15. Kapitel - Disqualifikation

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Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Kino um einen riesigen, dunklen Raum mit vielen gemütlichen Ledersesseln. Es gab Tische, wo wir unsere Smoothies und Nachos abstellen konnten, während der Film besonders spannend wurde. Wir waren ganz allein dort, hatten die Leinwand komplett für uns.

Henry wählte einen Film, der Impossible love hieß, und in den Straßen von Bezirk 2 spielte. Ein Mann von hohem Stande verliebte sich in eine Arbeiterin, die eigentlich nicht mal legal in Belivia war. Hinzu kam, dass der Vater des Mannes (er hieß übrigens Ron) von der Liebe erfuhr und das Mädchen (Rosalie) abgrundtief hasste.

Es war ungewohnt, so lange nur still dazusitzen und etwas anzustarren, dass im Grunde nie wirklich passiert ist. Und die parallelen zum Film und uns, als Personen, waren eben auch nicht abzustreiten. Henry, der womöglich der Prinz dieses Landes ist, und ich, die nur ein armes Mädchen aus Medea ist.

Trotz der Tragik war der Film auch lustig gestaltet, wohl um die gesellschaftlichen Unterschiede weniger in den Vordergrund zu rücken. Henry lachte immer wieder laut auf und erzählte mir Dinge über die Schauspieler, zum Beispiel dass im echten Leben beide von ihnen aus Drei stammen und sich überhaupt nicht ausstehen können.

Die Stunden waren schön, nur als wir zufällig gleichzeitig nach dem Popcorn gegriffen haben und sich unsere Hände berührten, wurde es kurz unangenehm. Henry macht bei der Selection mit, um seine wahre Liebe zu finden. Für ihn ist die Sache ernst, er sieht in jedem Mädchen seine potenzielle spätere Freundin.

Und ich? Bin nur hier, um den Prinzen zu vergiften und dieses Land zu stürzen.

Danach führte Henry mich zum Mittagessen aus, das fand aber nicht im großen Speisesaal sondern auf einem Balkon statt. Umgeben von Glas, dass so durchsichtig war, dass man es kaum sah. Es gab Nudeln mit einer weißen Soße, Pilzen und Rucola. Die Nachspeise waren Erdbeeren, Weintrauben und Bananen, alle mit Schokolade überzogen und mit weißem Staubzucker bestäubt.

Der Tag ging schneller um, als ich es erwartet habe, und sobald es dunkel wurde, mussten wir uns auf den Rückweg zum gemeinsamen Abendessen machen. Die Unterhaltungen mit Henry fallen mir leicht, die Themen kommen uns einfach zu und es gibt keine Momente, an denen wir uns uneinig sind.

Erst als wir uns an die Tafeln setzen müssen, trennen wir uns. Er verbeugt sich zum Abschied vor mir, ich mache einen Knicks. "Der Tag war wirklich schön. Ich hoffe, es hat Ihnen genauso gut gefallen, wie mir." Ich nicke ehrlich. "Das hat er. Mein Highlight waren übrigens die Schoko-Früchte, auch wenn mein Kleid darunter leiden musste." Ein brauner Klecks befindet sich etwas oberhalb meiner Taille, denn genau dort ist ein Obststück drauf gefallen. Henry schlug vor, dass ich mich umziehen gehen könnte, doch dann hätten wir weniger Zeit miteinander gehabt. Außerdem gibt es wirklich wichtigeres als einen kleinen Fleck.

"Das werde ich mir merken." Henry lächelt. "Ich würde mich ja wieder zu Ihnen setzen, aber das wäre wohl unhöflich den anderen gegenüber." "Vermutlich, ja."

"Also dann... Man sieht sich. Hoffe ich." Ich erwiedere seinen Abschied und suche dann nach Grace oder Amara, auch weil ich nicht sehen will, zu wem Henry geht. Einen Groll gegen den Prinzen und die Königsfamilie im Allgemeinen zu hegen, ist leichter als ihn auf ganze fünfunddreißig Männer zu projizieren. Manche von ihnen könnten genauso gut Neuner und Zehner sein, wie könnte ich also etwas gegen sie haben?

Zu meiner Überraschung haben sich heute Amara und Grace nebeneinander gesetzt, und die Stühle rechts und links von ihnen sind schon belegt. Die Mädchen unterhalten sich zu viert miteinander, das Bild ist seltsam. Ich dachte, wir hätten uns irgendwie angefreundet. Nicht, dass wir immer nur aufeinander hocken müssten, aber die gemeinsamen Mahlzeiten haben wir bisher immer zusammen verbracht.

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