75. Kapitel - Feiern

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Kann mich mal jemand kneifen? Ich glaube nämlich, ich träume. Stehe immer noch am Übergang zum Balkon, starr wie der gemeißelte Stein, total überfordert.

Wie um alles in der Welt, soll ich wieder dort rein gehen und so tun, als wäre ich okay? Man wird mir sofort ansehen, was ich getan habe. Gut, das ist übertrieben. Ich sehe zwar aus, als wäre ein kleiner Wirbelsturm durch meine Haare gefegt, aber das bekomme ich wieder hin.

Viel mehr sorge ich mich um mein Gesicht. Fahrig und zitternd greife ich nach den Strähnen, höre meinen Herzschlag noch lauter als die Musik.

Alle Gäste sind zurück gekehrt. Sie verfolgen die Königin wie Entenküken ihrer Mutter, bilden Trauben und reden pausenlos auf sie ein. Die Ärmste. Ich werde ihr ebenfalls gratulieren müssen. Oh Gott, wahrscheinlich bringe ich jedes einzelne Wort durcheinander.

Dank Janine gelingt es mir, aus meinem Lockenchaos einen geflochtenen Zopf zu flechten, ohne ein Gummi zum Verschluss benutzen zu müssen. Oft genug habe ich ihr dabei zugesehen.

Schnell nochmal Luft holen, und auf ins Getümmel. Mit gesenktem Kopf schiebe ich mich durch die schmalen Wege, die sich gebildet haben. Keiner besteht länger als ein paar Sekunden, dann bewegt sich jemand oder ändert die Richtung, und schon rennt man fast in jemanden hinein.

Bei mir ist es ausgerechnet Andrew. Er hebt eine Augenbraue, mustert mich und bleibt an meinem Gesicht hängen. "Was hast du angestellt?", fragt er misstrauisch. "Was? Gar nichts. Wie kommst du darauf?"

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Hilfe, bitte. Irgendjemand. Grace zum Beispiel. Ich muss mit ihr reden. Muss ihr erzählen, was eben passiert ist. Sonst drehe ich durch. "Du bist so rot. Das ist nicht normal." Woher soll er schon wissen, was normal ist? Als Rebell verbringt man die meiste Zeit damit, sich zu verstecken und Pläne auszuhecken. Viel mit Mädchen hat er da wohl eher nicht zu tun.

Da fällt mir etwas ein. "Cassy musste gehen", sage ich. Warte darauf, dass sich etwas bei ihm regt. Doch er zuckt nur mit einer Schulter. "Und? Hast du deshalb geweint, oder was?" Sein verächtlicher Ton regt mich auf. Cassy hatte wirklich Pech, sich in ihn zu verlieben. Wie vermutet, war sie nur ein Spielball. Er könnte wenigstens genug Anstand haben, sich etwas betroffen zeigen.

Aber nein, wieso auch, er schließlich nur ein Schauspieler und hat die wichtige Aufgabe, auf mich zu achten. Wieso dabei auf andere Menschen Rücksicht nehmen? "Du bist unglaublich", murmele ich. Schüttle den Kopf.

"Sie hat dich gemocht, du Idiot." Sein Gesicht wird immer perplexer. "Und? Was willst du von mir?" Über seine Schulter hinweg entdecke ich Athena. Wo sie ist, kann Amara nicht weit sein und wie ich Grace kenne, hält sie sich an die beiden. Ein Mann rempelt mich von hinten an, so dass ich zusammen zucke. "Sei einfach ein bisschen menschlicher", verlange ich patzig.

Will mich an ihm vorbei schieben, doch er hält mich am Ellenbogen fest. "Warte", bittet er. Unglaublich, dass er das kann. "Ist es...Wegen diesem Vorfall? Ich meine, bist du deshalb durcheinander?"

Mit einem Ruck mache ich mich los. Runzele die Stirn. Wenn ein Kuss von Kaden bedeutet, dass er mich wirken lässt, als hätte ich den Verstand verloren, sollte ich mir gründlich überlegen, ob ich das wiederholen will.

Sein weicher Blick ist irritierend. Passt nicht zu ihm. "Ich bin nicht durcheinander", gebe ich zurück. "Alles ist okay. Kümmere du dich um deinen Teil, ich krieg meinen schon hin."

Einen Augenblick lang wirkt er verwirrt, dann weitet Verstehen seine Augen. Er beugt sich vor, damit ich sein Geflüster verstehen kann, und mir graut es bereits davor. "Das ist es also. Du hast jemandem die Zunge in den Hals gesteckt. Gehört alles zum Plan, hm?"

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