11. Kapitel - Strapazen in jedem Sinn

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"Kann ich Ihnen vielleicht helfen?", ertönt plötzlich eine Stimme über mir. Mein Kopf ruckt nach oben, überrascht erkenne ich einen jungen Mann, noch einen Balkon über meinem stehen. Sein Haar ist blond und er lehnt über dem Geländer, als hätte er nichts besseres zu tun.

"J-ja", bringe ich hervor. Er verzieht den Mund. "Dafür müsste ich allerdings sicher sein, dass Sie keine Auftragsmörderin sind, die nur so tut, als wäre sie einmal um den halben Palast gelaufen, völlig erschöpft und in dem Kleid einer Kandidatin." Empört stoße ich die Luft aus, was sich jeder weniger verächtlich anhört, als es das sollte.

"Ich bitte Euch", meine ich. "Zieht über mich her, wenn ich nicht gleich zu einem Eisblock erstarre." Mir kommen Kadens Worte in den Sinn und ich muss bitter feststellen, dass er recht hatte. Wenn auch anders, ich habe gerade keinen Nerv, weiter darüber nachzudenken.

"Was kriege ich dafür?" Ich kann es nicht fassen.

Sind denn alle Männer so unverschämt?

Ich schlucke eine Beleidigung herunter und gehe näher an die Außenwand heran, versuche Unebenheiten zu finden und mich daran festhalten zu können, um hochzuklettern. Ich setze einen Fuß an und rutsche ab, wieder habe ich Tränen in den Augen. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt.

Ich balle die Hand zur Faust und schlage gegen die steinerne Mauer, die sich unendlich riesig vor mir auftut. Es sind doch nur zwei Meter, die ich hinauf müsste. Wieso bekomme ich das nicht hin? Tränenblind suche ich nach etwas, um mich hochstemmen zu können. Einen Hocker, ein Busch, ein Stein...Es ist zwecklos.

"Ist ja schon gut. Greifen Sie nach meiner Hand." Schwach wische ich mir mit dem Ärmel über das Gesicht. Der Mann ist seinen Balkon herunter gekommen und streckt nun seinen Arm nach mir aus. Er steckt in einem schwarzem Hemd, dass im Mondlicht schimmert.

Ich blinzele kräftig und stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm so nahe wie möglich zu kommen. Gerade als ich denke, es geht nicht weiter, packt er meine Hand und zieht mich hinauf. Es tut weh, und ich schreie. "Sei still, sonst glaubt noch jemand, dir wolle jemand an den Kragen.", presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Schließlich umfasst er auch meinen anderen Arm und nähere mich immer weiter dem Geländer.

Als ich mich daran festhalten kann, tue ich das und schiebe meine Füße auf einen Absatz. Jetzt stehen wir uns gegenüber, nur mit dicker Wand zwischen uns, die mir bis über den Bauchnabel reicht. "Schafft Ihr den Rest?", fragt er mich, die Lunge heftig bebend.

Ich nicke und hebe ein Bein, um es auf die andere Seite zu schwingen. Wenn ich nicht aufpasse, könnte ich hinunter stürzen. Doch das Wissen, es fast geschafft zu haben, treibt mich an. Als ich drüber bin, knicken meine Beine weg und ich sacke zusammen. Oder ich wäre es, hätten mich nicht zwei starke Hände an den Schultern gepackt. "Vorsicht", raunt er. Ich sammle mich und versuche, sicheren Stand zu bekommen.

Dann gehe ich einen Schritt nach hinten, müde und erschöpft. Ich kann mich kaum noch halten. "Danke", sage ich. "Auch wenn Eure Reaktionszeit ziemlich lang ist."

Mit klappernden Zähnen schlurfe ich zur Schiebetür, durch die ich wegen vorgezogenen Vorhängen nicht in mein Zimmer schauen kann. Hoffentlich geht das Ding auch von außen auf, sonst erfriere ich wirklich.

"Wie freundlich. Dass ich erst auf Euren Balkon springen musste, zählt wohl gar nicht?" Ich höre, wie er mir hinterher kommt, gerade als ich meine Finger gegen den Riegel drücke. "Was hatten Sie da oben überhaupt zu suchen?", wechsele ich das Thema. Es ist mir gleich, was er getan hat, ich möchte nur noch in die Wärme und mich ins Bett kuscheln, bis ich nicht mehr das Gefühl habe, gleich zu erfrieren.

"Gegenfrage: Was hatten Sie im Garten zu suchen? Wollten Sie fliehen?" Ich atme auf, als sich die Tür öffnet. Fast schluchze ich vor Erleichterung. Die warme Luft umfängt mich, sobald ich hinein trete. Dort streiche ich auch den Vorhang bei Seite und suche nach dem Lichtschalter, um ihn zu betätigen. "Sicher. Weil mir der Garten dafür auch als beste Lösung erschien.", antworte ich sarkastisch.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt