62. Kapitel - Kein Erbarmen

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Teil II der Lesenacht :) Viel Spaß!

***

Beim Betreten des Salons fühle ich mich unwohl, deshalb blende ich die anderen Mädchen aus und suche direkt nach Grace.  Ich entdecke sie am Fenster und gehe auf sie zu, bilde mir ein, alle Anwesenden würden mich anstarren, mich mit ihren Blicken verfolgen.

Dabei kann das nicht sein - was gestern war, kann unmöglich so schnell die Runde gemacht haben. Dennoch, der Gedanke nagt an mir. Ich hasse schon jetzt die Fragen, die auf mich zukommen werden.

Es ist natürlich auch möglich, dass die Frauen mich ansehen, weil ich eine dunkle Hose und eine weiße Bluse trage.

Nichts außergewöhnliches, aber im Vergleich du den schicken Kleidern liegen Welten dazwischen. Ich hatte das Gefühl, etwas anziehen zu müssen, in dem ich mich selbstsicherer fühlen würde. Keine Ahnung, ob Kleidung wirklich einen Effekt auf das Bewusstsein hat, aber ich probiere es gerne aus.

"Wir müssen reden", sage ich zu Grace, kaum dass ich sie erreicht habe.

"Dir auch einen guten Morgen. Warum habe ich das Gefühl, wir haben gleich einen Ehestreit?" Sie beißt sich auf die Unterlippe, um ihr grinsen zurück zu halten.

"Bitte, es ist ernst."

"Hat das was mit deinem Outfit zu tun?", fragt sie.

"Geht so. Kommst du?"

Am liebsten würde ich zurück auf mein Zimmer gehen, allerdings warten dort Lola und Janine auf mich. Spätestens nach meiner Kleiderwahl waren sie so verstört, dass ich Angst hatte, sie würden mich gar nicht erst gehen lassen.

Ich führe Grace zu einem Sofa ganz hinten, nahe den Fenstern. Unterwegs schnappe ich auf, worüber die Leute reden. Natürlich geht es um den Ball.

Die Kandidatinnen tauschen sich über ihre Tanzpartner aus und kichern, alle weiteren Damen kenne ich nicht. Sie müssen Gäste der Königin sein, angereist aus den Bezirken Eins und Zwei und anderen Ländern. Neben Digiti sind da noch Partivor und Ellusial, die sich gut mit uns verstehen. Von allem was dahinter liegt, weiß ich nichts. Informationen verbreiteten sich in Crowheart nur durch Hörensagen.

Wir setzen uns hin und Grace greift nach einer Kanne Tee, die vorsorglich platziert wurde. Sie schenkt uns beiden zwei Tassen ein, ehe sie eine in die Hand nimmt und mich fragend über deren Rand hinweg ansieht. "Also, was ist los?"

Erst vergewissere ich mich, dass uns keiner belauschen kann. Es spielt eine sanfte Musik im Hintergrund, abgesehen davon unterhalten sich die meisten fröhlich und laut genug, um uns zu übertönen. Ich bin aufgeregt, frage mich ständig, ob jemand durch meine Schminke hindurch sehen kann, was Benjamin mir angetan hat.

"Du musst mir versprechen, ruhig zu bleiben. Du darfst nicht ausflippen, klar? Nicht kreischen, quietschen oder schreien."

Sie stellt die Tasse neben sich ab und hebt eine Augenbraue. "Das tue ich nie. Du übertreibst." Einen Augenblick später öffnet sie den Mund. "Oh Gott. Ich weiß es. Du hast gestern mit jemandem rumgemacht, oder?"

Ich blinzele langsam. "Was? Wie kommst du denn darauf?"

"Naja, du tust so komisch. Und dann dieses Outfit! Schicken sie dich etwa nach Hause? Hast du irgendetwas gemacht, dass...unangemessen war?" Sie senkt ihre Stimme, schaut mir tief in die Augen.

"Unangemessen?"

"Du weißt schon", raunt sie. "Mir kannst du es ja sagen. Ich halte dicht."

Ich seufze. "Nein, Grace. So war es nicht. Lass mich erstmal erzählen."

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