Avalon Kapitel 46

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Avalon


Kapitel 46



Arthur öffnete seine Augen. Er lag in einem großen Himmelbett und er schaute zu dem weißen Stoff über seinem Bett. Er brauchte einen Moment, bis er sich erinnerte, doch dann setzte Arthur sich ruckartig auf und legte die Hand über sein Herz. Er zog die Tunika hoch und sah auf seinen Körper. Eine kleine verblasste Narbe sagte ihm, das er dies nicht geträumt hatte.
„Verflucht nochmal!" fluchte er vor sich hin und stand auf. Er zog die Hose an, die über dem Sessel lag und die Schuhe, die vor dem Bett standen. Als er dann aus dem Sessel aufstand, bemerkte er erst jetzt die Person, die bis dahin still im Sessel der Sitzgruppe saß und ihn beobachtete. Es war Shaylon. Arthur ging auf ihn zu.
„Verdammt....Shaylon....ihr habt mir einen Dolch ins Herz gestoßen!"
Der König hatte seine Hände gefaltet und sein Kinn darauf gelegt, als er Arthur ernst ansah und sagte
„Ja....aber ich hatte keine Wahl. Das Tor war zu nah. Du wärst jetzt tot....hätte ich es nicht getan."
Er seufzte
„Glaub mir....das war das Furchtbarste, was ich jemals getan habe! Du bist mein bester Freund! Und wer tötet schon gern seinen besten Freund! Ich hoffe, du kannst mir verzeihen?"
Arthur sagte einen Moment nichts. Das Erste, was ihm auffiel....Shaylon sprach ihn persöhnlich an! Das Zweite....der König wirkte sehr niedergeschlagen! Und das Dritte....er nannte ihn seinen besten Freund! Er beschloss, bei der persöhnlichen Anrede zu bleiben.
„Warum hast du mich nicht zurückgehen lassen? Warum nur? Merlin hatte mich gebraucht!" sagte Arthur, den letzten Satz schrie er laut und verzweifelt. Er ging auf und ab, fuhr sich durch die Haare
„Verdammt, Shaylon....wir haben ihn allein gelassen....ich habe ihn allein gelassen....Gott....Merlin!"
Er blieb stehen und sah Shaylon an, der bis dahin geschwiegen hatte. Der König konnte den tiefen Schmerz und seine Verzweiflung in seinem Gesicht sehen. Er atmete tief ein, dann sprach er
„Arthur, was hätte das gebracht? Nur das sie dich auch gefangen hätten. Ich bin sicher, das dies nicht in der Absicht von Merlin lag."
„Er war verletzt....diese....diese Waffe hatte ihn getroffen....und er hat mich angelogen. Er wusste, das er nicht mehr teleportieren konnte. Gott....warum habe ich ihm geglaubt! Ich hätte es wissen müssen!"
Er setzte sich gegenüber dem König, senkte seinen Kopf und legte seine Stirn in seine Hand, als er leise sagte
„Er ist wieder für mich gestorben und diesmal....diesmal habe ich ihn endgültig verloren."
„Das weißt du nicht....niemand weiß, ob er tot ist."
„Er hat so furchtbar geblutet und dann die Anstrengung seiner Magie....Anna hatte gesagt, das die Waffe tödlich ist! Warum bin ich nicht bei ihm geblieben? Warum nur?"
Arthur sah ihn kummervoll an, stand auf und ging zum Fenster. Er sah hinaus, als er leise sagte
„Ich weiß....er ist tot! Ich....ich fühle ihn nicht mehr....ich fühle gar nichts mehr....nur Schmerz!"
Er nahm tief Luft und sprach weiter, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen.
„Warum hast du mich am Tor nicht sterben lassen? Ich will nicht ohne Merlin leben!"
Shaylon stand auf, trat hinter ihn, als er sprach
„Arthur....es tut mir so leid, aber ich konnte dich nicht sterben lassen. Das....das konnte ich nicht! Ich schulde dir so viel, du hast Navarr nach Hause gebracht. Ich weiß....du hast dafür einen hohen Preis bezahlt."
Arthur drehte sich um
„Einen hohen Preis? Ich habe alles verloren....alles, was dieses Leben lebenswert gemacht hatte. Merlin war mein Leben....der einzige Grund, warum ich starb und für das ich wieder leben wollte. Kannst du nur ansatzweise erahnen, was ich verloren habe?"
Shaylon schüttelte den Kopf
„Nein....niemand kann das..... weil niemand jemals solche Liebe und Verbundenheit hatte."
Er sah Arthur lange an.
„Ruh dich erst einmal aus....dann sehen wir weiter!"
Arthur sagte nichts, sah ihn nur an, mit diesen Augen, die so voller Schmerz und Trauer waren.
Der König drehte sich um und ging zur Tür. Er drehte sich dort noch einmal um, aber Arthur hatte sich wieder zum Fenster gewandt. Er seufzte, dann ging er hinaus. Arthur stand noch einen Moment am Fenster. Dann ging er langsam zu seinem Bett und warf sich darauf. Die Tränen, die er zurückgehalten hatte, während Shaylon hier war, liefen ihm jetzt ungehemmt über die Wangen. Er schluchzte auf, als wollte er all sein Leid in diesem einen Laut legen, bevor er sein Gesicht in den Kissen vergrub und weinte.
Shaylon war hinter der geschlossenen Tür stehengeblieben. Er hörte Arthur weinen und schloss seine Augen. Die Schuld und die Trauer, die er fühlte, presste sein Herz zusammen und schien ihn zu erdrücken. Er hatte das Gefühl, als könnte er nicht atmen. Was hatte er diesen beiden Menschen nur angetan? War es das wert gewesen? War das Leben einer Fee das alles wert gewesen? Er wusste es nicht....er wusste nur, er konnte nicht ertragen, das sein Freund so litt. Er atmete tief ein und ging langsam den Gang entlang.




Drei Wochen waren vergangen. Lancelot und Freya waren nach einer Woche ins Schloss gekommen, um Arthur mit nach Hause zu nehmen. Sie hatten ihre Freude für sich behalten, als sie Arthur sahen. Er sah furchtbar aus, war depressiv und dieser unbeschreibliche Schmerz in seinen Augen.... Lancelot war nur stumm auf ihn zugegangen und hatte ihn umarmt. Sie waren jetzt schon zwei Wochen in der Hütte, doch die Stimmung war gedrückt. Lancelot machte sich Sorgen um Arthur. Er saß den ganzen Tag stumm auf der Veranda, sprach kaum und hatte nicht einmal gelächelt. Nachts schreckte Lancelot oft auf, wenn Arthur im Schlaf nach Merlin schrie. Es klang so verzweifelt, das er oft vor Sorgen und Kummer nicht mehr einschlief. Jetzt saß Arthur auf der Veranda und Lancelot kam heraus
„Arthur, ich mache etwas zu essen....okay?"
Arthur schüttelte den Kopf
„Nein, ich will nichts essen!"
Der ehemalige Ritter schaute ihn an und schüttelte leicht den Kopf. Auch etwas, was ihm Sorgen machte. Arthur aß so gut wie nichts. Er schlief nicht gut und war mehr, als depressiv. Lancelot wusste sich nicht mehr zu helfen.
„Arthur....versuch doch...."
Ein Blick aus Arthurs Augen ließ ihn verstummen, Augen, die voller Schmerz und trüb waren, als er ihn ansah.
„Ich will nicht darüber reden! Verstanden? Lass mich einfach in Ruhe!"
Er stand auf
„Ich gehe spazieren!" drehte sich um und ging über die Wiese. Lancelot holte tief Luft und sah ihm kopfschüttelnd und sorgenvoll nach.
Arthurs Weg führte ihn unbewusst an den kleinen, versteckten See. Er stand am Ufer und schaute über die Oberfläche. Ja, er war wieder an ihrem See, aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte, denn er stand allein dort.
Er schaute zum Himmel und ein kleiner Klagelaut kam über seine Lippen. Die Sehnsucht nach Merlin war nicht auszuhalten. Er träumte von ihm....sah ihn immer wieder zusammenbrechen und er konnte ihm nicht helfen....konnte ihn nicht erreichen. Zu seiner Sehnsucht und Trauer kamen die Schuldgefühle. Er hatte ihn im Stich gelassen. Er war schuld, das er starb! Und er würde sich das niemals verzeihen.
Er drehte sich um, ging zu der Baumgruppe, unter der sie immer gelagert hatten. Er stand davor und starrte die Stelle an. Ein leichter Wind ging durch die Bäume und Arthur schloss die Augen. Es war, als ob der Wind mit Merlins Stimme flüsterte
„Ich liebe dich, Arthur!"
Er schüttelte den Kopf und sagte immer wieder
„Nein....nein....ich halte das nicht aus!"
Dann rannte er weg, rannte bis er nicht mehr konnte und ließ sich ins Gras fallen.



Lancelot saß grüblerisch auf der Veranda, als Shaylon plötzlich vor ihm stand. Er sprang auf und verneigte sich leicht
„Majestät!"
Shaylon hielt sich nicht damit auf. Er sah sich um
„Wo ist Arthur?"
„Er wollte spazieren gehen!"
Der König sah ihn verärgert an
„Verdammt Lancelot....ich habe dir gesagt, du sollst ihn nicht allein lassen!"
„Was soll ich tun? Er lässt nichts an sich heran und mich auch nicht!"
Shaylon trat auf ihn zu
„Aber du darfst ihn nicht allein lassen!" sagte er beschwörend.
„Warum? Ihr denkt doch nicht.... das er sich etwas antut, oder doch!"
Shaylon sah ihn nur an und Lancelot wusste es!
„Wie lange ist er fort?"
Erst jetzt fiel Lancelot auf, das es schon Stunden waren.
„Schon sehr lange!"
„Das ist nicht gut!" sagte Shaylon, drehte sich um und flog ohne weiteres Wort davon.
Lancelot machte sich jetzt wirklich Sorgen, als er dem König nachblickte. Hoffentlich hatte er nicht recht!






Arthur stand am See von Avalon und starrte auf den Nebel über dem See. Dort, auf der anderen Seite hatte er Merlin verloren. Er fühlte gar nichts....keine Präsenz von ihm....nichts! Wieso auch? Er war tot! Was sollte er noch hier? Er hob den Kopf und schaute zum Himmel. Was hatte die Unsterblichkeit für einen Sinn....ohne Merlin? Keinen! Er würde nur bis in alle Ewigkeit leiden. Wieder schaute er zu dem Nebel. Es war, als ob der Nebel mit flüsternder Stimme zu ihm sprach
„Komm....schwimm in die Endlichkeit des Todes....zu Merlin!"
Vielleicht konnte er im wahren Tod mit ihm zusammen sein. Gaius hatte immer gesagt, das sie eine Hälfte einer Seele waren. Er machte unbewusst einen Schritt nach vorne, starrte auf die glatte Oberfläche des Sees.
„Komm.... schwimm....er wartet auf dich!"
Wieder machte er einen Schritt nach vorne. Er stand dicht am Ufer.
„Schwimm....schwimm zu Merlin!"
Er machte noch einen Schritt, stand schon mit seinen Knöchel im Wasser und sah zu dem Nebel. Er ging langsam weiter....stand bis zu den Oberschenkel im Wasser.
„Arthur....tu es nicht....bitte!" sagte eine Stimme ruhig hinter ihm.
Shaylon war unbemerkt hinter ihm gelandet. Arthur drehte sich nicht um, stand im flachen Wasser.
„Warum? Was soll ich noch hier?"
Shaylon trat bis zum Ufer, blieb dann stehen
„Du könntest mir helfen, auf der anderen Seite Merlin zu suchen!"
Jetzt drehte sich Arthur herum und sah ihn überrascht an
„Ihn suchen? Er ist tot!"
Shaylon schüttelte den Kopf
„Das glaube ich nicht! Gerade heute Morgen sind die letzten Späher aus der Welt zurückgekehrt. Ich habe seit drei Wochen viele von ihnen in die Welt geschickt, damit sie herausfinden, was mit Merlin passiert ist. Heute habe ich die Bestätigung bekommen, das irgendetwas nicht stimmt."
Arthur kam langsam aus dem Wasser auf ihn zu.
„Was stimmt nicht?"
„Niemand weiß etwas von dem Zwischenfall am See. Keine Leiche....keine Spuren....einfach nichts! Kein einziger Augenzeuge, es ist so, als wäre es nie passiert. Meine Leute haben mit vielen Menschen in der Stadt geredet, niemand wusste von so einem Vorfall. Ich hatte vor zwei Tagen meine besten Feen geschickt, die mit Magie das Ufer absuchten. Es gab kein Hinweis....kein Blut am Boden....nichts! Da stimmt etwas nicht!"
Arthur hatte den Kopf gesenkt und dachte nach. Es waren keine Männer gewesen, wie in der Fabrik, in der Navarr gefangen war. Diese Männer, die sie am See verfolgt hatten, waren anders gekleidet gewesen. Keine schwarzen Jacken und Hosen, wie sie einheitlich in der Fabrik getragen hatten. Das waren andere Männer gewesen! Annas Stimme kam in seine Gedanken.
„Er ist der Chef bei der Polizei!"
Arthur sah auf, Erkenntnis in seinen Augen, als er tief die Luft einzog und zu Shaylon sah. Das konnte nur eins bedeuten....Max!
Er hatte nie in seiner Trauer und seinem Schmerz darüber nachgedacht, aber jetzt schien es klar auf der Hand zu liegen.
„Ich weiß, was passiert ist!" sagte er
Shaylon kam auf ihn zu
„Was?"
„Max.... der verdammte Bastard hat Merlin! Er ist der Chef bei der Polizei und konnte alle Beweise verschwinden lassen."
„Aber was will er mit Merlin? Er ist ein Mensch!"
Arthur nickte grimmig
„Anna! Er will Anna! Und hat Merlin als Druckmittel!"
„Was heißt....er will Anna?"
„Sie hatte uns sehr geholfen, Navarr zu befreien. Ohne sie hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft! Max will sie haben, aber Anna hat kein Interesse. Der Kerl ist krank, besessen von ihr....er will sie um jeden Preis!"
Shaylon nickte
„Gut, dann gehen wir zurück und holen Merlin!"
„Wir?"
„Du und ich gehen zurück!"
Arthur sah ihn überrascht an
„Aber du bist der König!"
„Hatte dich das jemals zurückgehalten.....früher?" fragte Shaylon.
„Nein!"
Der König legte eine Hand auf seine Schulter.
„Arthur, ich bin dir das schuldig und....du bist mein Freund! Ich werde dich nicht im Stich lassen! Ich werde mit dir gehen!"
„Und ich auch!" klang es hinter ihnen.
Navarr stand dort und grinste.
Shaylon drehte sich um
„Was tust du hier und nein....du gehst nicht mit!"
Navarr trat näher
„Ich gehe auf jeden Fall mit. Wenn du mich nicht mitnimmst, dann folge ich euch einfach."
Shaylon warf die Arme in die Luft
„Verdammt, Navarr, mit dir habe ich nur Probleme. Ich bin dein König, verflucht!"
„Und der Mann meiner Schwester. Sie hat gesagt, ich soll mitgehen und außerdem will ich Anna sehen."
Shaylon sah hilfesuchend zu Arthur, aber der zuckte mit den Schultern. Familienangelegenheiten!
„Wenn du mich nicht mitnimmst, kannst du das mit Linume klären." sagte Navarr drohend.
Danach hatte Shaylon wirklich kein Verlangen. Sie konnte richtig böse werden. Er nickte resigniert und Navarr grinste.
„Dann haben wir drei Tage!" sagte Arthur
Der König schüttelte den Kopf
„Nein, ich bin der König! Ich bin mit der Magie von Avalon verbunden. Sie fließt durch mich, ich kann entscheiden, wer hierher kann und heraus kann. Ich habe die Macht dafür und auch unbegrenzt Macht außerhalb von Avalon. Was ich entscheide, gilt für Avalon....also auch, das du hier bist und alle andere. Es wird weitergegeben vom Vater zum Sohn."
„Und Navarr?"
Shaylon sah die Fee missmutig an
„Ich muss ihm Magie geben, nach drei Tagen, dann kann er auch bleiben."
Er sah zu Arthur
„Morgen Nacht gehen wir in die andere Welt und kehren erst wieder zurück, wenn wir Merlin haben, in Ordnung?"
Arthur nickte. Wenn Shaylon recht hatte, dann lebte Merlin noch. Hoffnung flammte in ihm auf, wie ein loderndes Feuer.

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