109. Kapitel - Im Warmen

98 13 5
                                    

Nivea

Zwei Stunden später befinde ich mich in meinem Zimmer. Eingehüllt in gleich drei Kuscheldecken, dicht vor dem flackernden Feuer hockend und dem Regen lauschend, der an die Fenster trommelt.

Lola und Janine sitzen am Tisch hinter mir und nähen, trinken Tee und seufzen ab und zu. Sie finden es schade, dass die Prüfung abgebrochen wurde. So wissen wir gar nicht, ob Sir Kaden Sie gerettet hätte! Oh Miss, was glauben Sie? Hätte er es getan?

Keine Ahnung, habe ich geantwortet. Denn ehrlich, ich weiß nicht mehr, wo sich mein Verstand in diesen letzten Minuten der Prüfung befand.

Jedenfalls haben sie Kaden und mich herunter gelassen, viel zu langsam meiner Meinung nach. Blitze zuckten bereits über den Himmel und der Regen hatte uns so stark durchnässt, dass ich Angst hatte, durch die Gurte zu schlüpfen.

Danach haben sie uns getrennt, im Nebel erkannte ich nicht viel, nur, dass sie Kaden in eine andere Richtung geschickt haben. Am Boden herrschte Chaos, alle waren mit dem Abbau beschäftigt und damit, schnellst möglich der Nässe zu entkommen.

Ich hoffe, die Kameras waren wasserdicht. Wenn nicht, heißt das nämlich, sie haben das Theater völlig umsonst veranstaltet.

Man scheuchte mich in einen Wagen und brachte mich zurück zum Palast, gemeinsam mit den noch verbliebenen Mädchen. Das waren Civil, Clara und Willowdeen. Sie waren nicht allzu bekümmert, die Prüfung nicht haben antreten zu können.

Erst beim Abendessen, als König Lex uns den Ausmaß des vorzeitigen Endes erklärte, wurden ihre Gesichter bleich. Meins auch.

Da wir wetterbedingt den zweiten Prüfungsteil abbrechen mussten, bleibt uns für diese Kandidatinnen nichts anderes übrig, als die Wertungen entfallen zu lassen. Das bedeutet allerdings, dass der Ausgang ihrer schriftlichen Prüfung umso entscheidender ist. Lady Nivea, Sie und Sir Kaden haben es fast bis nach oben geschafft, bevor Sie abgestürzt sind. Aber eben nur fast. Da wir nicht davon ausgehen, dass Sir Kaden Sie gerettet und Sie beide es bis nach oben geschafft hätten, betrachten wir Ihre Prüfung als nicht bestanden.

Unnötig zu erwähnen, dass mir auf der Stelle schlecht geworden ist. Es hat mir schon auf der Zunge gelegen, das auszusprechen, was alle anderen Mädchen wussten: Dass mein Versagen nicht meine Schuld war, sondern manipuliert wurde.

Wahrscheinlich hätte König Lex es sowieso abgestritten. Ich kann mir zu gut vorstellen, wie er mich als schlechte Verliererin darstellen würde, die sich bloß nicht mit der Entscheidung zufrieden geben möchte.

Henry legte seine Hand auf meine und drückte sie. Bleib ruhig, er hat doch Recht, schien er mir übermitteln zu wollen. Ich habe ihm meine Hand entzogen und sie unter der Tischdecke zur Faust geballt.

Das ist keine Unterstützung, er hilft mir damit nicht. Ich hätte viel lieber seine Zustimmung gewollt, dass die Prüfung unfair war. Wenn ich schon nicht mehr mit Kaden darüber reden konnte.

Als es an meiner Tür klopft, schreckt Lola hoch. Sie wirft einen Blick auf die Uhr und runzelt die Stirn, ich sehe ihr an, dass sie wen-auch-immer weg schicken möchte.

"Ist schon okay", sage ich und stehe auf. "Ich bin ja noch wach. Und mir geht's gut."

Sie zögert dennoch, erinnert sich wahrscheinlich daran, wie eisig kalt mir bei meiner Ankunft war. Durchnässt, fröstelnd und mit brennenden Muskeln.

Selbst das heiße Bad konnte keine Abhilfe schaffen, dafür reichte die Zeit nicht, denn schon eine halbe Stunde später musste ich zum Abendessen erscheinen. Ja, richtig - es war Pflicht. Sonst wäre die Mehrheit wahrscheinlich nicht erschienen.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt