Kapitel 98 - 9. November 2012

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"Ich, ähm, also...", murmelte Niklaus und ich verschränkte meine Arme vor der Brust, während Elijah uns unter irgendeinem Vorwand alleine ließ. Es war wirklich untypisch für Niklaus, dass er nicht wusste, was er sagen wollte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben durfte.

"Jetzt rück schon damit raus. Was ist passiert?"

"Ich... Es geht um Ansel. Ich war heute bei ihm, weil ich einen Weg gesucht habe, wie Elijah wieder aufwacht, und..."

"Und was?", fragte ich nach, als Niklaus nicht weiterredete. "Habt ihr euch gestritten? Hat er dir auch gesagt, dass du deine Unsterblichkeit aufgeben musst, weil er dich sonst nicht lieben kann?"

"Nein. Ich meine, ja, das hat er irgendwie, aber darum geht es nicht. Ich... Er ist tot, Alexandra."

Bei diesen Worten stolperte ich ein paar Schritte zurück, als hätte Niklaus mich geschlagen. Unwillkürlich hielt ich mich an einem Regal fest, um nicht umzukippen, während lange verdrängte Gefühle in mir wieder aufkamen. Mein letztes Gespräch mit meinem Vater war unser Streit gewesen. Wir hatten beide Dinge gesagt, die wir nicht so gemeint hatten, und die würden wir nie wieder zurücknehmen können. Er war fort, schon wieder, und dieses Mal war es endgültig. Es gab keine Andere Seite mehr, auf der er uns beobachten konnte, es gab nur noch den Tod und danach das ewige Nichts.

"Wie?", flüsterte ich heiser und sah langsam auf, um in Niklaus' Augen sehen zu können. Ich sah tatsächlich, wie sich einige Tränen aus seinen Augen stahlen, und ahnte das Schlimmste.

"Ich war es. Ich habe ihn umgebracht."

Fassungslos starrte ich meinen Bruder an. Ein Teil von mir hatte erwartet, dass er das sagen würde, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte nicht glauben, dass er tatsächlich so herzlos war, seinen eigenen Vater umzubringen und mir zeitgleich meine letzte Familie zu nehmen. Jetzt wäre der Zeitpunkt, um wütend zu werden und ihn anzugreifen, aber ich konnte es nicht. In mir war nichts als Enttäuschung und unendliche Trauer. Es war beinahe schlimmer als nach Davinas Tod. Ich brachte nur ein einziges Wort heraus: "Wieso?"

"Das kann ich dir nicht sagen, tut mir leid."

"Du kannst es mir nicht sagen?", wiederholte ich fassungslos. "Ist das dein Ernst? Es ist mein Vater, über den wir hier reden! Unser Vater! Du bist mir eine Erklärung schuldig, Niklaus, das ist das Mindeste!"

"Er- Ich- Es geht um das Geheimnis, das wir vor dir und allen anderen haben. Ansel hat es herausgefunden und damit alles in Gefahr gebracht. Ich musste si- das Geheimnis schützen, ich hatte keine Wahl."

Ungläubig schüttelte ich den Kopf und wich langsam weiter vor ihm zurück, als er auf mich zukommen wollte. "Natürlich hattest du eine Wahl. Du hättest ihm vertrauen können. Er war dein Vater, er hätte dich nie verraten."

"Das hat er behauptet, aber... ich konnte nicht sicher sein."

"Du bist paranoid, Niklaus. Paranoid und wahnsinnig." Ich hielt inne, als mir ein weiterer Gedanke kam. "Angenommen, ich finde je heraus, was euer Geheimnis ist. Würdest du mich dann auch hinrichten, so wie du es mit unserem Vater getan hast?"

Ich hoffte inständig, dass er sofort den Kopf schütteln würde und mir versichern würde, dass mein Leben ihm wichtiger sei als sein Geheimnis, doch das tat er nicht. Ich wartete. Fünf Sekunden, zehn, zwanzig. Es waren nur Sekunden, aber doch kam mir die Zeit endlos vor. Als nach einer halben Minute immer noch keine Reaktion von ihm erkennbar war, gab ich es auf. "Gut zu wissen, wie viel ich dir bedeute", flüsterte ich kaum hörbar. Ich drehte mich auf dem Absatz um und lief aus dem Zimmer.

"Alexandra, warte", rief Niklaus mir nach, aber ich ignorierte ihn. Mein Weg nach draußen führte an Elijah vorbei, der mich unglücklich ansah und mich aufhalten wollte.

"Alexandra, bitte warte. Ich weiß, du bist verletzt, aber..."

"Kein Aber, Elijah", unterbrach ich ihn aufgebracht. "Du hast es selbst gesagt, du denkst, dass Niklaus das Richtige getan hat. Dass er keine Wahl hatte. Aber glaub mir, kein Geheimnis der Welt ist es wert, so etwas Grausames zu tun. Und wenn du das anders siehst, dann will ich nichts mehr mit dir oder deiner Familie zu tun haben."

Ohne ein weiteres Wort stürmte ich aus dem Anwesen und erst dann ließ ich meinen Tränen freien Lauf. In nur ein paar Minuten hatte sich meine ganze Welt verändert. Niklaus hatte alles zerstört. Und in diesem Moment war ich so entschlossen wie noch nie zuvor, meine letzten Zweifel an unserem Plan waren beseitigt. Dafür würde Niklaus bezahlen.

Die Wölfin - The Originals FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt