28. Kapitel - Absicherung

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Das Mittagessen verbringe ich mit Henry, obwohl mir im Augenwinkel Kaden aufgefallen ist, der sich suchend im Saal umgeschaut hat und an mir hängen geblieben ist. Glücklicherweise waren die Plätze neben Henry bereits besetzt, so dass sich das Desaster von vor drei Tagen nicht wiederholen konnte. Ich unterhalte mich leichthin mit ihm, blende Victoria so gut es geht aus, die in absoluter Hörweite zwei Stühle entfernt von mir sitzt.

Dennoch bekomme ich einige Fetzen mit.

"Ich bin ja so froh, dass sich die Runde nach heute Abend verkleinern wird." "Wird es auch private Interviews geben?" "Mein Kleid bekommt gerade noch den letzten Feinschliff. Ich möchte glänzen."

Ehrlich gesagt frage ich mich, woher sie all ihr Selbstbewusstsein nimmt. Viele Mädchen gehören höheren Bezirken an, daran allein kann es also nicht liegen, dass sie so verzogen ist. Sie scheint sich auch ziemlich sicher zu sein, weiter zu kommen. Im Grunde ist das ja nichts schlechtes, es nervt mich nur, dass sie so laut sein muss, obwohl Leander ihr doch direkt gegenüber sitzt und wohl kaum schwerhörig ist.

Einmal begegnen sich unsere Blicke, nur ganz kurz und aus reinem Zufall. Doch dieser Moment hat gereicht, um mich von Henrys Frage abzulenken, ob ich aufgeregt wegen des heutigen Abends wäre.

"Äh, ein bisschen, ja. Sir Kaden meinte jedoch, ich hätte mich ganz gut in der Prüfung geschlagen.", rutscht es mir heraus. Henry hebt eine Augenbraue, lehnt sich interessiert weiter zu mir vor. "Hat er das? Eigentlich sollte er nicht solche Zusicherungen machen. Wann habt ihr euch denn gesehen?" Es kann sein, dass ich mich irre, aber ich glaube, eine Spur Eifersucht heraus zu hören. Oh man.

"Heute Morgen", gebe ich möglichst gleichgültig zurück. "Wir haben uns in der Bibliothek getroffen, rein zufällig. Die Unterhaltung ging auch nicht besonders lange." Lügnerin. Doch Henry wirkt schon wieder entspannter. "Okay. Sehen wir uns heute nochmal?" "Vor dem Abendessen eher nicht, glaube ich. Meine Zofen wollen noch einige Änderungen an dem Kleid vornehmen und danach bin ich mit Cassandra verabredet."

"Wie schade", meint Henry etwas enttäuscht. "Dann müssen wir unser Date wohl verschieben."

Entschuldigend lächele ich.

Nach dem Essen bin ich froh, endlich auf mein Zimmer gehen zu können, denn ich brauche dringend Zeit für mich. Mit Cassy werde ich mich erst eine Stunde vor dem Abendbrot treffen, da habe ich Henry ein wenig belogen, denn meine Zofen werden wohl kaum sechs Stunden brauchen, um die Maße anzupassen und meine Frisur zu machen.

Auch die anderen Mädchen verlassen den Saal, deshalb bekomme ich wegen der Lautstärke im Flur zu spät mit, wie eine Person hinter mir her joggt und sich mir dann anschließt. "Lady Nivea", sagt Andrew grinsend. Ich spanne mich automatisch an, bleibe aber nicht stehen. "Ich wollte Sie noch einmal sprechen. Wegen unserem gestrigen Auseinandergehen." Von der Seite werfe ich ihm einen giftigen Blick zu.

"Ja, das ist mir noch gut in Erinnerung." Wie er mir die Hand auf den Mund gedrückt hat und mich in die letzte Ecke des Flurs zerrte, vergesse ich nicht so schnell. "Bitte entschuldigen Sie mich. Ich war wohl etwas harsch zu Ihnen." So nennt er das also. Wären die anderen Mädchen nicht so dicht an uns dran, würde ich ihm gerne mal die Meinung sagen. Rebell hin oder her, mir einen halben Herzinfarkt zu bescheren, war übel.

"Allerdings." Ich höre, wie er tief durchatmet. Bestimmt muss er sich Mühe geben, freundlich zu bleiben, was mir wiederum sehr gut gefällt. "Hätte ich gewusst, was Ihr für spezielle Vorlieben habt, wäre ich an diesem Abend lieber auf meinem Zimmer geblieben.", sage ich extra eine Spur zu laut. Das Gespräch zwischen Amara und Cassy stockt, ihre Augen weiten sich.

"Du kleine...", murmelt Andrew. Ich muss mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu grinsen, denn das hat er mehr als nur verdient. "Bis später, Sir Andrew.", verabschiede ich mich. Sein Ziel war es wohl, mich zu einer weiteren Unterhaltung zu bewegen. Eigentlich wäre die sehr dringend nötig, doch wie gesagt: Ich brauche Freiraum.

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