53. Kapitel - Ein paar Dinge klären

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Drei Stunden lang muss ich Victoria ertragen. Drei Stunden, in denen ich mehrfach kurz davor bin, mich Hals über Kopf aus der Kutsche zu stürzen. Ehrlich, lieber wäre ich im Schnee verendet, als mir ihr dämliches Gerede anzuhören.

Medea ist so erbärmlich, man sollte etwas gegen diesen Bezirk tun. Von Caravel ausschließen, zum Beispiel. Oder man verpflichtet die Bewohner für irgendetwas - dann würden sie uns höhere Bezirke mehr zu schätzen wissen.

Noch mehr hat es mich gestört, dass Henry überhaupt nichts zu meiner Verteidigung gesagt hat. Leander versuchte es wenigstens, er bat Victoria mehrfach, sich zurückzuhalten und für einige Minuten funktionierte das auch.

Doch immer wieder fing sie an, entweder zog sie über die niedrigeren Bezirke oder die anderen Mädchen her. Was ich bis jetzt schon alles mitbekommen habe, würde reichen, um die Hälfte der Mädchen vom Wettbewerb auszuschließen. Auch über dich weiß ich einiges, Nivea.

Ich habe mir nicht die Mühe gegeben, nachzufragen, was sie damit meinte. Es war auch gar nicht nötig, sie hat von ganz allein weiter geredet.

Man sagt, beim Essen würdest du dich jedes Mal vollstopfen. Du könntest dich nicht entscheiden, welchen Herrn zu bevorzugst, deshalb hältst du dir gleich mehrere heiß. Oh, und diese kleine Ich-bin-nur-ein-armes-Mädchen-aus-Medea Nummer kauft dir sowieso keiner ab.

Dass sie nicht nett ist, wusste ich schon vorher. Ihre Überzeugtheit von sich selbst und dieser böswillige Charakter allerdings schocken mich. Wie kann man so grausam sein, so verblendet, dass man nicht mehr bemerkt, wie übel man sich verhält.

"Weißt du, Victoria. Wenn es dich so sehr stört, wie es in Medea vor sich geht, könntest du ja etwas dagegen tun. Dein Vater ist doch so reich und hat so viel Einfluss, oder? Wieso bittest du ihn nicht, Geld zu spenden oder mit den Verwaltern zu sprechen? Das könnte viel bewirken", habe ich als letzten diplomatischen Versuch von mir gegeben.

Sie lächelte fies, in ihren Augen strahlte Bitterkeit. "Dann könnten wir unser Geld auch gleich in Flammen aufgehen lassen. Manchen Menschen ist eben nicht mehr zu helfen."

Man kann sich also meine Erleichterung vorstellen, als wir endlich das La perle erreichen und aussteigen dürfen. Die ganze Zeit über habe ich mich ruhig verhalten, habe ihre Spitzen ignoriert und versucht, sie auszublenden. Doch es wollte mir nicht Recht gelingen.

Jetzt ist da ein hässlicher Teil in mir, ein böser Gedanke, der mir zuflüstert, so würden noch mehr Leute denken. Unser gesamtes Volk würde glauben, ich wäre eine Schmarotzerin, eine Ratte, die sich ins Schloss geschlichen hat.

Bevor mir doch noch der Fuß ausrutscht und Victoria trifft - sagen wir, im Gesicht - springe ich aus der Kutsche und lasse diese Furie hinter mir. Von Henry bin ich enttäuscht, für Leander fällt mir nicht mal das richtige Wort ein. Wie kann er nur mit dieser...dieser Person freiwillig seine Zeit verbringen? Ich kann und werde das niemals verstehen.

"Nivea, warten Sie!", ruft Henry. Doch ich habe keine Lust mehr darauf, mir seine Entschuldigung anzuhören. Denn gewiss wird diese kommen, unwohl war ihm Victorias Gerede nämlich auch. Immer wieder hat er hart geschluckt, sein Kiefer war angespannt und seinen Mund öffnete er auch mehrmals, um zu protestieren. Nur, dass er das nicht getan hat. Er war zu feige.

Ich stapfe durch den Schnee und bekomme das erste Mal eine Vorstellung davon, wie viele Menschen wir sind. Meine Kutsche befindet sich noch weit hinten auf der Straße, vor uns reihen sich Pferde und Fuhrwerke gleichermaßen. Offenbar ist das La perle nicht gut genug auf unsere Gesellschaft vorbereitet, denn es geht nur noch sehr langsam voran.

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