Ich hörte die Schreie von Kieran schon von weitem. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, während ich die Stufen zum alten Dachboden nach oben ging. Der Anblick dort sorgte nicht gerade dafür, dass ich mich wohler fühlte. Josh und Cami knieten vor Kieran, der an einen Stuhl gefesselt war. Neben ihm saß ein Arzt, vermutlich von Josh manipuliert, und überwachte Kierans Herzschlag auf einem kleinen Monitor.
"Cami? Können wir kurz reden?", fragte ich leise und machte so auf mich aufmerksam.
"Es ist gerade ungünstig", antwortete diese nur, ohne sich zu mir umzudrehen. Verbissen jagte sie den nächsten Elektroschock durch Kierans Körper, wobei ich unwillkürlich zusammenzuckte.
"Aber es ist wichtig. Du solltest mitkommen." Schnell verließ ich den Dachboden wieder, in der Hoffnung, dass ich eindringlich genug war, damit Cami mir folgte. Aber ich konnte nicht mehr in diesem kleinen Zimmer bleiben, ich hatte das Gefühl, dass ich dort keine Luft mehr bekam.
"Worüber willst du reden?", fragte Cami irgendwann hinter mir und ich war erleichtert, dass sie mir nachgelaufen war.
"Kieran. Diese... Therapie, die du da versuchst... Die wird nicht funktionieren."
"Was? Doch, natürlich funktioniert sie. Ich habe viel darüber gelesen. Diese Therapie ist vielleicht etwas... unkonventionell, aber das ist ein Fluch von Hexen schließlich auch."
"Cami, bitte hör mir zu. Das einzige, was du damit erreichst, ist, dass Kieran in seinen letzten Momenten Schmerzen haben wird. Du kannst Magie nicht mit Wissenschaft bezwingen. Das hier wird den Fluch nicht aufhalten können."
"Denkst du, das weiß ich nicht? Ich weiß, dass es keine endgültige Lösung ist. Aber wenn ich nur noch ein einziges Mal mit Kieran sprechen kann, dann ist es das wert. Außerdem hast du keine Ahnung, ob es nicht vielleicht doch funktionieren könnte. Tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber du weißt nichts über diese Art von Therapie. Es gibt wissenschaftliche Studien..."
"Ich weiß sogar eine Menge darüber", unterbrach ich sie wütend und atmete dann tief durch, um mich zu beruhigen. Ich redete nicht gerne über diese Zeit, aber jetzt schien der richtige Moment dafür zu sein. "Ihr Name war Nicole", flüsterte ich leise und merkte, wie ich sofort Camis Aufmerksamkeit hatte. "Es war 1932. Ich war in einer Beziehung mit ihr, aber niemand wusste davon. Sie gehörte zum Werwolfrudel hier in New Orleans. Die jüngste von drei Geschwistern, ihr Vater war der Alpha und dazu recht... altmodisch. Selbst für damalige Verhältnisse. Wir haben alles versucht, damit er nichts von uns erfährt, aber irgendwann hat er es doch. Er war unheimlich wütend, dass sich seine eigene Tochter mit jemandem wie mir eingelassen hat und da ist er durchgedreht. Er hat uns beide gefangen nehmen lassen und einen sogenannten Arzt dazugeholt. Sie haben versucht, uns mit Elektroschocks dazu zu bringen, uns gegenseitig abstoßend zu finden. Einige Wochen war ich dort. Diese 'Therapie', wie er sie nannte, konnte mich zwar schwächen, aber nicht ewig festhalten. Irgendwann habe ich es geschafft zu fliehen, aber für Nicole war es zu spät. Sie hatte bei einer der Behandlungen einen Herzstillstand und hat es nicht mehr geschafft. Also glaub mir, ich weiß mehr als genug über diese Therapie, die du gerade an deinem Onkel versuchst und ich weiß, dass sie nichts bringen wird."
Einige Sekunden sah Cami mich schweigend an und ich dachte schon, ich wäre endlich zu ihr durchgedrungen, aber dann verhärtete sich ihr Gesicht wieder. "Es tut mir wirklich leid, dass dir das alles passiert ist. Aber wir haben nicht mehr 1932. In den letzten achtzig Jahren hat sich in der Wissenschaft viel getan, und ich habe richtiges medizinisches Personal an meiner Seite. Tut mir leid, aber du wirst mich nicht davon abbringen können. Es ist meine letzte Hoffnung."
Mit diesen Worten ging Cami zurück nach oben und ich sah ihr seufzend hinterher. Wenn selbst diese Geschichte sie nicht überzeugen konnte, würde ich das nie schaffen. Das einzige, was ich tun konnte, war, trotzdem für sie da zu sein. Doch ich wusste, dass ich das nicht aushalten würde. Nicht, während sie mit diesen Elektroschocks weitermachte. Also tat ich das einzige, was mir noch übrig blieb: Ich rief meinen Bruder an.
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Die Wölfin - The Originals FF
Fanfiction• Beendet • Eigentlich war ich ein ganz normales Kind in unserem Dorf. Jeden Monat bei Vollmond verwandelte ich mich in ein gefährliches Raubtier, einen Wolf, aber das war bei uns nichts Außergewöhnliches. Die Verwandlungen waren schmerzhaft, aber m...