Kapitel 70 - 5. April 2012

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"Du siehst müde aus", bemerkte ich leise und musterte meinen Halbbruder besorgt. Er hatte gestern den ganzen Tag bei Cami verbracht, bis Kieran irgendwann gestorben war, und jetzt gerade war er dabei, sich für die Totenwache fertig zu machen. Es war interessant zu beobachten, wie viel er für Cami tat. Er musste sie wirklich gern haben.

"Ich habe versucht zu schlafen, aber stattdessen hatte ich nur Albträume von Mikael", antwortete Niklaus. Seine Stimme klang genervt, als ob das nur lästig für ihn wäre, aber ich konnte an seinen Augen erkennen, dass ihm diese Tatsache Angst machte.

"Willst du darüber reden?", fragte ich vorsichtig, doch er schüttelte nur den Kopf.

"Ich muss nicht darüber reden, ich weiß, was das zu bedeuten hat. Ich habe Mikael gesehen und meine neugeborene Tochter. Anscheinend will mein Unterbewusstsein mich davor warnen, nicht so wie er zu werden."

Niklaus wollte schon an mir vorbeilaufen, aber ich hielt ihn am Arm fest. Etwas, für das er mich vor einigen Wochen noch umgebracht hätte. Jetzt blieb er nur stehen und sah mich abwartend an. "Du wirst nicht so werden wie er", meinte ich fest. "Mikael hat dir nur Grausames angetan, er war nie für dich da und irgendwann hat er angefangen, dich zu hassen. Mikael war ein Monster, aber das bist du nicht. Du tust jetzt schon alles, um dein Kind zu beschützen, und das ist der Unterschied zwischen euch. Mikael war besessen davon, seine Kinder am Leben zu erhalten, alles andere war ihm egal. Du aber weißt, dass ein Kind mehr braucht. Deine Tochter wird einen Vater haben, der für sie da sein wird, um nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Sie kann sich glücklich schätzen, dich als Vater zu haben."

Kurz meinte ich, so etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen, doch bevor ich mir da sicher sein konnte, nickte Niklaus nur und verschwand mit einem leisen "Danke".

Grinsend sah ich ihm nach und ging dann zu Elijahs Zimmer. Gelassen lehnte ich mich in den Türrahmen, während er gerade dabei war, seine Krawatte zu richten. Dass er auch immer perfekt aussehen wollte. "Hast du schon etwas Neues darüber erfahren, was Niklaus mit Mondlichtringen will?", fragte ich, um auf mich aufmerksam zu machen.

Mein bester Freund nickte ein wenig. "Anscheinend will er sie für die Werwölfe von Hayleys Rudel, damit seine Tochter bei ihnen sicherer ist. Niklaus hat nach dem Grimoire unserer Mutter gesucht, vermutlich um den Zauber für die Steine zu finden, und ich habe es ihm gegeben. Ich vermute, dass er Genevieve dazu bringen wollte, den Zauber für ihn zu sprechen. Da er sich aber nicht mehr so gut mit ihm versteht, wird er sich wohl bald eine andere Hexe suchen. Du solltest mit Davina sprechen, wenn du nicht willst, dass sie da mit reingezogen wird."

"Das werde ich, danke für die Vorwarnung." Kurz musterte ich Elijah etwas genauer. "Du siehst erschöpft aus. Ist alles in Ordnung?"

"Ja, alles bestens. Ich habe heute Nacht nur nicht gut geschlafen."

Nachdenklich zog ich meine Augenbrauen zusammen, als mir ein Verdacht kam. "Bitte sag mir, dass das nicht daran liegt, dass du von deinem Vater geträumt hast."

Erstaunt drehte Elijah sich zu mir um. "Doch, das habe ich. Woher weißt du das?"

"Niklaus hat auch von ihm geträumt. Vielleicht ist es nur Zufall, aber ihr solltet auf jeden Fall darüber reden. Wenn es um Mikael geht, sollte man immer vorsichtig sein. Dass Mikael tot ist, ist das Beste, was in den letzten Jahren passiert ist, und dabei sollte es auch bleiben."

Die Wölfin - The Originals FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt