118. Kapitel - Mittwoch (Kaden)

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Kaden

Nach dem Abendessen beschließe ich, mir die Beine zu vertreten. Bin rastlos und zu aufgebracht, um einschlafen zu können. Meine Beine tragen mich durch den Palast, und ich lasse sie übernehmen.

Schalte den Verstand aus, was ich schon längst hätte tun sollen. Meine Gedanken sind…nicht mal ein Chaos. Sie sind da, immerzu, aber ich nehme sie nicht mehr als innere Stimme wahr.

Viel eher sind sie ein Wummern. Sie wollen mich in den Abgrund drängen, denn zwei Mächte kämpfen gegeneinander an. Mein Verstand, der mir sagt, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe.

Und mein Herz, das genau weiß, wie tief ich in der Scheiße sitze. Weil es keinen Ausweg gibt. Nicht von hier weg, niemals, denn Lex würde es nicht erlauben, und Mom es nie wagen, sich ihm zu widersetzen.

Ich bin gefangen, ohne dass mir Ketten anliegen. Ich bin gefangen, ohne eingesperrt zu sein. Ich bin gefangen, obwohl ich der Bruder des zukünftigen Königs bin.

Die Wachmänner blende ich aus, so gut es geht. Irgendwann wähle ich unbewusst eine Strecke, die wegen mangelndem Personal unbewacht ist. Nur abschnittweise, natürlich, aber ich kenne die Patrouille Pläne der Wachen auswendig. Das gehörte zu meiner Ausbildung.

Irgendwann biege ich ab und öffne die Tür zum Außengelände. Sehne mich nach frischer Luft, schon seit einer ganzen Weile.

Sie ist das einzige, das von weit weg kommt. Das mit der realen Welt zu tun hat, weil Luft nicht nur die schönen Seiten der Welt zu sehen bekommt.

Und ich bin hier. Nur hier. Und ich vergleiche mein Leben mit dem von Luft. Wie viel tiefer kann ich noch sinken, bevor ich endlich am Grund aufkomme?

Nachts ist der Palast viel friedlicher. Die meisten Wachen werden zwar bei jeder unvorhergesehenen Bewegung misstrauisch, ja schon oft haben sie mich abgefangen und ausgefragt, so ernst nehmen sie ihren Job.

Doch wenn man es schafft, ihnen zu entkommen, dann könnte man fast glauben, es gäbe sie nicht. Diese Augen, die einen immer verfolgen. Die Dad Bericht erstatten, sobald ihnen etwas verdächtig vorkommt.

Das ist nicht normal. Dieses Misstrauen, diese Angst, diese Ignoranz, mit der all das herunter gespielt wird…

Eine halbe Stunde wandle ich draußen durch Dunkelheit. Keine Lichter brennen mehr, nicht mal im Büro des Königs, und das beruhigt mich. Allein seine Nähe bewirkt, dass ich sofort wieder die Striemen auf meiner Haut brennen fühle.

Wie sich seine Gerte in meinen Rücken frisst, schnell und unbarmherzig auf mich einschlägt. Weil ich es gewagt habe, mich seinen Anweisungen bezüglich Nivea zu widersetzen. Mich nicht von ihr fern gehalten habe, wie ich sollte.

Ich stoße die Luft aus und schlinge die Arme um mich, als die äußerliche Kälte mein Inneres erreicht. Nur der Mond spendet seinen trüben Schein, er erhellt den Garten gerade so weit, dass ich sehe, wohin ich gehe.

Unter meinen Füßen knirschen Kieselsteine, es riecht nach Erde und Dünger, denn die Gärtner sind seit Ende März wieder aktiv geworden. Sie pflanzen hässliche rote Rosen und achten darauf, dass sie alle akkurat gestutzt sind.

Rot. Die Farbe eines Herrschers. Die Farbe von Blut. Irgendwie passend, zu unserem König. Aber deshalb nicht leichter auszuhalten.

Irgendwann erreiche ich ein Zimmer, in dem noch Licht scheint. Die Vorhänge sind nicht ganz zu gezogen, doch von hier unten lässt sich sowieso nicht erkennen, wessen Zimmer es sein könnte. Mal von dem Fakt abgesehen, dass sie alle gleich eingerichtet sind.

Ich brauche einen Moment, dann erkenne ich, dass es Niveas Zimmer sein muss. Natürlich, ja. Nur ihres befindet sich so weit hinten, ist gleich das erste, wenn man um die Ecke biegt. Ich kann nicht anders, als stehen zu bleiben.

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