Auf dem Rückweg des Abendessens treffe ich zufällig auf Kaden. Ich habe es geschafft, die Treppen hinauf zu humpeln, ohne jemanden nach Hilfe fragen zu müssen. Okay, die Wachen haben mich gesehen und hatten Mitleid, also haben sie mich gestützt. Aber danach bin ich allein weitergegangen.
Grace hat beschlossen, zusammen mit Amara ein Gespräch mit Denise zu führen und diese dazu zu bringen, allen, den sie diese Märchen erzählt hat, die Wahrheit zu sagen. Dass sie das tun wird, halte ich für eher unwahrscheinlich. Und bis jetzt ist immer noch Siren das Gesprächsthema Nummer eins. Denise hat wohl nur wenigen Personen davon erzählt, das Wieso interessiert mich immer noch.
Ich müsste nur noch einmal abbiegen und würde in den Flur zu unseren Zimmern gelangen, doch weil es aussieht, als hätte Kaden auf mich gewartet, halte ich an. Dabei positioniere ich mich so, dass ich mich unauffällig an einem Deko-Tisch abstützen kann.
"Lady Nivea", kommt er auch gleich zur Sache, wobei er Lady spöttisch betont. Ich recke das Kinn weil ich dieses Mal nicht vorhabe, mich von ihm runter machen zu lassen. "Ich werde von Luna geschickt und soll Ihnen ausrichten, wie Ihre morgige Aufgabe ablaufen wird." "Ausgerechnet Euch hat sie geschickt?"
Er hebt eine Augenbraue, als wäre er beleidigt. "Reizend. Tatsächlich hat sie mich geschickt, weil ich Ihr morgiger Partner bin. Ich schlage vor, wir suchen uns einen diskreteren Ort. Es sollen nicht alle mitbekommen, wie ich Ihnen erkläre, was auf Sie zukommen wird." Er bietet mir seinen Arm an, den ich nur ergreife, weil ich sonst mit fünf Metern Abstand hinter ihm her humpeln würde.
Statt also auf mein Zimmer zu gehen und den Abend damit zu verbringen, einen Brief an Halo zu schreiben, spaziere ich mit Kaden durch den Palast. Die Kronleuchter wurden entzündet und alles ist in warmes, gelbliches Licht getaucht. Den Teil, den wir nun entlang gehen, habe ich bis jetzt noch nicht gesehen.
Irgendwie hat Kaden es geschafft, uns an die Außenwand zu bringen, wo uns nur noch die Fenster von der kalten Winterluft trennen und man hinaus auf den Garten schauen kann, der sich um einen riesigen Springbrunnen aufbaut. Welche Form als Wasserspeier angebracht wurde, kann ich jedoch nicht erkennen.
"Also?", frage ich. Seine Nähe ist mir etwas unangenehm, wo ich doch mit ihm am wenigsten Zeit verbracht habe. Bei Henry fühlt es sich inzwischen selbstverständlich an und Leander hat sicherlich keine unehrenhaften Absichten. Aber Kaden ist so ziemlich das Gegenteil eines Gentlemans, obwohl er sich Grace gegenüber ganz freundlich verhalten haben soll. Daraus lässt sich schließen, dass er ein persönliches Problem mit mir hat.
Kaden schaut geradeaus, in die Ferne, als würde er mich nur am Rande wahrnehmen. Seine mir zugewandte Gesichtshälfte ist in Schatten getaucht, der seine Züge nur noch deutlich hervorstehen lässt.
"Immer habt Ihr es so eilig. An mir klebt kein Gift, falls Ihr das glaubt. Aber gut, um Eurem Drängen nachzugeben... Da Ihr und Lady Victoria verletzt wurdet und nicht am sportlichen Bereich teilnehmen könnt, hat man sich etwas anderes für euch ausgedacht. Und zwar werde ich an Ihrer Stelle antreten. Für Victoria wird Sir Lucas einspringen." Erstaunt und misstrauisch zugleich blicke ich zu ihm hoch. "Und wo ist der Haken?" Er lächelt kalt.
"Damit wir euch nicht die ganze Arbeit abnehmen, wird man uns die Augen verbinden. Es ist dann an Euch, mich durch den Parkour zu coatchen. Neben dem theoretischem Teil werdet Ihr also mit mir zusammenarbeiten müssen. So ungern ich es auch sage, aber ich werde Ihnen bei beiden Prüfungen zur Verfügung stehen. Nur eben anders, als ursprünglich gedacht." Nach dieser Menge an neuen Erkenntnissen brauche ich erstmal, um alles zu verstehen. "Und wie werdet Ihr mir in der theoretischen Prüfung helfen? Ich dachte, diesen Teil müssten wir allein bewältigen."
Als er den Kopf nur ein winziges bisschen neigt, meine ich Unterhaltung in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Ich bekomme eine Gänsehaut, wegen der leicht geöffneten Fenster, an denen wir vorbei kommen, und wegen meines Begleiters. Bei allem, was mir unbehagt, scheint er Freude zu empfinden. Und vermutlich hängt das eine mit dem anderen zusammen.
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Selection - Futuria
Fanfiction"Du bist eine Rebellin", flüstert er fassungslos. "Falsch", sage ich. "Ich bin die rechtmäßige Thronerbin Caravels." ----------- Nivea ist gerade 18 geworden, als die erste Selection seit 150 Jahren beginnt. Seit den Kastensystemen hat sich viel ver...