73. Violetta

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Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem kalten und dunklen Raum. Ich kämpfte mich mühevoll auf die Beine, welche sehr stark zitterten. „Diego? Angelo? Raoul? Ist denn da niemand?", schrie ich verzweifelt. Keine Antwort. Ich spürte wie eine Flüssigkeit an meinem Bein runter lief. Was war das? Blut? Kurz darauf verspürte ich einen leichten Druck im Unterleib und einen drauffolgenden Schmerz. „Violetta, du hast dir den schlechtesten Moment überhaupt aus gesucht!", murmelte ich schwach und setzte mich wieder an die Stelle an der ich wach geworden war. Ich fühlte mich alleine. Ich wollte zu Diego! Verzweifelt fing ich an zu weinen. Eine Tür öffnete sich und Raoul kam rein. In der Hand hielt er eine Decke und eine Flasche Wasser. „Was habt ihr vor?", fragte ich leise. „Wir werden deinen Freund in den Wahnsinn treiben!", lachte er gemein und zeigte auf eine Nachtsichtkamera auf der anderen Seite des Raumes. 

„Stündlich werden wir ihm ein neues Band vor die Tür legen! Er darf schon sehen wie du leidest!", meinte er und drehte sich wieder weg. Die Decke und die Wasserflasche hatte er vor mir auf den Boden geworfen. „Ich werde nicht leiden!", gab ich zurück. Raoul drehte sich zu mir um. „Clara, tue doch nicht so als wäre nichts! Wir können sehen was du machst! Deine Schwangerschaft neigt sich dem Ende zu. Wir sind ja nicht blind. Es würde uns Freude bereiten dich dabei zu beobachten!", sagte er noch bevor er verschwand. Fassungslos und verzweifelt sah ich ihm nach. Ich versuchte mich wieder auf die Beine zu kämpfen. Wieder durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Ich sank wieder zu Boden und nahm mir die Wolldecke. Ich legte sie mir vorsichtig um die Schultern. Ich sehnte mich stark nach Diego. Nach seinen warmen Umarmungen, sanften Küssen und beruhigenden Worten. Ich wollte hier bei mir haben. 

„Lasst mich hier raus!", schrie ich, doch ich bekam keine Antwort. Ich versuchte nochmal auf die Beine zu kommen. Ich ging durch den halben Raum, bevor ich vor Schmerz wieder zusammen sank und zitternd auf dem kalten Boden liegen blieb. Ich versuchte mich an die Worte meiner Hebamme zu erinnern. Ich befand mich in der ersten von vier Phasen. Ich durchlief gerade die Eröffnungsphase. Diese konnte bis zu 14 Stunden andauern. Schwankend stand ich wieder auf und ging zu einer Wand um mich schwach festzuhalten. Ich sah zur Kamera. „Mache dir keine Sorgen um mich, Diego! Mir geht es gut!", sagte ich tonlos. Mir war klar, dass wenn er es hören würde, mir eh nicht abkaufte. Er kannte mich dafür viel zu gut. Wieder eine Wehe und ich rutschte kraftlos an der Wand runter. Vielleicht sollte ich versuchen ein wenig zu schlafen? Dann hätte ich mehr Kraft für Phase drei, der Austreibungsphase. Ich robbte in eine Ecke und kuschelte mich in die Wolldecke. Tränen liefen mir über die Wangen und ich weinte mich leise in den Schlaf.

 Alle 20 Minuten wurde ich durch erneute Wehen wach. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, denn ich hatte schon lange aufgehört die Wehen mit zu zählen, als die Schmerzen stärker wurden. Ich verkrümmte mich vor Schmerz. Wieso tat das nur so sehr weh? Ich schrie auf vor Schmerz. Warum half mir denn keiner? Wie können die nur tatenlos dabei zusehen? Ich hatte das Gefühl zu sterben. Der Schmerz ließ nach und ich wollte mich zur Wasserflasche schleppen, als schon die nächste Wehe über mich hereinfiel. Schreiend ließ ich mich wieder auf den Boden sinken. Die Abstände zwischen den Wehen würden immer kürzer. Ich rollte mich auf den Rücken und streichelte vorsichtig über meinen Bauch. Ich wusste, dass es kein Zuckerschlecken werden würde, aber ich hätte nie gedacht, dass es so grauenvoll war. Mein Körper hatte nur wenige Minuten um sich zu entspannen, bevor die nächste Wehe kam. Als die Presswehen anfingen, legte ich die Wolldecke etwas über mich. Diego und auch die anderen zwei sollten nicht sehen wie sehr ich unter diesen verdammten Schmerzen litt. Mein kompletter Körper war am zittern und ich wusste nicht, wie lange ich es noch aushielt. 

Ich versuchte mich zu Konzentrieren, was bei den Schmerzen gar nicht so leicht war. Eigentlich hatte ich ja nicht vor gehabt alleine zu gebären. Mich sollten ja eigentlich Diego, meine Hebamme und ein Arzt begleiten. Meine Gedanken wurden von einer langen Presswehe unterbrochen. Ich unterdrückte einen Aufschrei. Ich würde jetzt keine Schwäche mehr zeigen. Unter unerträglichen Schmerzen zog ich diese verdammte Geburt alleine durch. Als ich spürte wie das Baby aus mir rausgedrückt wurde, fing ich an leicht zu lächeln. Nur noch ein wenig und ich hatte es geschafft. Eine erneute Wehe durchfuhr meinen Körper und meine Tochter fiel auf den kalten Boden. Sofort fing sie an zu schreien. Erschöpft setzte ich mich auf und lehnte mich an die Wand, während ich meine kleine Tochter in den Arm nahm. 

Vorsichtig strich ich ihr über die Nase, damit der ganze Schleim und das Fruchtwasser herauskamen. Als ich das hinter mir hatte, legte ich Violetta an meine Brust, wo sie sofort anfing zu saugen. Während sie trank, wickelte ich die Wolldecke um uns herum. Ich spürte noch leichte Nachwehen, aber laut meiner Hebamme wäre das total normal. Erschöpft und vollkommen erleichtert fing ich an zu weinen. Nachdem Violetta fertig getrunken hatte schlief sie. Ich beobachtete sie sanft und strich vorsichtig über ihre zarte Wange. Ich zog meine Beine an, drückte mein Baby an mich und schlief erschöpft ein. Ich war froh das alles endlich hinter mir zu haben. 

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt