36. Kapitel - Desaster

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Mit geschlossenen Augen lasse ich zu, dass Leander mich in einen der Räume führt. Ich glaube nicht, dass er schlechte Absichten verfolgt (wie Benjamin) aber falls doch, dann bin ich dieses Mal darauf gefasst und werde mich verteidigen. So etwas wie mit Andrew darf keinesfalls noch einmal passieren, das könnte ich mir nie verzeihen. Er hätte mir zu diesem Zeitpunkt wirklich etwas schlimmes antun können, ohne dass ich es hätte verhindern können.

Leander lässt mich los und entfernt sich von mir, seine Schritte hallen überraschend laut wieder. "Einen kleinen Moment noch", sagt er. Es hört sich an, als würde er auf Knöpfe drücken, die daraufhin bestätigende Piepgeräusche von sich geben.

"Okay", haucht er mir plötzlich ins Ohr. "Augen auf."

Ich komme seiner Aufforderung nach und keuche, kann nicht fassen, was ich sehe. Wir müssen uns in einer Art Simulation befinden. Es sieht aus, als wären wir auf einer saftig grünen Wiese. Es gibt keine Häuser oder Menschen, da sind nur wir beide. Und Schmetterlinge, die über Blumen in den buntesten Farben fliegen, die auf ihnen landen und die Pflanzen damit leicht zum Schwingen bringen.

Die Sonne scheint hell über uns, taucht alles in ein goldenes Licht. Die Bilder wirken so real, dass ich die Hand ausstrecke und verwirrt bin, als ich ins Leere greife. Ich drehe mich, entdecke in der Ferne ein Kliff, an das die Wellen eines Meeres schlagen, dessen Wasser zutiefst blau ist. Weiße Gischt spritzt an das Gestein, der Wind trägt es fort und Schaum wird über uns durch die Lüfte gewirbelt.

Es werden dazu passende Geräusche abgespielt, das Meeresrauschen vermischt sich mit dem vergleichsweise viel sanfterem Wind, der hier oben bei uns weht.

"Leander, das-" Ich finde nicht die richtigen Worte. Die Schmetterlinge sind wunderschön. Sie sind so filigran und klein. Mit meiner Zeichnung haben sie nicht das Geringste gemeinsam.

Vor Staunen habe ich Leander für einen Moment vergessen. Doch nun drehe ich mich um, starre ihn überwältigt an und in meiner Brust breitet sich ein warmes Gefühl aus.

"Danke", flüstere ich. Er hat sich wirklich Gedanken gemacht. Nachdem ich erwähnt habe, noch nie im Leben Schmetterlinge gesehen zu haben... Tränen schießen in meine Augen, die ich schnell weg wische. Es ist eine so intime Geste, dass ich nicht einmal weiß, wie ich reagieren soll. Das ist unglaublich, und ich meine nicht nur dieses Date.

Was mir hier passiert, im Schloss, ist einmalig. Und es ist so viel mehr, als nur ein Wettkampf gegen die Zeit.

Leander schaut liebevoll zu mir hinab, er ist offensichtlich erfreut darüber, dass ihm seine Überraschung gelungen ist. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn auf die Wange. Halte mich an seinem Oberarm fest, und schaue ihn lange an. "Das ist unglaublich. Dankeschön."

Seine Mundwinkel zucken, verziehen sich zu einem schüchternen lächeln. "Du bist unglaublich." Vor Glück beginne ich zu zittern. "Bist du bereit, in etwas einzutauchen und alles andere für eine Zeit lang zu vergessen?", will er als nächstes wissen. Ich bringe nicht mehr als ein nicken zu Stande.

"Dann sag mir, wo im Leben du schon immer hin wolltest."

Ich muss nicht lange überlegen. Meine Stimme zu finden, allerdings, dauert eine Weile.

"Hier", sagt Leander und hält etwas in seiner Hand. Es sieht aus wie eine Krone aus Platsik, die sich wie ein Ring um meinen Kopf legen wird. An manchen Stellen leuchtet das Teil und es wirkt wirklich hochwertig. Als ich es Leander abnehme, wiegt es schwer in meinen Händen.

"Setz das auf. Damit verbinden sich dein Bewusstsein mit dem Computer, so dass du alles her projizieren kannst, was du möchtest." Das ist der absolute Wahnsinn. Und beängstigend zugleich.

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