Kapitel 8 - 1001 n.Chr.

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Ich war eine Wölfin. In meinem Verstand war nichts mehr wichtig, nur noch die Gerüche und Geräusche um mich herum. Meinen Vater hatte ich mittlerweile aus den Augen verloren und auch von unserem Rudel hielt ich mich fern. Für einen Moment wollte ich einfach nur die Freiheit genießen. Ich spürte den kalten Wind in meinem Fell, während ich mit voller Geschwindigkeit durch den Wald lief. Mein Ziel war der kleine Wasserfall mitten im Wald. In meiner menschlichen Gestalt konnte ich so gut wie nie dorthin, meine schlechten Erinnerungen verfolgten mich. Doch als Wolf ging ich gerne an diesen Ort, denn hier konnte ich ganz ich selbst sein und es war mir nicht einmal mehr bewusst, was hier damals passiert war. Ohne die letzten Schreie meiner ertrinkenden Freundin in den Ohren war es ein wirklich schöner Ort.

Schwer atmend blieb ich auf einem Felsvorsprung stehen und sah kurz zum vollen Mond über mir, bevor mein Blick auf die Wasseroberfläche fiel. Mir entgegen blickte die Spiegelung meiner Wolfsgestalt, goldene Augen auf weißem Fell. Selbst in dieser Gestalt stach ich noch unter den anderen Wölfen hervor. Es war schade, dass ich mich am nächsten Morgen nicht mehr an diesen Moment erinnern würde und ich nie wissen würde, dass ich als Wolf tatsächlich hübsch war.

Plötzlich roch ich etwas Vertrautes, was mich aus meinen wirren Gedanken riss, und drehte mich um, um darauf zu zulaufen. Ich kannte diesen Geruch. Blut. Meine Instinkte waren geweckt.

Als ich an der Quelle des Geruchs angekommen war, hielt ich einen Augenblick inne. Ich sah einen kleinen Jungen am Boden liegen, er blutete stark aus dem Hals. Und er war tot. Ein Wolf aus meinem Rudel stand über ihm, das Maul mit Blut beschmiert. Mein Blick fiel auf einen jungen Mann, der verstört an einem Baum saß. Er schien den kleinen Jungen am Boden zu kennen, denn er sah fassungslos auf ihn. Ich konnte seine Angst riechen und ich wusste, dass ich ihn mit einem Biss töten könnte. Aber irgendwie kam mir dieser junge Mann bekannt vor. Und selbst meiner Wolfsgestalt schien es falsch vorzukommen, ihn zu verletzen.

Also stellte ich mich vor ihn, mit dem Blick zum anderen Wolf und knurrte diesen bedrohlich an. Irgendetwas in mir sagte mir einfach, dass wir diesen verängstigten Mann nicht verletzen durften. Als würde er zu uns gehören.

Erst jetzt bemerkte ich, dass auch der andere Wolf anscheinend keine Absicht hatte, ihn zu verletzen. Also blickte ich noch einmal kurz zu dem toten Jungen auf dem Boden und verschwand dann in den Wald. Ich wusste, dass dieser Moment wichtig war. Jemand aus unserem Rudel hatte gerade jemanden umgebracht, einen Menschen aus dem Dorf. Nur würde sich keiner von uns morgen noch daran erinnern können.

Die Wölfin - The Originals FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt