64. Kapitel - Die Wahrheit

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"Nivea sag mir endlich, was los ist! Verdammt was hast du vor?" Ich habe den Flur schon betreten, als er mir hinter ruft. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass sich zwanzig Meter weiter eine Tür öffnet. Sicher ist das einer der Kandidaten, der nachsehen will, warum es so einen Lärm gibt. Toll Leander, ganz toll!

Er packt mein Handgelenk bevor ich sehen kann, wer es ist, und zwingt mich stehen zu bleiben. Wieder bekomme ich ein Flashback, rucke zurück und mir ist einen Moment schwindelig von dem Schmerz. Unter den Ärmeln der Bluse ließen sich die Blutergüsse gut verstecken, Make-up hat den Rest getan, aber das war zu viel.

Leander starrt auf seine Finger, dann wandert sein Blick zu mir und spätestens jetzt hat er begriffen, was geschehen ist.  Bevor ich etwas sagen kann, schiebt sich eine Gestalt mit schwarzen Haaren an mir vorbei und presst sich gegen Leander.

Kaden packt ihn an den Schultern und stößt ihn gegen die Wand, ich bin zu geschockt um zu realisieren, was vor sich geht. Leander nicht, er versucht sich zu wehren, hat aber keine Chance. Kaden ist zu wütend, und langsam kapiere ich, dass er es meinetwegen ist. "Fass sie nicht an", knurrt er und beim Klang seiner Stimme läuft mir ein Schauer über den Rücken.

Er war es, der mich gestern gerettet hat. Ohne ihn hätte Benjamin... Oh Gott, immer wieder denke ich nur, Oh Gott. Ich werde Kaden niemals vergessen, was er für mich getan hat, doch ich fürchte, er ist blind vor Wut und wird Leander ebenso verletzen, wenn ich ihn nicht aufhalte. Mir ist schon wieder zum heulen zu Mute, echt, aber ich muss stark sein.

"Lass ihn los", flüstere ich. Die beiden nehmen mich gar nicht wahr, also schlucke ich den Kloß im Hals herunter und gehe einen Schritt auf sie zu. "Lass ihn, Kaden! Du musst aufhören!"

Wieder keine Reaktion. Kaden presst Leander die Luft ab, er hat ihn fest in seiner Gewalt und drückt immer fester zu. Wenn eine der Wachen sieht, was los ist, werden die beiden rausfliegen! Oder noch schlimmer, nur Kaden muss gehen, und das wäre absolut falsch.

Ich rüttle an seinem Oberarm und bin verzweifelt, fühle mich machtlos und allein gelassen. Dafür haben wir keine Zeit, ich muss zu Andrew, aber wenn ich sie hier stehen lasse, wird das in einer Katastrophe enden.

"Kaden verdammt, sieh mich an! Das ist nicht Benjamin, er wollte mir nichts antun!"

Er dreht den Kopf zu mir und seinen Gesichtsausdruck werde ich nie mehr vergessen, so finster ist er. Schnell wiederhole ich meine Worte, damit ich ihn nicht wieder verliere.

Die beiden strahlen Hitze und Gewalt aus, ihre Körper trotzen vor Kraft und wieder spüre ich ganz deutlich, wie unterlegen ich ihnen in dieser Hinsicht bin. Wenn sie mich ignorieren und weiter einen sinnlosen Kampf ausfechten wollen, werde ich nichts dagegen tun können.

"Bitte, Kaden", sage ich eindringlich, meine Hand noch auf seinem Arm liegend. "Das hilft mir nicht. Du bringst dich damit nur in Schwierigkeiten."

Langsam, ganz langsam weicht der fiebrige Glanz in seinen Augen und er blinzelt mehrmals, ehe er Leander anschaut und ihn los lässt. Er taumelt zurück, noch immer geladen, aber keine Gefahr mehr.

Erleichterung wallt in mir auf.

Die beiden stehen zwar zwei Meter voneinander entfernt, sehen sich jedoch feindselig an und ich begreife, dass ich sie trennen muss.

"Leander, komm."

"Was? Wieso?", fragt Kaden aufgebracht.

Leanders Kiefer mahlt, er zieht sich sein Hemd zurecht und erst da begreife ich, was Kaden gedacht haben muss. Meine Güte, er könnte falscher nicht liegen.

"Wir haben uns nur unterhalten", erkläre ich hastig, streiche mir eine blonde Strähnen aus dem Gesicht. "Das ist etwas ausgeartet, aber es war nicht so, wie du vielleicht glaubst."

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