79. Kapitel - Tiefe Seelen

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Okay, keine Panik. Ich sehe mich im Schutzraum um. Reibe mit den Händen über meine Arme, um die Kälte zu vertreiben. Er ist viel kleiner als die bisherigen. Das Bettgestell stößt an beiden Wänden an, dahinter gibt es ein Regal mit Konservendosen und Kanistern voll mit Wasser.

Damien sollte etwas trinken. Sollte er doch, oder? Ich kontrolliere, ob er nach wach ist. Sein Blick wirkt  getrübt und er sieht müde aus. „Durchhalten“, bitte ich. Dann hole ich einen der Kanister, wozu ich mich über Damien hinweg beugen muss. Jetzt weiß ich auch, weshalb mir so kalt ist. Der Stoff meines Kleides ist gerissen, hinten am Rücken.

Er klafft auseinander, doch darum muss ich mich später kümmern. Drei Kanister gibt es insgesamt, alle haben ein Volumen von fünf Litern. Das dürfte eine Weile reichen. Auch wenn ich hoffe, dass es keine dauern wird, die Rebellen aufzuhalten. Wieder ist es so still, bis auf Damiens rasselnden Atem, dass ich mir alle möglichen Dinge einbilde.

Ich mache mir Sorgen um meine Freundinnen. Und um Kaden. So sehr, dass es mich auffrisst. Wir hätten sie ebenfalls holen müssen. Wir haben zu früh aufgegeben. Ich habe zu früh aufgegeben. Fast kommen mir vor Verzweiflung die Tränen. Was, wenn sie dort oben liegen? Erschossen oder erstochen, einfach so, nur weil der Zufall sie für die Selection auserkoren hat?

Sie sterben ganz allein. Denn niemand wird die Gefahr auf sich nehmen, sich zu ihnen zu knien, wenn die Gänge noch nicht gesichert sind.

Daran darf ich nicht denken. Es macht mich verrückt, hält mich auf. Ich beiße mir fest auf die Innenseite meiner Wange, bis ich Blut schmecke. Dann drehe ich den Deckel des Kanisters ab, schnuppere an dem Wasser und beschließe, dass es okay riecht. Nicht abgestanden oder verdorben.
Soweit man sowas beurteilen kann…

„Achtung, hier kommt etwas zu trinken“, warne ich Damien sanft. Er öffnet die Augen, will sich bewegen, doch es tut wohl zu sehr weh. „Schon gut“, meine ich. Suche nach einem Becher. Fülle einen kleinen Schluck ab, echt nicht viel, damit er sich nicht verschlucken kann.

Dann halte ich den Becher dicht an seine Lippen. Er muss nur noch den Kopf anheben, das sollte gehen, also warte ich geduldig. Bestimmt hat er sich ein paar Rippen gebrochen. Viel weiß ich nicht über Brüche, aber wenn die Knochen gesplittert oder in Richtung Organe gebrochen sind, kann es gefährlich werden.

Er öffnet seinen Mund und ich kippe den Inhalt des Bechers vorsichtig hinein. Er schluckt, alles geht gut. Also wiederhole ich mein Vorgehen. Dabei komme ich nicht umhin, ihn zu bemitleiden. Es muss schreckliche Schmerzen haben.

Und in diesen Kammern ist es kalt, besonders, wenn man sich nicht bewegt. Wieder gibt es nur ein Kopfkissen und eine dünne Decke, auf der er jedoch liegt. „Danke“, flüstert er. Ich lächle schwach. „Das ist das Mindeste, oder? Ich wünschte, ich könnte-“ Da entdecke ich den erste Hilfe Kasten.

Im Regal ganz unten, weit hinten, fast auf Höhe des Bodens. Da sind bestimmt Schmerztabletten drin. Oder Verbandszeug. Nur, wie komme ich da ran? Damien liegt genau davor.

„Ich muss kurz dort hin“, sage ich und deute mit dem Finger auf die Stelle. „Könnt Ihr die Beine anwinkeln?“ Er versucht es.

Sehr langsam, begleitet von stöhnen und zischen. Doch es klappt. Ich habe genug Platz, um mich über das Bett nach unten zu lehnen und mit den ausgestreckten Armen den Koffer hervor zu holen.

Ich manövriere ihn durch die schmale Öffnung zwischen Bett und Regel, verfluche die unpraktische Einrichtung. Die ganze Zeit über, hänge ich so da, enge Damien ein. Dieser wartet stumm, bis ich fertig bin. Verrückt, dass wir vor einigen Stunden noch miteinander getanzt haben. Als Fremde. Gut, das sind wir immer noch.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt