60. Kapitel - Grauenvoll

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Nach dem Tanz mit Henry folgen noch viele weitere. Einer mit Andrew, der mich anweist, vorsichtig zu sein (in jeder Hinsicht, was nicht gerade hilfreich ist), einen mit Michael, mit Theo, mit zwei Cousins von Havanna und schließlich mit Nalu.

Als dieser mich überraschend auffordert, sind fast alle Plätze auf der Tanzkarte ausgefüllt. Ihn stört das nicht, er nimmt seinen Stift (der aus echtem Gold ist) und schreibt seinen Namen auf die Rückseite. Dabei achtet er sorgsam darauf, mich nicht direkt zu berühren. Seltsam wenn ich daran denke, dass er gestern öfter mit mir geflirtet hat.

"Kommst du?", fragt er. Ich folge ihm auf die Fläche und frage mich, wie lange ich noch durchhalten kann. Meine Beine werden müde und in den Absatzschuhen kann ich nicht gut laufen, schon als ich noch Energie hatte war es schwer.

Ich muss mich an den anderen Paaren orientieren um zu erkennen, welcher Tanz nun an der Reihe ist. Manche wiederholen sich im Verlauf des Abends, das ist mir schon aufgefallen. Eigentlich entscheidend ist jedoch die Musik, je nachdem wie sie ertönt, müssen wir uns anpassen.

Es ist eine Abwandlung des Walzers, der nun an der Reihe ist. Der Unterschied besteht darin, sich viel näher zu sein und kleinere Schritte zu machen, so dass man sich kaum von der Stelle bewegt. Der Tanz der Verliebten. Ich schiele zu Nalu und muss mich daran erinnern, dass er nicht gewusst haben kann, was als nächstes kommt. Unmöglich, es muss ein Zufall ein.

Das neue Lied beginnt und wir setzen ein, die Nähe zu diesem Mann ist mir etwas unangenehm. Er ist bestimmt dreißig oder älter, auch wenn er unglaublich gut aussieht - dass er mich auf diese Art berühren kann, finde ich merkwürdig. Bei allen anderen Tänzen achtete man auch darauf, dass es nicht zu viel Körperkontakt gab.

"Wir haben etwa vier Minuten", sagt er. Verwirrt schaue ich ihn an. "Was?" Wir drehen uns, dabei muss ich aufpassen, ihm nicht auf die Füße zu treten.

"Um über das kleine Problem zu reden", erklärt er und meine Augen weiten sich.

"Havanna hat mir von allem erzählt. Komm schon, wir haben nicht viel Zeit."

"Hier? Das ist zu riskant", zweifle ich. Er schüttelt den Kopf, sein durchgehendes Lächeln macht mich fertig. "Mach es mir nach. Wir müssen aussehen, als würden wir uns nur locker unterhalten."

Wieder eine Drehung, unendlich langsam und an meinen Nerven zerrend. 

"Gut so. Was weißt du über die Einbeziehungen?"

Mir ist es nicht geheuer, zwischen all den Menschen über das Thema zu sprechen. Sie könnten etwas mitbekommen, und dann gäbe es eine Katastrophe. Mit deutlich gesenkterer Stimme antworte ich.

"Sie kommen alle drei Monate. Immer werden die Leute über einen Brief benachrichtigt. Dann werden sie eine Woche später abgeholt. Meistens sehr junge."

Er nickt. Ich blende die Gesichter hinter ihm aus, damit ich mich besser konzentrieren kann. Deshalb wird mir leicht schwindelig, als das Lied schneller spielt und wir hinterher kommen müssen.

"Hast du so einen Brief je gesehen? Das Siegel des Königs oder irgendetwas anderes, dass als Beweis gilt?" Seine braunen Augen bohren sich in meine. Scharf denke ich nach, durchforste meine Erinnerungen. Die Bilder sind verschwommen, es ist schon lange her, dass ich einen aus der Nähe gesehen habe.

"Es gab ein Siegel", sage ich nachdenklich. "Rot, mit einer Krone. Drei Zacken, vier Edelsteine, drei Ringe." Fasst man alles zusammen, erhält man die Zahl Zehn. Das Siegel bedeutet, der Befehl kommt von ganz oben, also vom Herrscher über die zehn Bezirke.

"Bist du sicher? Weißt du es noch ganz genau?"

Es ist so lange her. Alec hat den Brief mit mir gemeinsam geöffnet, noch ehe seine Eltern es tun konnten. Er wollte sich sicher sein. Musste es zuerst wissen.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt