17. Kapitel - Versöhnung

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Nachdem also Victoria von Leander getragen wurde, der sichtlich unwillig agierte, und mir Henry half, war es danach nicht mehr weit. Zumindest kam es mir so vor, denn Henry lenkte mich mit Witzen und Erzählungen ab, die mir die unangenehme Situation erträglicher gemacht haben.

Leander ist bei Victoria geblieben, was mich zugegeben etwas störte. Doch dann kamen wir schon bei Dr. Stone an, oder vielmehr bei der Krankenstation. Henry erklärte mir, dass es einen ganzen Sektor gäbe, der nur für die Selection ausgelegt wurde. Insgesamt stehen zehn Betten, links und rechts in dem separatem Raum, die mit herabhängenden Wänden an Ständern abgeschirmt sind.

Es war kalt und das leuchtende weiß um mich herum hat mir Kopfschmerzen bereitet, der sterile Geruch von Desinfektionsmittel brannte in meiner Nase. Da der Arzt nicht drei Mädchen auf einmal behandeln konnte, stufte er uns zuerst nach Verletzungsgrad ein und begann bei Leanders neuem Anhängsel.

Wann Grace gegangen ist, habe ich gar nicht gemerkt, aber Sir Lucas fehlte ebenfalls. Ich setzte mich auf einen Stuhl und eine Krankenschwester in mintgrünem Anzug brachte mir ein Glas Wasser. "Brauchen Sie sonst noch etwas?", fragte Henry mich besorgt. "Ein Päckchen Eis oder eine Decke?" Wie widersprüchlich diese beiden Dinge sind, bemerkte er dann ebenfalls. "Oder, beides?"

"Nicht nötig. In diesem Monstrum von Stoff konnte ich die meiste Zeit nicht mal richtig atmen. Einfach hier zu sitzen und nichts zu tun, ist genau das, was ich jetzt brauche.", antwortete ich. Henry war noch nicht davon überzeugt und erkundigte sich, wann Dr. Stone mich behandeln würde. Eine Schwester sagte ihm darauf, dass es Lady Victoria und Lady Blair wohl schlimmer getroffen hatte.

Danach kam sie zu mir und beugte sich zu mir herab, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. "Wenn Sie möchten, kann auch ich mich um ihren Knöchel kümmern. Ich bin zwar keine Ärztin, habe aber genauso viel für meinen Job lernen müssen und..." Ich willigte ein. Sie schien überrascht, war aber erfreut. Vermutlich ist es eher unüblich, dass Patienten sich von ihr untersuchen lassen wollen.

Mir war es recht und ich vertraute ihr, denn auch wenn sie noch jung war, würde sie es wohl schaffen, mir zu helfen - schließlich wurde sie dafür ausgebildet. Und ein verstauchter Knöchel ist nun wirklich nichts, was man mit einem gebrochenem Fuß vergleichen könnte. Mein kritischer Bewacher legte eine Hand auf die Lehne meines Stuhls und ich zuckte zusammen, weil die Erinnerung an Benjamin abrupt wieder hoch kam. Gerade in dem Moment berührte Schwester Julie mein Bein, weshalb sie es als Schmerzreaktion interpretierte.

"Tut es auch hier weh?", fragte sie verwirrt. Um an mein Bein zu kommen, musste sie sich ordentlich anstrengen, den Rock oben zu halten, damit sie überhaupt Platz hatte. Durch die graue Strumpfhose spürte ich ihre Finger etwas unter meinem Knie. "Nein, mir war nur etwas kalt. Henry, könntest du mir vielleicht doch eine Decke holen? Ich weiß, vorhin habe ich gesagt, dass-" "Schon in Ordnung. In einer Minute bin ich zurück." Er lächelte und ging dann in die Richtung, aus der wir gekommen sind.

Wegen der Lüge fühle ich mich schlecht, allerdings ist sie besser, als die Wahrheit zu erzählen.

Julie warf mir einen Blick zu, den ich als wachsam interpretierte. Sie sagte nichts, aber ihr lag etwas auf der Zunge, das konnte ich spüren. Sie verband meinen Fuß und gab mir eine Tablette, die ich gegen die Schmerzen nehmen konnte. Dann beriet sie mich, wie ich in den nächsten Tagen gehen sollte und was ich besser lassen sollte.

Dr. Stone kam zu uns, da war Henry lange wieder zurück und ich durch die Medikamente etwas entspannter. Er war ein älterer Mann, mit weißen Haaren und Bartstoppeln, einer etwas rundlichen Figur und weißem Kittel. Er kontrollierte die Arbeit seiner Schwester kritisch und schien fast beleidigt, dass Julie es war die sich um mich kümmerte. "Das ist äußert provisorisch, aber es wird helfen. Haben Sie schon ein Schmerzlinderndes Mittel bekommen?", fragte er vor allem in Julies Richtung mit drohendem Unterton.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt