen spürte ich wie Diego meinen Körper musterte. „Hast du abgenommen?", fragte er mich ein wenig entsetzt, doch reagierte auf die Frage nicht. Lara nahm mir die Antwort ab. 

„Das Weib isst seit deinem Verschwinden nicht mehr richtig. Wenn wir sie nicht jeden Mittag dazu bringen würden etwas zu essen, dann würde sie wahrscheinlich nur das Müsli von Frühstück zu sich nehmen!", erklärte meine Schwester meinem Freund. Schweigend sah ich auf den Boden und drückte meine kleine Tochter an mich. „Das ist nicht wahr! Sag, dass das nicht wahr ist, Clara!", meinte er fassungslos. Ich reagierte nicht auf ihn. 

Violetta fasste in meine Haare und zog daran. Sie kicherte leise, was mich zum lächeln brachte. Er ging auf mich zu und schlang den Arm um meine Taille. Schüchtern schielte Vilu zu ihrem Vater. Sie dachte nach, vielleicht würde sie ihn ja doch erkennen? „Meine Mama!", stellte meine Tochter sofort klar und drückte sich an mich. Diego lachte leise und zog mich näher an sich. „Ja, ich verstehe schon. Aber sie ist auch meine wunderbare Prinzessin!", gab er liebevoll zurück und küsste meine Stirn.

 Etwas empört sah Vilu ihn an. „Ich darf das, Violetta. Sieh mich nicht so an!", sagte er liebevoll. Sie schüttelte den Kopf. „Süße, das ist dein Papa!", versuchte ich ihr zu erklären, doch sie schüttelte wieder den Kopf. „Papa ist tot!", antwortete Vilu ernst und kämpfte sich aus meinen Armen frei. Ich wusste, dass sie jetzt wieder rein laufen wollte und weinen würde. Ich ließ sie gehen, weil ich wusste, dass sie sonst anfangen würde zu schreien. Diego löste sich von mir und setzte sich auf einen Gartenstuhl. 

Er stützte seine Ellenbogen auf die Beine und bettete seinen Kopf auf seinen Händen. Mein Herz wurde schwer. „Es tut mir leid...", murmelte ich leise und sah ihn traurig an. „Dir muss nichts leid tun, Clara! Sie ist noch so jung und ich war solange nicht da", beruhigte er mich und sah auf. „Es ist nicht nur wegen Violetta...", gab ich leise zu. Madeleine und Lara sahen sich kurz an und liefen dann ins Haus. „Warum isst du nichts mehr?", fragte er mich ernst, als meine Schwester die Terrassentür schloss. 

„Ich habe keinen Hunger!" Er seufzte und streckte seine Arme nach mir aus. Zögerlich ging ich auf ihn zu. „Hast du Angst vor mir?", fragte er vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur nicht wie ich mit der Situation umgehen soll... Es ist so... Es ist toll und einfach... Ich könnte heulen vor Freude und dann sehe ich Violetta, wie sie leidet, weil sie dich nicht erkennt. Ich habe gelernt mit meiner Angst umzugehen." Diego musterte mich wieder und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. 

„Wo ist die schüchterne Frau hin, die ich damals kennengelernt habe?", fragte er sich leise. „Sie ist selbstbewusster geworden, aber...", murmelte ich und brach ab. „Aber?" Ich kletterte auf seinen Schoß und schmiegte mich an seine Brust. „Aber sie zieht sich immer mehr aus dem sozialen Leben zurück." Er kuschelte sich an meine Schulter und sein warmer Atem streifte meinen Hals. Es war toll wieder an seiner Seite zu sein, zu wissen, dass man nicht mehr alleine war. 

„Was habe ich alles verpasst?", fragte Diego mich um das Thema zu wechseln. Ich versuchte mir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. „Florencia ist schwanger, nächste Woche ist ihr Entbindungstermin, Flor und Eze haben geheiratet und naja, unser Haus ist fertig. Mehr weiß ich nicht", erzählte ich ihn. 

„Florencia und Ezequiel haben geheiratet und bekommen ein Kind?! Wow, habe ich viel verpasst!", meinte er überrascht und schlang die Arme fest um mich. „Aber wenn das Haus schon fertig gestellt ist, was machst du denn noch hier?" Ich drehte mich so in seinen Armen, so dass ich ihm in die Augen sehen konnte. „Ich wollte nicht ohne dich dort einziehen!"  

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt