Am nächsten Morgen, noch bevor Madame Clarice und der Tanzlehrer eingetroffen sind, ist Siren das Gesprächsthema Nummer eins. Weder Cassy noch ich haben etwas weitererzählt, was bedeutet, dass wir gestern nicht allein im Gang gewesen sind, beziehungsweise die Wände dünner sind, als angenommen.
Grace scheint sich auf einmal auffallend gut mit Amara zu verstehen, was mich doch irgendwie verletzt. Zuerst können sie einander nicht ausstehen, und dann grenzen sie mich aus? Als ich sie aus einiger Entfernung betrachte, fährt ein Stich in meine Brust. Von ganz allein krallen sich meine Finger in den Rock, der heute ausgestellter und schwerer ist, als sonst.
Das Kleid ist hellblau, fast grau, und vom Dekolleté an bis zum Boden verläuft ein Saum aus Spitze, die auch das Ende der ellenbogenlangen Ärmel verziert. Insgesamt komme ich mir damit mehr wie ein Vorhang als eine Lady vor, die lernen soll, innerhalb zwei Wochen wie ein Profi zu tanzen.
Der Saal in dem wir üben befindet sich unter dem richtigen Ballsaal, wenn kein Fest stattfindet und dort Weinfässer untergebracht werden, steht er leer. Wir sollen uns alle in einer Reihe aufstellen, die Kandidatinnen auf einer Hälfte des Raums und die Kandidaten auf der anderen. Sogar Handschuhe haben wir heute an, die mir doch reichlich übertrieben scheinen.
Die Herren tragen passende Anzüge zu unseren Kleidern, ein weißes Hemd und schwarze Hosen.
Sie haben die Hände hinter dem Rücken und unterhalten sich ebenso wie wir. Das heißt, wie die meisten von uns es tun. Cassy zieht es vor, den Tag mit Schweigen zu verbringen und bevor ich zu Denise gehe, müsste die erstmal lernen, wie man sich richtig mit jemandem unterhält.
Ich verschränke die Arme und trete von einem Fuß auf den anderen. Die Steherei wird langsam anstrengend und weil es hier unten keine Fenster gibt, ist es unangenehm warm. Die Wände sind rot gestrichen und riesige Bilder von Weinreben oder Lavendelfeldern hängen an ihnen, außerdem gibt es Sofas und goldene Stühle, die aufeinandergestapelt sind.
"Noch zehn Minuten länger und ich kippe um.", zische ich mir selbst zu. "Dann können sie uns zusammen in die Krankenstation bringen.", sagt eine fremde Stimme hinter mir. Ich drehe mich um mache ein großes Mädchen aus, dass mich ebenso gequält ansieht, wie ich mich fühle. Ihr Haar ist schulterlang und tiefschwarz, sie ist sogar noch blasser als ich es bin.
Direkt neben der Nase, etwas über den vollen Lippen, sitzt ein Schönheitsfleck, der mir schon einmal aufgefallen ist.
"Lady Athena, oder?", frage ich. "Richtig. Aus Bezirk Fünf. Und du?" Sie stellt sich näher zu mir. Ein Duft aus Kirschblüten hüllt sie ein.
"Nivea. Aus Bezirk Zehn." Athena lächelt schwach. "Ich hätte gedacht, wir schaffen es weiter. Drei Tage in der Selection zu überleben, ist nun wirklich keine Meisterleistung." Das bringt mich zum lachen. "Stimmt. Zumindest mit einer Woche hätte ich gerechnet, bevor man mich rausschmeißt. Und jetzt das."
"Stell dir das mal vor", spielt sie das Spiel weiter. "Wenn im Bericht erklärt wird, warum aus fünfunddreißig Kandidatinnen plötzlich dreiunddreißig geworden sind, bevor der Rauswurf überhaupt begonnen hat." "Eine Tragödie. Ich sehe schon die Titelstory: Selection - Wahre Liebe oder Tod?"
"Hm, ich glaube das kriegen wir noch besser hin. Wollen wir in der Mittagspause zusammen essen gehen?" Ihr Angebot freut mich mehr, als ich erwartet habe. Ich sage zu, und eine Sekunde später gehen die Türen auf, und Madame Clarice tritt ein. Ihre Absätze klappern und scheinen ihre Stimmung mal wieder zu untermalen.
"Guten Morgen, meine Damen und Herren! Heute stehen Ihnen vier Stunden Tanzunterricht bevor. Um Sie alle so gut wie möglich auf den Geburtstagsball der Königin vorzubereiten, seid Ihr bereits so gekleidet, wie es in zwei Wochen ebenso der Fall sein könnte. Ob es alle von euch bis dahin schaffen werden, ist unwichtig. Wir werden mit den Grundlagen beginnen und dafür sucht sich bitte jeder von Ihnen einen Tanzpartner. In dieser Runde werden die Herren wählen, in der nächsten die Damen. Wer sich nicht findet, wird zugeteilt. Also beeilen Sie sich, in zwei Minuten sollten sich alle gefunden haben."
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Selection - Futuria
Fanfiction"Du bist eine Rebellin", flüstert er fassungslos. "Falsch", sage ich. "Ich bin die rechtmäßige Thronerbin Caravels." ----------- Nivea ist gerade 18 geworden, als die erste Selection seit 150 Jahren beginnt. Seit den Kastensystemen hat sich viel ver...