50. Kapitel - Verschwörung

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Mein Abgang hat die Folge, nun etwas unbeholfen an einem der leeren Tische zu stehen und das bunte Treiben aus der Entfernung zu beobachten. Die meisten Kandidaten sitzen noch, auch meine Freundinnen. Jemand hat die riesige Torte angeschnitten, die in der Mitte des Salons auf einem runden Tisch steht, und angefangen die Stücke zu verteilen.

Weil ich davon zu weit entfernt bin und auch nicht vor habe, mich wieder in die Nähe von Benjamin zu begeben, nippe ich nur an meinem Tee. Er schmeckt überraschend gut mit dem aufgelösten Kokos Zucker, doch satt macht er mich nicht. Es ist kein Wunder, dass ich so einen Hunger habe, wie mir ein Blick auf die Uhr verrät. In einer Stunde gäbe es Abendessen, und da mein Mittag heute so spärlich ausgefallen ist, knurrt mir nun der Magen.

Auf meinem Tisch gibt es leider nur eine Auswahl an Getränken, kein Gebäck. Deswegen war dieser auch vermutlich leer, alle anderen sind belegt. Seufzend trinke ich den letzten Schluck aus meiner Tasse. Da die glitzernden Getränke wirklich verlockend aussehen, nehme ich mir ein Glas und schnuppere vorsichtig daran. Erdbeere, Zitrone, Banane und- "Pass lieber auf damit. Es bringt einen ganz schrecklich zum Husten."

Ein Mädchen, nur wenige Jahre älter als ich, kommt lächelnd auf mich zu. Sie hat langes schwarzes Haar, ein exotisches grünes Kleid an und extrem hohe Schuhe. Der rote Hut, den sie auf dem Kopf trägt, lässt sie aussehen wie eine Wassermelone. "Hallo, ich bin Havanna. Ich mag dein Kleid."

Havanna? In meinem Kopf macht es klick.

"Du bist eine der Enkel aus Digiti", stelle ich fest. "Ähm, eine Prinzessin." Sie kichert, streicht sich das glatte Haar hinter die Schulter. Selbst diese Bewegung wirkt äußerst elegant. "Keiner nennt mich so, da wo ich herkomme. Dort bin ich bloß Enkelin Nummer 11." "Wow. Ich habe nur eine Schwester, und die hält mich bereits ordentlich auf Trapp."

Ich bin etwas unsicher, inwieweit ich mich locker mit ihr unterhalten kann. Immerhin ist sie eine Prinzessin des Nachbarlandes, bei dem der Friede womöglich nicht von langer Dauer ist. Doch sie lacht, stimmt mir nickend zu. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie durcheinander Familienessen bei uns sind. Besonders, weil jeder meiner Cousins und Cousinen eine andere Ernährungsvorliebe hat."

"Ihr trefft euch also häufig? Ich dachte, ihr würdet alle in anderen Städten leben." Sie zuckt mit den Schultern, nimmt sich ebenfalls ein Glas. "Und? Die Familie geht über alles. Wir treffen uns mindestens einmal im Monat bei meinen Großeltern. Stoßen wir an?" Ihre Persönlichkeit ist so offen und ungezwungen, dass ich richtig erleichtert bin. "Ja, gerne."

Wir führen unsere Gläser zusammen, da hält sie abrupt inne. "Oh, ich habe gar nicht nach deinem Namen gefragt. Verzeih mir." "Kein Problem, ich heiße Nivea. Ähm, und ich bin keine Prinzessin." Offensichtlich. Ihr Lächeln wird noch breiter. "Du bist eine der Kandidatinnen, oder? Das dachte ich mir gleich." Noch immer halte ich mein Glas hoch, was mir nun etwas komisch vorkommt. Ich nehme es runter und stelle es wieder auf dem Tisch ab.

"War ich so leicht zu durchschauen?"

"Irgendwie schon, ja. Ich habe aber nicht erwartet, dass eine Kandidatin hier so ganz allein stehen würde. Ist alles in Ordnung?" Besorgt runzelt sie die Stirn. "Nein, alles ist gut. Ich war nur...Ich mag keine Torte." Meine Wangen werden heiß. Das ist die blödeste Lüge, die mir einfallen konnte. Nun kann ich mir wirklich kein Stück mehr holen, sonst würde sie mich sofort durchschauen.

"Ich verstehe. Andauernd von Kameras und so vielen Leuten umgeben zu sein, muss anstrengend sein." Sie leckt sich über die roten Lippen, dann nimmt sie einen Schluck ihres Getränks. Glitzer bleibt an ihren Mundwinkeln kleben, sollte ich ihr das sagen? "Ich dachte, so geht es dir auch. Bis auf die Kameras, meine ich."

"In Digiti ist alles ganz anders. Die Menschen sind ruhiger, echter. Dort sind wir nicht so formell wie hier, die Gesetze sind lockerer. Das spiegelt sich auch in den Leuten wieder, mit denen ich zuhause zu tun habe." Ihre Augen strahlen, während sie von ihrer Heimat spricht. "Nicht, dass ich über Caravel urteilen will", schiebt sie hinterher. "Ich bin sicher, es hat auch seine Vorzüge, in einem Bezirkesystem zu leben." Sie lässt den Satz wie eine Frage klingen, die Verachtung für mein Land kann sie außerdem schlecht unterdrücken.

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