114. Der Brief

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Zuhause angekommen wurde ich sofort von dem kleinen weißen Hund begrüßt, doch ich ließ ihn vollkommen abblitzen. Ich ging hoch ins Zimmer von Violetta, wo ich meine schlafende Tochter in ihr Bett legte. Schweigend ging ich wieder nach unten. Ich war alleine zuhause. Vermutlich war Maddie bei Lara auf der Lichtung. Im Wohnzimmer setzte ich mich auf die Couch und zog erneut den Brief aus der Tasche und begann zu lesen.

„Meine liebste Maria Clara", begann der Brief und Tränen rannen mir über die Wangen. „Ich würde zu gerne gerade bei dir sein, aber es geht im Moment nicht. Ich kann mir vorstellen, dass viele davon ausgehen, dass ich tot bin und das Nisco allen dadurch das Leben schwermachen wird. Besonders dir... Mach dir nichts aus seinen Worten! Egal was er sagt, höre nicht auf ihn. Um dich zu beruhigen. Mir geht es gut und ich habe die Hoffnung bald wieder nach Hause zu können. Ich vermisse dich und Violetta. Es ist so leise um mich herum und ich fühle mich oft einsam ohne dich an meiner Seite. Ich werde versuchen dir regelmäßig Nachrichten zu kommen zu lassen. Das muss aber alles heimlich passieren, niemand darf wissen, dass wir beide Kontakt zueinander haben. Lass mich für die anderen bitte tot sein, auch wenn es dir schwerfällt", las ich weiter und schluchzte leise auf.

Ich konnte doch nicht einfach sagen, dass er tot war. Er war es ja auch schließlich nicht! Tausend Tränen rannen mir über die Wangen, als ich weiter las. „Als die Bombe detonierte, war ich sehr nah an ihr gewesen. Ich habe an meinen Armen und Beinen starke Verbrennungen, aber es wird wieder heilen, mach dir keine Sorgen. Die Schmerzen sind erträglich und ich ertrage sie gerne, weil ich weiß, dass ich danach wieder gesund sein werde. Ich weiß nicht wo ich mich befinde, es ist meistens sehr dunkel hier und sehr leise. Regelmäßig bekomme ich etwas zu essen und zu trinken. Ich habe drei Zimmer, eine Art Wohnzimmer, ein Bad und ein Schlafzimmer, aber ohne dich kann ich einfach nicht schlafen. Nächte lang lag ich schon wach und habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie es dir wohl gerade gehen mag... Ich hoffe, die Zeit vergeht schnell, so dass ich dich wieder in meine Arme schließen kann, meine Prinzessin. Ich liebe dich! Diego."

Ich faltete weinend den Brief zusammen. Wo war er nur? Warum konnte er nicht hier sein? Wie lange würde es wohl dauern, bis er wieder hier sein würde? Viele Fragen auf die ich leider keine Antwort hatte. Ich legte mich hin, den Brief fest an mich gedrückt und schlief langsam ein. Kaum hatte ich die Augen zu, spürte ich eine sanfte Berührung an meiner Schulter. Ich brummte unwillig und schubste die Person etwas von mir weg. „Ich finde es auch schön dich zusehen!", hörte ich eine schmerzlich bekannte Stimme. Ich öffnete schnell die Augen. Vor mir saß Diego!

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Eigentlich wollte ich ihn umarmen, aber andererseits... Es konnte doch nicht sein, dass ich gerade noch einen Brief von ihm gelesen habe und jetzt sitzt er vor mir. Ein wenig unrealistisch war das schon. „Sieh mich nicht so an, Prinzessin. Ich wünschte ich könnte bei dir sein! Ich würde mich zu dir setzen und dich in den Arm nehmen. Du würdest dich so an mich schmiegen, wie du es sonst immer getan hast...", murmelte er traurig und seine Augen waren glasig. Ich musterte ihn besorgt.

Tatsächlich waren starke Verbrennungen zu sehen. Es war grauenhaft ihn so zu sehen. „Ich wünschte auch du wärst bei mir! Ich vermisse dich sehr! Du kannst dir nicht vorstellen, wie kaputt mich diese Situation macht...", sagte ich leise. Im Endeffekt sprach ich gerade mit meinem Unterbewusstsein. Es war ein Hirngespinnst, warum ging ich darauf ein. „Ich habe etwas für dich, Prinzessin!", hauchte er mit einem traurigen Lächeln. Er zog eine kleine Kette hervor mit einem roten Stein in Form eines Herzens.

„Das ist eine Rubinkette. Ich wollte sie dir eigentlich zur Hochzeit schenken, aber da es uns zur Zeit nicht möglich ist zu heiraten, möchte ich, dass du sie jetzt schon bekommst!" Langsam kam er auf mich zu. Er legte mir die Kette um und strich mir über die inzwischen wieder Tränennasse Wange. „Ich liebe dich, meine Prinzessin!", sagte er leise zu mir und ehe ich etwas erwidern konnte, legte er seine Lippen auf meine. Erschrocken wurde ich wach. Noch immer spürte ich seine warmen Lippen auf meinen liegen und ich lächelte glücklich vor mich hin.

Doch dann fiel mir ein, dass das alles ein Traum war. Ein Streich meines Unterbewusstseins... Ich stand auf und ging ins Badezimmer.Ich warf einen kurzen Blick in den Spiegel und erstarrte. Das konnte nicht wahr sein! Ich hatte das nur geträumt! Das bildete ich mir nur ein! Ich legte meine Hand an meinen Hals. Das war kein Traum. Sie war echt. Um meinem Hals über der Kette mit dem Ring, hing eine andere Kette. Die Kette aus meinem Traum. Das Rubinherz.

„Ich werd verrückt. Das kann nicht sein", murmelte ich leise und strich über den Anhänger. „Clari? Wo bist du?", hörte ich Lara durch das Haus rufen. Ich wischte mir eilig die Tränen weg, die sich gerade einen Weg über meine Wangen bahnten und lief nach unten. „Schrei nicht so, Lara! Violetta schläft gerade!", zischte ich leise. „Hübsche Kette!", erwiderte sie daraufhin. „Wo hast du sie her?" Ich legte meine Hand auf den Anhänger. „Von Diego...", murmelte ich wahrheitsgemäß.

Meine Schwester sah mich überrascht an, sagte aber nichts mehr dazu. „Ich wollte dir nur erzählen, dass dein Haus fertig gestellt wurde. Es muss jetzt nur noch renoviert und eingerichtet werden, dann können wir dort einziehen!", erzählte sie mir strahlend. Ich zwang mir ein Lächeln auf und tat so als würde ich mich freuen. „Du freust dich nicht richtig, habe ich recht?", fragte sie mich leise. „Ich werde nicht ohne Diego dort einziehen! Lasst euch Zeit damit. Er wird wieder auftauchen, das spüre ich!", meinte ich gereizt.

Als mir schwindelig wurde, lehnte ich mich etwas ans Treppengeländer. „Alles in Ordnung mit dir, Große?", fragte Lara mich besorgt und nahm vorsichtig meine Hand. Ich nickte etwas und rannte eilig die Treppe wieder hoch. Ich lief schnell ins Bad und übergab mich. Meine kleine Schwester folgte mir besorgt. „Hey, ist alles in Ordnung, Süße?", fragte sie mich, als ich mich auf wieder aufrichtete. „Lara... Du musst mich kurz wo hin fahren...", sagte ich, denn ich wusste genau das mit mir irgendetwas nicht stimmte. Meine Schwester nickte und mit Violetta gingen wir zum Auto.

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt