Selection - Futuria

13. Kapitel - Gänsehaut

Nach dem Essen bringt man uns zum Unterricht. Das Gespräch mit Henry hat nach Kadens' Einmischung ziemlich nachgelassen, wobei es mir fast unangenehmer war als ihm. Er hat sich freundlich verabschiedet, aber knapp.

Ich setze mich auf den selben Platz wie gestern, Grace und Amara sich neben mich, Denise dahinter. Vor mir nimmt eine Lady mit so hellblonden Haaren Platz, dass sie fast weiß aussehen. Das bedeutet, sie stammt wohl aus einem Bezirk, wo die Sonne viel und vor allem stark scheint. Wahrscheinlich kommt sie aus den Alpen, zu sicher bin ich mir aber nicht.

Aus dem vorderen Teil des Zimmers erschallt lautes lachen, ich höre Victoria aus den anderen heraus. Es klingt wieder so herablassend, also muss ein anderes Mädchen wohl etwas falsches gesagt haben. Als Madame Clairice ein tritt, bringt sie einen großen Stapel Bücher auf einem Wagen mit sich, auf dessen Umschlägen Geschichte der Monarchie Caravels steht.

Einige Mädchen stöhnen, als die Dame uns anweist, jeweils ein Buch zu holen. Ich stehe auf und gehe durch die Reihen zum Wagen, warte, bis die anderen ihre Bücher haben und nehme mir dann vier. Ich bringe sie Grace, Amara und Denise mit, die mir im Gegensatz dazu ein Heft und einen Stift gebracht haben.

"Um Königin zu werden, muss man sein Land besser kennen, als jeder andere. Als rechte Hand des Königs werdet ihr ihn unterstützen müssen, und das funktioniert nur, wenn ihr im Besitz des nötigen Wissens seid. In den Stunden am Montag werdet ihr darüber unterrichtet werden, und ich versuche erst gar nicht, Ihnen die Dinge schönzureden. Es wird viel Arbeit auf sie zukommen." Ein Mädchen mit kurzen, blonden Haaren meldet sich.

"Ja?"
"Hieß es nicht, dass wir diesen Unterricht Freitags bekommen? Am Montag sollte es eigentlich um sittliches Benehmen gehen."
Victoria kichert hinter vorgehaltener Hand.

Unsere Lehrerin verengt die Stirn.

"Sowahl an Anstand als auch Respekt scheint es Ihnen zu mangeln. Ihr habt die richtige Anrede vergessen und meine Handlung in Frage gestellt. Dabei seid Ihr gerade mal einen Tag hier. Aber um Euch eine Antwort zu geben: Die Stunden variieren. Es kann häufiger vorkommen, dass Veränderungen spontan und vor allem ungelegen auftreten. Also gewöhnen Sie alle sich besser daran."

In den kommenden Stunden lernen wir etwas über die Geschichte des Landes, doch erst ab dem Punkt, an dem Caravel entsteht. Über die Zeit, in der die Schraeves herrschten, wird kein einziges Wort erwähnt. Und anders als im Tagebuch meines Vaters wird der erste König Clark als ein gutmütiger, gerechter Regent dargestellt.
Seine Frau wird nur manchmal erwähnt, wenn es um die vier Nachfahren Blue Clark, Jeremie Clark, Vienna Clark und Athena Clark geht.

Den Stammbaum sehe ich mir genauer und länger an, als wir es sollten. Die Zweige sind zuerst weit und gabeln sich oft, die Adligen werden immer mehr. Doch dann, vor etwa fünfzig Jahren, werden sie weniger. Die Zahl dezimiert sich immer weiter, bis sich die letzen Familien mit König Lex und Königin Grenaldine vereinen. Das Feld darunter ist frei, weder Name noch ein Bild sind vorhanden.

Nach den vielen Stunden, in denen uns nur zwischendurch ein Tee oder etwas anderes angeboten wurde, raucht mein Schädel. Ich dachte, ich wüsste bereits das meiste, doch da lag ich wohl falsch.

Die Schlacht gegen Grykos gewannen die Heerführer durch stark strategische Schachzüge, sie nutzten den Winter und bereiteten sich gut darauf vor. Wie Sie alle bestimmt wissen, wird Caravel von einem breiten Fluss - dem Ravel - umgeben. Als er zufror und die Grykonen glaubten, sie könnten ihn nun schnell überwinden, brach das Eis unter ihnen zusammen. Denn Caravels Soldaten wussten von der unterirdischen Strömung und dem entstehenden Druck, so dass sie winzige Löcher in die Eisdecke bohrten und nur noch zu warten brauchten, bis das Gewicht zu groß wurde. Die Feinde wurden von den Fluten verschlungen und der grykonische König fürchtete zu sehr um weitere Verluste, so dass er unser Land in Frieden ließ. Das war vor etwa einhundertelf Jahren. König Bennet Clark war zu dieser Zeit bereits im weit fortgeschrittenem Alter, so dass er sich dazu entschloss, seinen Nachfolger zu ernennen. Da sein ältestes Kind nun aber eine Tochter war - Vienna Clark - und er nicht an ihre Führungsqualitäten glaubte, ernannte er seinen Sohn Jeremie als Thronfolger. Vienna war darüber so erzürnt, dass sie die Nachfolger der Schraeves aufsuchte. Gemeinsam mit ihnen zettelte sie einen gewaltigen Aufstand an, der gegen Bennet und seine Regierung stach. Er wurde jedoch gewaltsam niedergeschlagen und Vienna sah sich gezwungen, zu flüchten. Es heißt, sie wäre ins Ausland gereist und hätte dort einen anderen Prinzen geheiratet, um Königin zu werden. Doch dazu gibt es keine genauen Informationen, auch nicht, ob die Schraeves heute immer noch Nachfolger haben.