81. Goosebumps

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Ich träumte von einer Melodie. Leise summte sie mit. Durch ein leichtes Stupsen wurde ich wach. „Was ist los?", fragte ich verschlafen. Madeleine saß vor mir. „Du singst im Schlaf... Ist das normal?", kam die Gegenfrage. Ich schüttelte den Kopf. „Nein eigentlich. Du hast nicht zufällig eine Gitarre, oder?", murmelte ich und rieb mir die Augen. 

„Es gibt hier ein Musiktherapiezimmer. Vielleicht gibt es da eine und du darfst darauf spielen? Geh einfach mal hin und frag", meinte Maddie und zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges. Ich nickte leicht und ging den Flur entlang. In dem Raum saßen viele kleine Kinder. Einige trugen Kopftücher, andere saßen im Rollstuhl oder wurden beatmet und wieder andere waren geistig oder körperlich beeinträchtig.

 Auf einen Stuhl saß eine junge Frau und spielte ein mir sehr bekanntes Lied auf dem Keyboard vor sich. En mi mundo. Ich hörte lächelnd zu. Die Kinder in dem Raum sangen alle begeistert mit. Als sie fertig waren fing ich an zu klatschen. Alle drehten sich erschrocken zu mir um. „Darf ich fragen wer sie sind und was sie hier machen?", fragte die Frau freundlich. 

„Ich heiße...", fing ich an, doch ein kleines Mädchen mit Kopftuch sprang begeistert auf und rief: „Das ist Angie!" Sofort war die Hölle los. Begeistert kamen die Kinder auf mich zu. Sie redeten alle total schnell auf Italienisch und ich verstand gar nichts mehr. Die Frau stand belustigt neben mir und lächelte sanft. Auf einmal war Ruhe. 

Ein kleines Mädchen, sie saß im Rollstuhl, bahnte sich einen Weg durch die anderen Kinder, diese wichen sofort zur Seite. „Warum bist du hier und nicht bei Violetta?", fragte sie mich auf Spanisch. „Violetta ist Buenos Aires bei ihrem Vater", antwortete ich, doch die Kleine schüttelte den Kopf.

 „Ich meine nicht diese Violetta. Ich meine deine Violetta!", erklärte sie mir. Ich erstarrte. Woher wusste sie von meiner Tochter? „Ich darf nicht zu ihr...", gab ich leise zu. „Wird sie es schaffen?", fragte sie leise, fast lautlos. „Ich weiß es nicht. Ich hoffe es sehr!", sagte ich genauso leise. 

„Kannst du uns was vor singen?", fragte ein anderes Mädchen. „Ein Violettalied?", fragte ich und zu meiner Überraschung schüttelten alle die Köpfe. „Gut, ich versuche mein Glück." Ich nahm mir eine Gitarre und spielte die Melodie, die ich geträumt hatte. Ich fing an zu spielen und sang einfach darauf los. Irgendetwas wird schon dabei rauskommen.

 Hello little darling could you please take me back
when I'm too far out in the sea darling
But do you know how far is too far?
I know that we will meet again
'till now I don't know when, yet
But I am sure my pretty darling we'll meet again..  
 

Ich dachte an Diego. Auch wenn er sich auf den Weg nach Rom gemacht hatte, war er dennoch sehr weit weg. Ich vermisste ihn sehr und brauchte seine Nähe. Besonders jetzt.

  Hello little darling could you please
hold me tight when I'm alone
when I'm with you i feel save
I feel save and i feel warm
I know that we will meet again
'till now I don't know where
I don't know when yet
But I am sure my pretty darling we'll meet again 

Die Kinder fingen an im Takt mit zu klatschen, was mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. In der Tür sah ich Madeleine erscheinen. Sie stand einfach nur da und hörte mir lächelnd zu.

  'Cause i get Goosebumps on my heart
I get them every time you look
Oh i get Goosebumps on my heart
Please let us never be apart   

Auf einmal kam sie auf mich zu und stellte sich ans Klavier. Sie spielte die Melodie einfach mit. Den letzten Rest sangen wir anschließend gemeinsam und wir hatten verdammt viel Spaß dabei.

I know that we will meet again 'till now
I don't know where I don't know when, yet
But I am sure my pretty darling we'll meet again

I know that we will meet again 'till now
I don't know where I don't know when, yet.
But I am sure my pretty darling we'll meet again
we'll meet again


Alle fingen begeistert an zu klatschen. Sanft umarmte ich Madeleine und sie erwiderte die Umarmung. „Ich muss dir etwas zeigen!", flüsterte sie mir ins Ohr. Ich löste mich von ihr und sah sie neugierig an. „Überraschung!", meinte sie nur. Ich seufzte und stellte die Gitarre weg. „Ich hasse Überraschungen... Die verheißen bei mir meist nichts Gutes...", murmelte ich. „Diese schon!", kicherte sie leicht.

 „Ich muss jetzt leider gehen... War schön euch kennenzulernen", sagte ich zu den Kinder und verließ den Raum zusammen mit Maddie. „Was willst du mir denn unbedingt zeigen?", fragte ich ungeduldig. „Warte es doch einfach ab, ja?", lachte sie und ging mit mir den Flur entlang. Dann sah ich endlich was sie meinte. Die Tür zu Violettas Zimmer stand offen und drin stand ein Arzt, der auf mich wartete. „Sind Sie Clara Alonso? Die Mutter von Violetta?", fragte er mich. 

Ich nickte wild. „Wir haben ihr ein Gegengift verabreicht. Ihr geht es im Moment gut und sie können etwas bei ihr bleiben. Aber nicht solange, sie braucht viel Ruhe!", erklärte der Arzt und zeigte auf meine Tochter, die an tausend Geräten angeschlossen war. Ich nickte wieder und ging langsam auf sie zu. Vorsichtig nahm ich ihre kleine Hand in meine und beobachtete sie beim Schlafen. 

Der Arzt verließ den Raum und Madeleine stellte sich neben mich. „Ich sagte doch, dass sie es schaffen wird!", stellte Maddie triumphierend fest. „Danke", flüsterte ich, da meine Stimme versagte. „Nichts zu danken, Clari!", sagte sie und legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Was wirst du jetzt machen, Maddie?", fragte ich sie leise. Sie zuckte mit den Schultern. 

„Meine Mutter will ja nichts von mir wissen... Vielleicht gehe ich zu irgendwelchen Verwandten dritten Grades oder in ein Heim. Wer weiß. Ich werde doch sowieso in fünf Monaten 18. Solange kann ich es ja wohl in irgendeinem verkorksten Heim aushalten", seufzte sie und beobachtete Violetta.

 „Lass uns wieder raussetzen. Violetta braucht Ruhe!", hauchte ich und führte sie nach draußen. Leise schloss ich die Tür hinter mir und setzte mich mit Madeleine auf die Stühle. Maddie kuschelte sich an mich. „Du bist genau wie sie, weißt du das eigentlich?", fragte sie mich. 

„Ich bin wie wer?", antwortete ich verwirrt. „Du bist wie meine Tante Clara... Du bist einfach für mich da wenn es mir nicht gut geht... Das war schon so, als ich dich noch nicht kannte! Ich habe dich wirklich gerne, Clari!", hauchte sie müde.

 „Ich hab dich auch gerne, Madeleine!", murmelte ich und drückte die schon im Halbschlafversunkene Maddie an mich. Nach ein paar Minuten schlief auch ich wieder ein.

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt