Avalon
Kapitel 6
Gaius wusste nicht, wie lange er mit Merlin in seinen Armen dort saß, bevor er ihn mit seiner letzten Kraft auf das Pferd hob. Er atmete ein paar Mal heftig, musste sich einen Moment ausruhen, bevor er traurig lächelte und murmelte
„Ja....du hattest recht, ich bin ein alter Mann."
Dann nahm er die Zügel und machte sich auf den Weg zum See. Er wollte Merlin nach Avalon bringen....zu Freya. Der Zauberer hatte ihm von ihr erzählt....damals, als sie nach Camelot kam und Merlin sie gefunden hatte. Sie war verflucht und tötete nachts in einer magischen Tiergestalt Menschen. Aber Merlin hatte sich trotzdem um sie gekümmert. Arthur verwundete sie tödlich und Merlin brachte sie nach Avalon. Sie würde sich um ihn kümmern.
Nach einer Stunde stand der Hofarzt am Ufer des Sees. Gott, sie waren so nah gewesen....so nah. Er konnte die Insel in der Mitte nur schlecht sehen. Dicke Nebenschwaden zogen über den See. Hier irgendwo war das Tor zu Avalon....die Heimat der Sidhe und auch die Heimat von außergewöhnlichen Menschen, die gestorben waren. Er schaute traurig zu Merlin. Ja....Merlin war außergewöhnlich gewesen.
Er sah wieder über den See. Gaius hatte Avalon nie gesehen, niemand hatte das, der noch lebte, aber er hörte Geschichten über diesen Ort. Er sollte wunderschön sein und friedlich. Nur wer eine Erlaubnis hatte, durfte Avalon betreten. Er war sich sicher, das Freya ihn willkommen hieß....es war Merlin. Gewöhnliche Menschen gingen in die Geisterwelt, wenn sie starben. Dort würde auch er hingehen, wenn es soweit war. Das heißt, er würde Merlin nie wiedersehen. Gaius Herz war voll Trauer.
Es war früh am Morgen. Die Sonne ging auf, aber die Nebelschwaden lösten sich nicht auf und Gaius hatte das Gefühl, als hätten sie einen unnatürlichen Ursprung. Er bettete Merlin auf das kleine Boot, das wie durch Zauberhand plötzlich am Uferrand war. Freya würde wohl auf ihn warten.
Er stand an dem kleinen Boot und sah Merlin lange an. Er hatte es nie leicht gehabt. Seine Magie, die er immer verstecken musste, die harte Arbeit und....eine unglückliche unerfüllte Liebe, aber trotzdem war sein Herz immer mitfühlend und voller Liebe geblieben. Gaius fuhr ihm noch einmal zärtlich durch sein Haar, so wie es ein Vater tat, der seinen Sohn verloren hatte. Merlin war so blass, noch blasser, als zu Lebzeiten. Seine Augen waren geschlossen und er sah aus, als würde er schlafen.
Gaius sah wieder zu der Insel, die immer noch im Nebel lag, dann nahm er tief Atem und schob das Boot in den See. Das Gewässer war glatt und dunkel. Keine kleinen Wellen kräuselten sich auf der Oberfläche. Es ging auch kein Wind, keine Vögel zwitscherten; es war totenstill und erst jetzt fiel Gaius das auf. Es schien, als würde die Natur trauern....trauern um einen großen, edlen Zauberer. Er war so niedergeschlagen und traurig, das er es nicht bemerkt hatte. Gaius seufzte. Sie waren schon so nah gewesen, aber.....Wie durch Geisterhand trieb das kleine Boot in die Mitte des Sees und war bald darauf in den Nebelschwaden verschwunden.
Gaius stand am Ufer und schaute über den See, nachdem das Boot lange im Nebel verschwunden war. Dann atmete er tief ein und sagte leise
„Leb wohl....Merlin. Ich werde dich nie vergessen, solange ich lebe."
Langsam drehte er sich um, stieg auf das Pferd. Noch einmal sah er zurück zum See. Dann machte er sich auf den Rückweg nach Camelot. Es war eine zweitägige Reise und Gaius war sehr erschöpft. Er musste später rasten und sich ausruhen. Aber er musste auch schnell zurück.
Er seufzte. Er musste dem jungen König die Schreckensnachricht überbringen. Und ihm alles über Merlin erzählen. Er hatte es dem Jungen versprochen und er würde eher sterben, als dieses Versprechen zu brechen.
Arthur und seine Männer waren seit zwei Tagen wieder in Camelot. Die Menschen auf den Straßen hatten sie jubelnd empfangen und auch mit Trauer für die gefallenen Soldaten, die ihr Leben, um Camelot zu schützen, geopfert hatten. Gwen war ihm auf dem Hof entgegen gelaufen und hatte sich weinend in seine Arme gestürzt. Sie war so glücklich gewesen, das er unverletzt nach Hause gekommen war.
Am nächsten Tag hatten sie ihre Toten bestattet und betrauert. Arthur war erschöpft. Erst die Schlacht und später die Bestattungsfeierlichkeiten, die des Königs Anwesenheit erforderten, verlangten schließlich ihren Tribut.
Müde ließ er sich in einen Sessel in seinen Gemächer fallen. Er legte seinen Kopf in seine Hände und seufzte. Gwen kam auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Du bist erschöpft, aber auch nachdenklich. Was ist denn los?"
Arthur hob den Kopf und schaute sie an.
„Ich weiß es nicht! Gaius ist seit Ende der Schlacht spurlos verschwunden und....und Merlin ist auch unauffindbar. Niemand hat ihn gesehen. Und ich weiß nicht, wo er ist, und auch, wo Gaius ist.
Ich mache mir Sorgen. Irgendetwas stimmt nicht. Man kann doch nicht einfach so verschwinden."
Gwen setzte sich ihm gegenüber und nahm seine Hände.
„Es gibt bestimmt einen guten Grund, das die zwei nicht da sind. Aber ich bin sicher, das sie bald wieder hier sein werden. Denkst du, Merlin ist bei Gaius?"
„Ja....mit Sicherheit. Und ich hoffe, das er bald zurückkommt....das beide zurückkommen."
Ja, er brauchte Merlin, auch wenn er ihn im Stich gelassen hatte. Er sehnte sich danach, wieder seinen schlaksigen, tollpatschigen Diener zu sehen, ihm in seine blauen Augen zu schauen und darauf zu warten, das er wieder eine schlagfertige Antwort für ihn hatte. Er lächelte bei dem Gedanken. Aber das war nicht der einzige Grund....er brauchte ihn einfach. Es war alles viel leichter, wenn er bei ihm war, auch wenn er seinen Gefühlen nicht nachgeben konnte. Er lächelte wieder.
„Vielleicht sollte ich ihn in den Kerker werfen, wenn er wiederkommt. Wir sind schon zwei Tage in Camelot und er ist nicht einmal aufgetaucht. Und ich muss mich mit diesem langweiligen Diener, Namens George herumschlagen."
Gwen lachte.
„Na....vielleicht weißt du jetzt Merlin zu schätzen."
Schätzen? Ich tue mehr, als das. Ich liebe und sehne mich nach ihm. Ich habe selbst gesagt, das wir das nicht dürfen....aber ihn nur zu sehen, hilft mir schon. Aber ich will mehr. Ich will Merlin. Gott, wie lange kann ich das noch vor Gwen verbergen? Und wie wird sie reagieren? Ich möchte ihr das nicht antun, aber jede Faser meines Körpers zieht mich zu Merlin. Was soll ich nur tun?
Gwen riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ich denke, du solltest etwas schlafen. Heute Abend ist das Fest, indem wir allen Gefallenen gedenken."
„Ja, du hast recht. Ich werde etwas schlafen."
Der König stand auf und bewegte sich zu seinem Bett.
„Ruh dich aus! Ich muss noch einige Sachen erledigen."
Gwen lächelte ihn an, bevor sie sich umdrehte und die Gemächer verließ.
Arthur warf sich auf das Bett. Seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er dachte die ganze Zeit an Merlin. Wo war er? Arthur hatte seit gestern ein sonderbares Gefühl. Etwas beunruhigte ihn und er fühlte sich.....anders! Er machte sich wirklich Sorgen. Was war nur los? Und wieso fühlte er sich so sonderbar?
Am frühen Abend stoppte Gaius auf der Anhöhe, als er die prächtigen weißen Türme von Camelot sah. Er war so schnell geritten, wie sein alter Körper es zuließ. Und er war früher in Camelot, als er dachte. Er schaute zum Schloss. Er konnte sich nie daran satt sehen, dieses wunderschöne Schloss zu bewundern. Einerseits konnte er Morgana verstehen, das sie so wild auf Camelot war. Es war wunderschön und repräsentierte Macht und Reichtum. Er freute sich immer, zurück nach Camelot zu kommen, wenn er außerhalb zu tun hatte. Aber heute nicht. Heute kam er mit einer sehr traurigen Nachricht zurück und er wusste bei bestem Willen nicht, wie er das Arthur sagen sollte. Und er war sehr müde. Die Anstrengungen und Aufregungen der letzten Tage machten ihm zu schaffen. Es wunderte ihn sowieso, das er durchgehalten hatte, denn er war schließlich kein junger Mann mehr. Aber er hatte es für Merlin getan, um ihn zu retten, aber....sie waren gescheitert....er war gescheitert. Und nun musste er Arthur sagen, das der Mann, den er liebte, tot war. Und er musste ihm sagen....wieso. Eine Aufgabe, um die ihn bestimmt niemand beneidete. Er seufzte.
Bevor es dunkel wird, würde er zu Hause sein. Ein Zuhause, zu dem er jetzt allein kam und es bleiben würde. Kein Merlin, der ihn lächelnd begrüßte, wenn er von einer Reise kam und ihm erzählte, was alles in seiner Abwesenheit passiert war.
Er spornte das Pferd an.
Es dämmerte, als er zu den Stallungen ritt. Er stoppte davor, stieg ab und führte das Pferd in den Stall. Ein Stalljunge kam ihm entgegen und nahm Gaius die Zügel aus der Hand.
„Ich kümmere mich um das Pferd, Sire."
Gaius nickte. Dann drehte er sich um und verließ die Stallungen. Der Hofarzt ging über den Hof in Richtung seiner Gemächer. Es war sehr still um diese Zeit und er wunderte sich darüber. Nur wenige Menschen waren unterwegs.
„Gaius!"
Der Hofarzt drehte sich um und sah Leon auf ihn zulaufen.
„Wo zur Hölle ward ihr?" fragte Leon, als er ihn erreichte. Gaius hob eine Augenbraue.
„Ich musste etwas erledigen. Warum?"
„Wir hatten euch gesucht. Ihr ward plötzlich verschwunden. Und wo ist Merlin?"
„Warum ist es so still hier?" stellte Gaius eine Gegenfrage.
„Sie sind alle auf dem Fest zum Gedenken der gefallenen Soldaten."
„Ach ja....sicher. Nun....ich bin sehr müde von der Reise."
„Natürlich! Wir sehen uns später!"
Der Ritter nickte ihm zu. Gaius drehte sich um und setzte seinen Weg fort. Leon wollte ihm noch etwas zurufen, tat es aber dann nicht. Er hatte ihm nicht gesagt, wo Merlin ist.
Arthur saß auf seinem Stuhl und hörte halbherzig einem Lord zu, der von großen Schlachten erzählte. Er fühlte sich unruhig und unzufrieden. Er schaute zu der Stelle, wo normalerweise bei Festen immer Merlin stand. Aber dort war niemand. Gwen hatte sich mit Kopfschmerzen zurückgezogen und so musste er allein die Pflichten des Königs wahrnehmen. Dazu gehörte auch, sich langweiliges Geschwätz von Möchtegern Krieger anzuhören.
„Was meint ihr dazu?" fragte der Lord.
Arthur wusste nicht, was er erzählt hatte, er war mit seinen Gedanken beschäftigt und hatte nicht zugehört. Also wagte er einen Schuss ins Blaue. Eigentlich war es egal, was er antwortete, der Lord würde ihn nie öffentlich kritisieren. Aber die Höflichkeit erforderte, das er antwortete.
„Nun ja....ich finde das auch gut!"
Der Lord strahlte.
„Sehr richtig, Mylord!"
Aber er gab nicht auf und plapperte weiter; Arthur stöhnte innerlich. Er hatte heute Abend keine Nerven für so etwas. Er war angespannt und nervös. Wieder schaute er zu der Stelle, an der immer Merlin stand, als er sah, das Leon hereinkam und zielstrebig auf ihn zukam. Als er neben Arthur war, beugte er sich hinunter und flüsterte in sein Ohr
„Sire! Gaius ist zu eben zurückgekehrt. Ich traf ihn auf dem Hof."
„War Merlin bei ihm?"
„Nein, Sire, er war allein. Und.... er hat meine Frage, wo Merlin ist, nicht beantwortet."
Arthur hielt es nicht mehr aus, er sprang auf, entschuldigte sich bei diesem Lord, das er dringende Angelegenheiten erledigen musste und stürmte mit wehendem Umhang aus dem Ballsaal.
„Leon, sorge dafür, das dieses Fest bald beendet wird!" rief er dem Ritter noch zu.
„Ja, Sire!"

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Avalon
FanfictionMerlin rettet Arthur in Camlann sein Leben. Aber zu welchem Preis? Und wird Arthur damit klar kommen? Ist Liebe stärker als alles andere? Und werden die beiden ihr Glück finden? Pairing Arthur/Merlin