5. Kapitel - Zeitung und Kofferpacken

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"Nivea! Nivea!" Halos Rufe lassen mich hochschrecken. Gefahr, denke ich. Halb falle ich vom Sofa und verheddere mich in der Decke, als ich versuche aufzustehen. Am Wohnzimmertisch stoße ich mir schließlich den Kopf. "Au, verdammt tut das weh." Das Fluchen habe ich mir von Jake angewöhnt.

Suchend blicke ich mich um, bis Halo auf mich zustürzt und mich so heftig drückt, dass ich keuche. "Du hast es geschafft! Es steht in der Zeitung, sogar dein Bild haben sie abgedruckt! Das ist...einfach fantastisch!"

Ah, darum geht es also. Jetzt kommt es auf meine Schauspielerkünste an. "Was? Das kann nicht sein. Zeig her!" Sie gibt mir die Zeitung, die identisch mit der von vor einigen Stunden ist, und wieder springt mir mein Name direkt ins Auge.

"Wow", hauche ich. Meine Schwester quietscht und schunkelt mich nach links und rechts, ehe sie aufsteht und einen kleinen Freudentanz vollführt. "Meine Schwester wird Prinzessin! Ich glaub's nicht!" Tja, was das angeht...

"Du meine Güte...Wo hast du die Zeitung überhaupt her?" Sie hält inne und sagt, ohne eine Miene zu verziehen: "Geklaut. Ich hatte kein Geld dabei und es war so viel los da unten, da ist es niemandem aufgefallen." "Halo, das kannst du trotzdem nicht so einfach-" Sie unterbricht mich. "Ist doch völlig egal! Du musst packen, los! Und ich rufe Tante Sophie an, damit ich zu ihr ziehen kann. Es gibt noch so viel vorzubereiten...Ich bin so neidisch auf dich!"

Schmunzelnd richte ich mich auf. "Vielleicht kannst du mich ja mal besuchen kommen. Dann siehst du das Schloss mal in echt, und lernst, wie man sich richtig benimmt." Bei meiner Neckerei verdreht sie die Augen, hüpft zum Telefon und wählt eine Nummer.

"Sophie? Hi! Hast du es schon gehört?" Während sie Mutters Schwester von der uuunglaublichen Neuigkeit berichtet, schlurfe ich ins Bad, wo ich all meine Anziehsachen lagere. Die Badewanne dient mir als Aufbewahrungsort, denn funktionieren tut sie sowieso nicht mehr. Irgendwas ist mit dem Wasseranschluss und es wäre zu teuer, einen Klempner herzubestellen.

Im Spiegel fällt mir auf, dass ich noch das Amulett trage. Am besten halte ich es weiter bei mir, damit es niemand - besonders nicht Halo - in die Hände bekommt. Durch das angekippte Fenster kriecht kalte Luft ins Innere und ich schließe es, da ich bereits zittere. Dann streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht und stütze mich auf dem Waschbecken ab. "Jetzt gibt es kein Zurück mehr..."

Um keine Zweifel zu bekommen, beschäftige ich mich in den nächsten Stunden so gut und ausgiebig wie möglich. Ich wasche mich, flechte die feuchten Strähnen und stecke sie hoch. Dann packe ich unseren einzigen Koffer und Halo meint, dass Sophie ihr schon beim Umzug helfen würde, und sie gut auf ihn verzichten könne.

Ich besitze nicht viele Anziehsachen, und eigene schon lange nicht mehr. Ich bin heraus gewachsen, und alles, was wir heute besitzen, hatte schon jemand vor uns an. Oder mehrere Leute. Es würde also nicht lange dauern, würde das Telefon nicht alle fünf Minuten klingeln. Leute, zu denen ich mehr oder minder Kontakt habe, beglückwünschen mich, bieten wegen Halo ihre Hilfe an oder sagen, dass sie mich schon auf dem Thron sehen würden.

Dass ich sie alle anlüge, verdränge ich ebenso. Trotzdem bin ich gerührt, immerhin hätte es auch sein können, dass sie eifersüchtig sind, wegen des Geldes zur Entschädigung für mein Fehlen, und sich abspalten würden.

Bei einem Foto von meinen Eltern bin ich hin- und hergerissen. Es mitzunehmen, fühlt sich falsch an, aber gleichzeitig hätte ich sie gerne bei mir. Der Rahmen ist staubig und splittert, weil er beim letzten Frühjahrsputz heruntergefallen ist. Doch es bedeutet mir viel.

"Nimm es ruhig", sagt plötzlich Halo, die hinter mich getreten ist. Wir befinden uns im Schlafzimmer unserer Eltern, stehen vor der alten Kommode, die man ohne kräftig zu ruckeln nicht mehr aufbekommt. "Halo, nein..." "Doch. Du wirst so weit weg sein...Und dann vergisst du uns nicht."

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