95. Wo die Liebe hinfällt...

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Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe herum. „Und jetzt?", fragte ich ihn leise. Er seufzte. „Ich weiß es nicht. Ich versuche sauer auf dich zu sein, aber ich schaffe es nicht. Dafür liebe ich dich zu sehr. Ich bin nur endlos enttäuscht darüber, dass du nicht zu gibst, dass du für diesen Idioten noch etwas empfindest!", murmelte er. „Ich will nichts für ihn empfinden! Deshalb leugne ich es! Er soll aus meinem Leben verschwinden! Ich will meine Zeit nur noch mit dir verbringen!", antwortete ich hastig.

 „Du liebst ihn also wirklich noch...", stellte Diego verletzt fest. „Ja, ein wenig", gab ich nun doch zu. Diego schüttelte den Kopf und verließ das Schlafzimmer. „Was habe ich nur getan!", sagte ich zu mir selbst und drehte mich um. Ich lief ihm hinterher. „Diego! Warte doch! Lass es mich doch erklären!", rief ich. „Clara?", hörte ich Madeleines Stimme müde hinter mir. „Ja, Süße?", reagierte ich sofort. Im selben Moment fiel die Haustür ins Schloss. 

Warum war er nur so sensibel? Warum war ich auch nur so blöd? Warum konnte ich keine wunderbare Beziehung führen? Es ging alles gut, solange ich in Italien war! Warum jetzt nicht mehr? Ich ließ mich auf die Treppe fallen, vergrub mein Gesicht in meinen Händen und fing an zu schluchzen. „Clari! Habt ihr euch gestritten?", fragte Maddie besorgt und setzte sich neben mich. „Ich weiß es nicht... Ich denke schon!", schluchzte ich. Zu allem Überfluss fing auch Violetta an zu schreien. Etwas schwankend stand ich auf und wollte zu ihr, doch Maddie fing mich ab. 

„Lass mich das machen, Clari! Leg du dich hin und schlaf ein wenig. Das hast du nach dem Flug mehr als nur nötig", schlug sie mir vor. Ich schüttelte den Kopf. „Wem habe ich das denn bitte schön zu verdanken? Ich werde mich um Violetta kümmern. Schlafen könnte ich eh nicht. Erhole du dich lieber von deinem Nervenzusammenbruch!", sagte ich und deutete auf ihr Zimmer. Seufzend ging sie zurück. Ich betrat Violettas Zimmer. „Hey, Maus. Was ist denn?", fragte ich sie. Als sie meine Tränen sah hörte sie auf zu schreien. „Mama weint!", hauchte sie. „Papa und Mama haben sich gestritten. Es wird aber alles wieder gut werden, Maus", beruhigte ich sie und hob sie aus ihrem Bett.

 Sofort hielt sie sich an mir fest. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, so wie ich es bei ihr immer tat, wenn sie weinte. „Meine kleine Maus!", hauchte ich und drückte sie an mich. „Maus!", wiederholte sie leise. Ich fing wieder an zu schluchzen. Ich lehnte mich ans Kinderbett und ließ mich zu Boden sinken. Violetta kuschelte sich an mich und sah mich aus ihren großen Huskyaugen traurig an. Ich strich ihr vorsichtig über die Wange. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich dort weinend auf dem Boden saß, jedoch hörte ich nach einiger Zeit die Tür unten auf und wieder zu gehen. Mit Violetta im Arm stand ich wieder auf. 

Ich stellte mich mit ihr an die Treppe. Unten lief Diego auf und ab. „Papa!", rief Vilu nach unten. Diego brauchte ein bisschen bis er merkte, dass wir hier oben waren. „Mama weint!", sagte sie dann noch. Als er hoch sah, fing ich sofort wieder an zu schluchzen und wandte mich dann ab. Kurz darauf vernahm ich seine eiligen Schritte auf der Treppe. Diego zog mich sanft in seine Arme, doch ich weigerte mich. „Lass mich!", schluchzte ich und schob ihn von mir weg. Ich ging mit Violetta ins Schlafzimmer. Madeleine hatte Recht. Ich sollte mich wirklich etwas hinlegen. 

Ich setzte mich vorsichtig auf das Bett. Vilu befreite sich aus meinen Armen und krabbelte auf dem Bett rum. Als ich mich hinlegte kam sie sofort auf mich zu gekrabbelt und kuschelte sich an mich. Leise summte sie die Melodie von Algo se enciende, wenn auch mit ein paar Fehlern. Ich lächelte traurig und legte einen Arm um meine Tochter. Wir schliefen beide langsam ein, doch ich spürte wie uns jemand zudeckte und wie diese Person ganz behutsam seinen Arm um uns legte. „Papa!", quiekte Violetta leise. Dann schlief ich ein. Ich träumte viele merkwürdige Dinge, aber eine Sache war darunter, die mich in Angst und Schrecken versetzte. 

Ich träumte, dass ich Angelo heiraten würde. Ich sah mich selbst und spürte wie mein Herz schwer wurde. So musste sich wohl Diego fühlen. Unter dem weißen Kleid stachen für mich sichtbar die Kratzer, blaue Flecken und frische Narben hervor. Violetta war auch da. Sie sah vollkommen verwahrlost aus und hatte ebenfalls Kratzer und blaue Flecken. Ihre Augen waren panisch aufgerissen. „Komm her, Violetta!", sagte ich sanft mit Diegos Stimme, aber sie wich ängstlich vor mir zurück. Was lief hier ab? Als der Pfarrer mich, also Clari, fragte, ob ich Angelo zum Mann nehmen wolle, drehte ich mich nochmal um. 

Ich sah die Tränen, die über meine Wangen rannen. Ich wollte aufspringen, mich in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut ist, dass ich keine Angst haben brauche. Doch ich tat es nicht. Ich hielt mich zurück und beobachtete das Schauspiel, das sich vor meiner Nase bot. Angelo schlug auf mich ein, solange bis ich „Ja" sagte. Durch ein schwaches Rütteln wurde ich wach. „Mama weint!", hörte ich Violetta sagen. „Clara, wach auf!", kam Diegos Stimme dazu. „Mama!" Violetta klang weinerlich. Ich schlug die Augen auf. Ich war wieder ich. Violetta sah normal aus. 

Sie hatte keine Kratzer, keine blauen Flecken. Sie sah gepflegt aus und hatte keine Angst vor mir oder Diego. Erleichtert zog ich sie in meine Arme und fing an zu schluchzen. Vilu klammerte sich an mich. „Es tut mir leid, Clara. Ich hätte nicht so reagieren dürfen! Ich habe einfach überreagiert!", versicherte mir Diego aufgeregt. „Diego?", schluchzte ich leise. Er sah mich traurig an. 

Ich schniefte kurz. „Küss mich einfach!", murmelte ich. Erst zögerte er, doch dann beugte er sich über mich und Violetta um mich zärtlich zu küssen. Es war anders als sonst. Nicht, weil ich weinte oder weil Violetta direkt zwischen uns war, sondern weil einfach viel mehr Gefühle mit im Spiel waren. Egal wie sehr ich Angelo noch lieben mochte. Diego liebte ich mehr!


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