Selection - Futuria

2. Kapitel - Antwort

Zwei Tage später sitze ich am Küchentisch und rühre in der geschmacklosen Suppe, die Halo gekocht hat. Salz und Pfeffer gibt es hier nicht zu kaufen, und es wäre ohnehin zu teuer. Keine Ahnung, aus was meine Schwester die Brühe gezaubert hat, ich habe mir angewöhnt, das nicht zu hinterfragen.

Sie sitzt mir gegenüber und übt mit einer Schablone, die ich ihr aus Pappe geschnitten habe, die einzelnen Buchstaben zu schreiben. Es ist ihr peinlich, mit vierzehn auf dem Stand einer zehnjährigen zu sein, doch dafür kann sie absolut nichts und ich unterstütze sie so gut es geht.

Man muss lesen und rechnen können, egal ob man später als Bäcker, Metzger oder Putzfrau arbeitet. Es ist kalt in der kleinen Wohnung, deshalb haben wir uns mit allen Decken eingewickelt, die wir gefunden haben. Der Strom funktioniert nur bedingt, heute hatten wir Glück und Halo konnte den Wasserkocher benutzen.

"Hast du die Zeitung vom Sonntag gelesen?", frage ich meine Schwester. Sie blinzelt und streicht sich honigblonde Haare aus dem Gesicht, damit sie mich anschauen kann. "Ähm. Dort stand ein Wort, dass ich nicht mal kannte. Also habe ich mich erstmal aufs Rechnen konzentriert..." Die Röte steigt ihr ins Gesicht.

Ich seufze und hole besagte Zeitung unter dem Blumentopf hervor, dessen Pflanze trotz der fehlenden Pflege immer noch lebt. Wir gießen sie einmal die Woche und sie trägt fast ganzjährig orange Blüten, die wir im Sommer pflücken und dem Apotheker bringen, damit er daraus Medizin herstellen kann.

Er kann nur Arznei herstellen, wenn genügend Pflanzen wachsen und es heiß genug ist, dass diese nicht erfrieren, bevor sie getrocknet sind.

Das Papier ist wellig und mit Erde befleckt, ich schnalze mit der Zunge. Tatsächlich, dieses Wort habe ich auch erst wenige Male gehört. Selection steht dort in fetter Überschrift. Aus dem Tagebuch weiß ich, dass dies der Prozess war, wie die Könige früher ihren Söhnen und Töchtern Ehepartner gesucht haben. Es ist eine Art Auswahlprogramm, und am Ende bleibt logischerweise nur eine übrig - die wahre Liebe der Hoheit.

Das ganze wurde im Fernseher dokumentiert, allerdings haben heute sowieso nur noch die Bezirke Eins bis Sieben einen dieser Kasten. Mit hochgezogenen Augenbrauen lese ich weiter, es wird immer merkwürdiger, je weiter ich komme. "Ließ laut vor!", bittet Halo und setzt einen Hundeblick auf, damit sie mich besser rum kriegt.

Sie ähnelt Vater manchmal so sehr, dass es weh tut. Wenigstens habe ich genauso seine Haare und Augen wie sie, den Humor und die Leichtigkeit habe ich definitiv nicht geerbt. "Na gut. Zur Erklärung: Die Selection gab es früher mal, so vor zweihundert Jahren, und die Prinzen und Prinzessinnen haben sich auf diese Weise einen Partner gesucht. Allerdings lief das ganze eher wie eine Show ab, es gab fünfunddreißig Umwerber und nur einen Hauptgewinn."

Ihre Stirn kräuselt sich verwirrt. "Warum sollte man sowas tun? Und woher kamen überhaupt diese fünfunddreißig Prinzessinnen?" Jetzt kommt der Teil, der gefährlich wird. "Es waren keine Adligen, sondern Bürgerliche.", erkläre ich vorsichtig. Ich sehe förmlich, wie die Zahnräder in ihrem Kopf sich zu drehen beginnen und rattern.

"Das heißt...jeder Bürgerliche konnte adlig werden?" Es wundert mich nicht, dass sie das nicht nachvollziehen kann. Es erscheint einem auch wirklich banal im Vergleich zu unserem System, bei dem es garantiert keine Liebesheiraten gibt. "So in etwa, ja." Ihre Augen beginnen zu leuchten. "Und jetzt soll es sowas wieder geben?" Bevor sie noch auf den Tisch hüpft, unterbreche ich sie. "Ja, schon, aber in mehr als nur abgewandelter Form. Und mach dir keine Hoffnungen, man darf erst ab sechzehn teilnehmen."

Sie zieht eine Schnute. Ihre Finger lösen sich vom Bleistift und sie stützt sich mit den Händen den Kopf ab. "Schade. Ich hätte den Palast so gerne mal gesehen. Kannst du trotzdem vorlesen?" Da ich ihr diesen einfachen Wunsch schlecht abschlagen kann, tue ich ihr den Gefallen.