Kapitel 19 - 3. Mai 2011

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Marcel brachte mich zu einer kleinen Kirche und ich versuchte, nicht zu ungeduldig zu werden. Ich wollte nicht noch länger warten, bis ich mit meinem Halbbruder sprechen konnte. Außerdem befürchtete ich, dass er das Haus verlassen könnte, noch bevor ich die Chance hatte, mich in Ruhe mit ihm zu unterhalten.

"Davina, ich habe Besuch mitgebracht", rief Marcel, während er die Tür zu dem kleinen Dachboden öffnete. Sofort wollte ich hinter ihm eintreten, wurde jedoch von einer unsichtbaren Barriere aufgehalten. Anscheinend war dieser Dachboden rechtlich gesehen die Wohnung von Davina, oder sie hatte einen Begrenzungszauber gesprochen. Wie auch immer, ich konnte nicht hinein, ohne hereingebeten zu werden.

"Und wer ist das?", fragte ein Mädchen, das Davina sein musste. "Ein Freund oder ein Feind?"

"Eine Freundin. Zumindest vorerst", antwortete Marcel und grinste mich nur leicht an, als ich ihn böse ansah. Erst dann wandte ich meinen Blick von ihm ab und hin zu der jungen Hexe neben ihm. Augenblicklich hielt ich den Atem an. Ich wusste ja, dass sie jung sein musste, um Teil des Ernterituals zu sein, aber dass sie so jung aussah, hatte ich nicht erwartet. Sie sah so unschuldig und hilflos aus, fast noch wie ein Kind, aber alles an ihrer Ausstrahlung sagte mir, dass sie weder hilflos noch ein Kind war. Es war nicht nur ihre Macht, die ich förmlich auf meiner Haut spüren konnte, sondern auch ihr Gesicht. Sie hatte dieses gewisse Funkeln in ihren Augen, das ganz genau zeigte, wie mutig sie war. Ich hatte dieses Funkeln schon oft gesehen, wenn ich in den Spiegel sah. Davina war eine Kämpferin.

"Ich schätze, du willst gerne hereingebeten werden?", fragte Marcel, der es sehr zu genießen schien, dass er im Moment etwas konnte, was mir nicht möglich war. Zu seiner, und auch zu meiner eigenen Überraschung, schüttelte ich aber den Kopf.

"Nein, das möchte ich nicht. Es wird sicherer sein, wenn so wenig Vampire wie möglich in diesen Dachboden können. Du kannst schließlich nie wissen, wer wirklich auf deiner Seite steht und ich habe keine Lust, mich von irgendjemandem zwingen zu lassen, Davina etwas anzutun, nur weil ich zufällig eingeladen wurde. Außerdem muss ich für das hier nicht reinkommen."

Verwirrt sah Davina zu Marcel, der aber nur mit den Schultern zuckte. Er hatte wohl auch nicht erwartet, dass ich so auf Davinas Sicherheit bedacht sein könnte. Ich hatte ja selbst nicht damit gerechnet. Aber irgendetwas in mir sagte sofort, dass ich Davina beschützen sollte.

"Also gut. Ich denke, du bist nicht hier, weil du mich gerne kennenlernen wolltest?", fragte Davina mich und musterte mich abwartend. Irgendwie traurig, dass ihr sofort klar war, dass ich ihre Hilfe brauchte. Ich würde ihr gerne sagen, dass ich nicht so war, und nicht nur hier war, um sie auszunutzen, aber leider wäre das gelogen.

"Nein, das ist nur ein äußerst erfreulicher Zufall. Eigentlich brauche ich einen Begrenzungszauber, am besten für ein paar Stunden. Es gibt da jemanden, mit dem ich dringend sprechen muss, aber derjenige will mir einfach nicht zuhören."

"Tja, das sollte wohl kaum ein Problem für mich sein. Und Freunde von Marcel sind auch meine Freunde."

"Das freut mich sehr", grinste ich leicht und sah dann zu besagtem Vampir. Das Ernteritual war schon eine ganze Weile her. Ob Davina seitdem überhaupt mal zu jemandem außer Marcel Kontakt hatte? Oder hielt er sie die ganze Zeit hier gefangen? Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich eine Entscheidung getroffen. "Sie muss die Villa zuerst einmal sehen, um den Zauber zu sprechen. Aber keine Sorge, sie wird nicht einmal in die Nähe von Niklaus' Augen kommen. Ich werde gut auf deine Lieblingshexe aufpassen."

Davina zog kaum merklich die Augenbrauen zusammen, biss sich dann aber auf die Lippe und sah abwartend zu Marcel. Der musterte Davina kurz nachdenklich und seufzte dann leise auf. "In Ordnung, ausnahmsweise. Ich bin dir schließlich etwas schuldig. Aber nur damit das klar ist, wenn dieser Zauber gesprochen ist und Davina wieder in Sicherheit ist, ist meine Schuld bei dir damit beglichen."

Ich nickte ihm leicht zu und sah lächelnd zu Davina. "Na dann. Was ist, kommst du?"

Sofort breitete sich ein Grinsen auf ihren Lippen aus und sie lief sofort zum Ausgang. Anscheinend hatte ich recht gehabt und sie hatte diesen staubigen Dachboden wirklich seit Ewigkeiten nicht verlassen. Dafür schien sie sich jetzt umso mehr freuen, endlich wieder rauszukönnen. Bevor wir jedoch gehen konnten, hielt Marcel mich noch einmal auf.

"Ich vertraue dir, Alexandra. Ich weiß, wie stark du bist, nur deshalb erlaube ich das. Ich weiß, dass du Davina beschützen kannst. Aber wenn ihr irgendetwas passiert..."

"Schon klar", unterbrach ich ihn und lächelte ihn beruhigend an. "Ihr wird nichts geschehen. Das verspreche ich."

Die Wölfin - The Originals FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt