80. Neue Lügengeschichten

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Im Krankenhaus lief ich nervös den Flur auf und ab. Madeleine hatte sich auf die Stühle im Gang gelegt und war eingeschlafen. Ich holte mein Handy aus der Tasche. Diego hatte, obwohl Maddie ihm gesagt hatte, dass ich nicht mehr lebe, sechs mal angerufen. Ich hatte fürchterliche Schuldgefühle. Das konnte ich ihm doch nicht antun... Ich dachte darüber nach zurückzurufen. Doch wie sollte ich ihm erklären, dass ich wieder „auferstanden" war? Er würde mich wirklich hassen. Dann würde er mir meine Tochter wegnehmen und weder Lara noch er würde jemals wieder mit mir reden. 

Alle dachten ich wäre tot und das nur wegen einer hirnrissigen Idee und zwei Bekloppte, die das durchgezogen haben. Ich wollte gerade das Handy wegstecken, da rief Diego erneut an. Zögerlich ging ich dran, sagte aber nichts. „Clara? Wer ist da?", hörte ich Diegos Stimme. Sie beruhige mich und doch liefen mir die Tränen in Bächen über die Wangen. „Clara?", fragte er und ich hörte die Verzweiflung in seiner Stimme. „Diego, lass es gut sein... Clara ist tot! Sie wird wohl kaum an ihr Handy gehen können...", hörte ich im Hintergrund Lara schluchzen. Auch Diego fing an zu schluchzen.

 „Nein, Lara! Sie ist nicht tot! Sie darf nicht tot sein! Ich muss mich doch noch bei ihr entschuldigen... Wegen mir ist sie in dieses verdammte Flugzeug gestiegen! Weil ich mich nicht beherrschen konnte! Ich habe sie belauscht und alles falsch verstanden. Es war ein Fehler von meiner Seite!", versuchte er Lara weinend zu erklären. „Ich vermisse sie!", fügte er leise hinzu. Ich lehnte mich an die Wand und rutschte mit den Rücken dran herunter. Leise fing ich an zu schluchzen. Es zerbrach mir das Herz genau diese Worte von Diego zu hören. Er wollte mich nicht aufgeben. „Clara...", hörte ich Diego sanft ins Telefon sagen, so als wüsste er ganz genau, dass ich ihm zuhörte. 

„Ich liebe dich, meine Prinzessin..." Mein Atem zitterte vor Tränen. „Ich dich auch... Es tut mir so fürchterlich leid...", sagte ich leise und legte auf. Ich drückte mein Handy an mich und fing an zu schluchzen. Wie blöd war ich eigentlich? Warum machte ich das ganze hier? Ich hätte glücklich mit Diego in Buenos Aires leben können, aber stattdessen saß ich hier in Rom, in einem Krankenhaus nach einem Flugzeugabsturz und erzählte ihm dass ich nicht mehr leben würde! Er hatte fürchterlich Schuldgefühle. Madeleine wurde wach und sah mich an. „Du merkst langsam, dass es ein Fehler war Diego diese Lüge zu erzählen, oder?", flüsterte sie müde. Ich nickte.

 Maddie stand auf und setzte sich neben mich. „Ruf ihn an und erzähle ihm, dass ich mich geirrt habe... Das du nie tot warst, sondern nur bewusstlos mit sehr schwachen Puls, weshalb ich davon ausging, dass du tot warst. Das ist zwar wieder eine Lügengeschichte, aber eine auf der guten Ebene...", meinte sie leise. „Es gibt keine guten Lügen! Jede Lüge verletzt einen, weil es einfach nicht richtig ist! Menschen, die man liebt sollte man nicht anlügen! Ich weiß, dass es ein Fehler war Diego meinen Tod vorzutäuschen, aber... Ich kann es nicht mal mehr rechtfertigen... Da ist nichts Positives dran!", murmelte ich weinend. Madeleine schnappte sich mein Handy und stand wieder auf. „Was hast du vor?", fragte ich sie. Wild tippte sie auf meinem Handy rum. 

„Was denkst du werde ich jetzt machen?", erwiderte sie leise und sah mich kurz an. „Du wirst Diego anrufen...", antwortete ich auf ihre Frage, auf die sie keine Antwort erwartet hatte. Madeleine nickte nur, dann hielt sie sich mein Handy ans Ohr. Sie lauschte dem Tuten. Als jemand abnahm, zuckte ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht. „Hallo, Diego. Hier ist Madeleine nochmal... Ja, genau die Madeleine. Ich muss dir etwas sagen...", fing sie an und sah mir in die Augen. Ich fing wieder an zu schluchzend. Maddie setzte sich neben mich. „Diego, willst du mir nun zuhören oder nicht? Ich denke es würde dich interessieren!", sagte sie und verdrehte die Augen. „Er hört mir nicht zu!", raunte sie mir ins Ohr. „Nenne meinen Namen, dann ist er still!", antwortete ich grinsend. 

Sie nickte. „Ich wollte dir zwar etwas über Clara sagen, aber gut, wenn es dich nicht interessiert, dann kann ich ja auch wieder auflegen!", sagte sie so selbstverständlich, dass ich fast angefangen hatte zu lachen. Dadurch, dass Maddie leicht lächelte und nicht auflegte, wusste ich, dass er es wissen wollte. „Ich hatte mich vorhin geirrt, Diego... Sie ist nicht tot... Ich habe es nur gedacht, weil sie bewusstlos neben mir lag und ihr Puls war so schwach, dass ich ihn in meiner Aufregung nicht fühlen konnte... Es tut mir leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe und ich kann verstehen, dass du jetzt sauer auf mich bist, aber... Was? Du willst... Ähm, wir sind in Rom im Zentralhospital, aber was hast du... Jetzt?", fragte Madeleine überrascht und sah mich an.

 „Okay, aber willst du noch kurz mit ihr sprechen? Warte, ich gebe sie dir kurz!", sagte Maddie sanft und gab mir mein Handy zurück. „Diego...", hauchte ich leise und fing wieder an zu schluchzen. „Clari! Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe... Das wollte ich nicht! Wirklich nicht!", versuchte er mir verzweifelt zu erklären. „Das weiß ich doch, Süßer...", murmelte ich leise. „Diego... Ich muss dir etwas sagen!" Er seufzte leise auf vor Erleichterung. 

„Was ist denn? Wie geht es Violetta?", fragte er mich. Meine Angst kam wieder hoch und ich wollte mich einfach nur noch in seine Arme werfen. Ich fing richtig an zu heulen. „Diego... Sie schwebt in Lebensgefahr. Sie hat eine leichte Rauchvergiftung. Ich habe so Angst, dass ich sie verlieren könnte! Wenn sie stirbt ist es meine Schuld! Ich habe sie mit in dieses Flugzeug genommen!", schluchzte ich haltlos. Ich hörte bei Diego etwas Poltern und etwas zerbrach. 

„Was machst du da?", fragte ich leise. „Sorry, du hast jetzt eine Vase weniger... Ich werde kommen, Clari! Ich werde dich jetzt nicht alleine lassen!", sagte er und immer mehr Lärm war durch den Hörer zu vernehmen. „Diego, du bist in Lateinamerika und ich in Europa... Du wirst mehrere Stunden brauchen bis du hier bist!", schluchzte ich leise und wischte mir die Tränen weg. „Das nehme ich gerne in Kauf. Da fliege ich lieber ein paar Stunden nach Rom um bei dir sein zu können, als hier in Buenos Aires zu sitzen und nichts tun zu können!", erklärte er mir und ich hörte wie eine Tür ins Schloss fiel. „Bist du sauer auf mich?", fragte ich unsicher. 

„Sollte ich sauer sein? Ich bin gerade fürchterlich Erleichtert, dass es dir gut geht und es war ja nicht deine Schuld, dass Madeleine sich geirrt hatte! Schließlich hattet ihr einen Flugzeugabsturz und sie hat ihren Vater verloren", besänftigte er mich. Tränen liefen mir immer noch über die Wangen. Dann sollte er mal glauben, dass Maddie sich geirrt hatte. „Ich liebe dich!", hauchte ich und Madeleine, die immer noch neben mir saß, fing an zu strahlen. „Ich dich auch, Prinzessin! Ich fahre jetzt zum Flughafen. Wir sehen uns in Rom!", sagte er sanft. „Danke... Bis später!", erwiderte ich leicht lächelnd. „Bis später! Ciao!", hauchte er liebevoll und legte auf. Ich starrte auf mein Handy. 

„Er kommt nach Rom!", murmelte ich und spürte Hoffnung in mir aufkeimen. Madeleine stand erneut auf und nahm sich mein Handy. „Was hast du vor?", fragte ich sie etwas misstrauisch. „Wir wollen der Welt zeigen, dass du noch da bist!", meinte sie und fotografierte mich. Sie gab mir das Handy zurück. Ich sah mir das Bild an. Zusammengesunken saß ich auf dem Boden, meine Kleidung und meine Haut waren teilweise schwarz vor Ruß und Asche, meine Haare waren zerzaust und man sah mir an, dass ich geweint hatte und immer noch dabei war. 

Ich stellte das Bild auf Instagram mit dem Hashtag Safe. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich Unmengen an Likes und alle waren froh, dass ich noch lebte. Mich erreichten Videos von Clarinaticas auf der ganzen Welt. Sie erzählten mir, wie froh sie waren, dass ich noch am Leben war und das sie fürchterlich Angst um mich hatten. Alle waren am weinen. Als letztes erreichte mich ein Video von Diego. Er saß im Flugzeug und wartete auf den Start. 

Er sah vollkommen fertig aus, aber genauso war er auch erleichtert. Er erzählte, dass er sich auf den Weg nach Rom machte um bei mir sein zu können. Eine Menge Fans waren total begeistert. Madeleine zog mich auf die Beine und führte mich zu den Stühlen. Erschöpft und vollkommen erleichtert setzte ich mich hin. Langsam schlief ich ein. Vielleicht gab es ja doch gute Lügen...

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt